Benzol - der Sechsring mit "Eineinhalbfach-Bindungen"

Experimente:
Versuch: Reaktion von Cyclohexan, Cyclohexen und Benzol mit Bromwasser
Versuch: Baeyer-Probe auf Doppelbindungen


Auf der Spur nach der Struktur
Im 19. Jahrhundert wurde Walöl als Brennstoff in Lampen benutzt. Aus diesem gewann Faraday 1825 durch Erhitzen eine farblose, stark lichtbrechende Flüssigkeit mit überraschenden Eigenschaften: Benzol.

Bei einer Summenformel von C6H6 und einer Verhältnisformel von CH musste es sich um eine stark ungesättigte Verbindung handeln. Kannte man doch schon das "Olefin CH2" (Ethen), das begierig Brom addierte. Faradays Flüssigkeit erwies sich dagegen merkwürdigerweise als ungewöhnlich stabil gegen viele angreifende Reagenzien. So finden die typischen Nachweisreaktionen für Doppelbindungen, also die Bromaddition (-> Versuch) oder die Oxidation mit Kaliumpermanganat (-> Versuch), mit Benzol nicht statt.

Bei Benzol kann es sich also nicht um ein "normales" Cyclohexatrien, einen Sechsring mit drei fest fixierten Doppelbindungen, handeln.

Viele Chemiker verzweifelten an dem Entwurf einer Strukturformel für diesen ungewöhnlich reaktionsträgen Stoff. Hier sind einige ihrer Entwürfe zu sehen.

Erst Kekulé brachte mit seiner Theorie, dass es sich beim Benzol um einen Sechsring handelt, die Wissenschaftler auf die richtige Spur.

Kekulé nahm auch schon an, dass die Bindungen ständig ihre Plätze wechseln. Denn sonst hätte es Isomere geben müssen, wenn man Substitutionen benachbarter C-Atome betrachtet. Diese wurden nicht gefunden.

Kalottenmodell von Benzol
(Foto: Daggi)


Die Hydrierung von Cycloalkenen
Heute hat man diverse experimentelle Beweise für die Annahme, dass es sich nicht um das hypothetische Cyclohexatrien handeln kann. Auf die Spur brachte die Chemiker die Untersuchung der Energieänderungen bei der katalytischen Hydrierung des Benzols.

Die Hydrierung von Cyclohexen zu Cyclohexan unter Aufnahme von zwei Wasserstoffatomen ist ein exothermer Vorgang, bei dem etwa 120 kJ/mol freigesetzt werden. Würde es sich bei Benzol um Cyclohexatrien handeln, müssten bei seiner Hydrierung erwartungsgemäß etwa der dreifache Wert, also 3 · 120 = 360 kJ/mol an Wärme messbar sein. Dieses ist jedoch nicht so. Messen kann man einen Wert von 209 kJ/mol, also 151 kJ/mol unter dem erwarteten Wert.

Benzol ist damit sogar noch energieärmer als das Cyclohexadien, das tatsächlich besonders leicht die beiden H-Atome abgibt, um einen Benzolring auszubilden. Bei dieser exothermen Reaktion werden 23,4 kJ/mol freigesetzt.


Die Röntgenstrukturanalyse von Benzol
Den zweiten Beweis liefert das Ergebnis der Röntgenstrukturanalyse an Benzolkristallen.
Diese zeigt nämlich, dass das Benzolmolekül ein gleichseitiges, ebenes Sechseck ist. Die Kantenlänge, also der Abstand zwischen jedem C-Atom, beträgt dabei 139,7 pm. Sie liegt damit genau zwischen der Länge der Einfachbindung des sp3-hybridisierten Kohlenstoffs der Alkane (147 pm) und des sp2-hybridisierten Kohlenstoffs der Doppelbindung eines Alkens (133 pm). Somit kann man sie auch als "Eineinhalbfach"-Bindung ansehen.


Das Benzolmolekül ist ein mesomeres System
Das bedeutet, dass alle Bindungen als gleichwertig anzusehen sind. Es gibt nur eine Molekülform, also keine Isomere. Beschreiben kann man die Struktur dieses Moleküls durch zwei mesomere Grenzformeln.

Die sechs p-Orbitale der sp2-hybridisierten Kohlenstoffatome des Rings sind zu zwei großen Räumen vereinigt, die oberhalb und unterhalb der Ringebene liegen. Es handelt sich also um ein delokalisiertes π-Elektronensystem, wie wir es schon beim Butadien kennengelernt hatten.

Dieser Zustand ist sehr energiegünstig, d. h. die potentielle Energie ist minimal. Es handelt sich um die oben erwähnten 151 kJ/mol, um die das Benzol stabiler ist als das hypothetische Cyclohexatrien. Diese Energie ist die Mesomerie-, Resonanz- oder Delokalisierungsenergie. Man spricht auch von Stabilisierungsenergie.

Endgültigen Aufschluss über die wahren Bindungsverhältnisse beim Benzol brachten erst die quantenmechanischen Untersuchungen von E. Hückel und L. Pauling und die Betrachtung des Benzols im Licht der Orbitaltheorie.


Reaktionen des Benzols und seinen Verwandten
Durch das π-Elektronensystem sind Benzol und seine Abkömmlinge besonders stabil. Die typische Reaktion am aromatischen Ring selber ist die elektrophile ("elektronenliebende") Substitution. Hierbei wird nach einer Protonenabspaltung das energetisch günstige, aromatische System zurückgebildet. So kann Benzol halogeniert werden, wenn man einen Katalysator einsetzt, der aus dem Brom Radikale bildet. Weiteres zu dieser Reaktion findet man hier: Substitutionen - die typischen Reaktionen am aromatischen System.


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Letzte Überarbeitung: 13. Dezember 2011, Dagmar Wiechoczek