Vom Sinn der Molmasse - ein Beispiel aus der Toxikologie

Die Molmasse ermöglicht dem Chemiker tatsächlich die Giftigkeit einer Substanz zu beurteilen. Die Molmasse ist damit eine logische Dosisangabe. Denn sie gestattet anzugeben, wie giftig ein Molekül der Verbindung ist. Dies soll am folgenden Beispiel erläutert werden.

In der Umweltchemie wird leider meistens nur mit Relativzahlen wie ppm und ähnlichen Angaben gearbeitet, die dazu noch auf wechselnde Standards wie 1 kg Lebendgewicht, 1 m3 Luft oder andere Mengen von betroffenen Medien bezogen werden. Wenig hilfreich sind auch Tabellen, in denen die Giftigkeit in Masseneinheit/kg Lebensgewicht angegeben wird.

So kann man Botulinus-Toxin A, ein riesiges Eiweißmolekül mit der Molmasse von 900.000 in der relativen Toxizität kaum mit dem Sevesogift TCDD (Molmasse 320) oder Natriumcyanid NaCN (Molmasse 49) vergleichen, wenn man nur mit ppm oder µg/kg Lebendgewicht arbeitet (-> erste Spalte in Tab. 5).

Vergleichende Toxizitäten sind nur dann sinnvoll, wenn man die Anzahl der giftigen Teilchen kennt, die eine bestimmte Wirkung auf eine wohldefinierte Menge betroffenen Materials (z. B. eine Zelle oder 1 kg Lebendgewicht) auslösen.

Tab. 5: Vergleichende Toxizitäten

1 2 3 4 5 6 7
Substanz Geringste
LD
g/kg Lebend-
gewicht
Molmasse
g mol¯1
Geringste LD
mol/kg Lebend-
gewicht
Zahl der
Moleküle/LD
pro kg Lebend-
gewicht
Zahl der
Moleküle/LD
für einen
Menschen
Zahl der
Moleküle/LD
pro Zelle
Botulinus-
Toxin A
3 · 10¯11 9 · 105 3,3 · 10¯17 2 · 107 1,5 · 109 1,5 · 10¯5
TCDD 1 · 10¯6 320 3,1 · 10¯9 2 · 1015 1,5 · 1017 1,5 · 103
NaCN 1 · 10¯2 49 2,1 · 10¯4 1,3 · 1020 1022 108
Verhältnis-
zahlen ...
... der Massen:
3 : 105 : 109
... der Moleküle:
1 : 108 : 1013

*) LD bedeutet letale Dosis

Während sich die relativen Toxizitäten, in g/kg angegeben, wie 3 : 105 : 109 verhalten, sind die abgerundeten auf die Mol- oder Molekülzahl bezogenen Relativzahlen 1 : 108 : 1013 ! Das heißt, ein Molekül Botulinus-Toxin A hat die gleiche Giftwirkung wie 100 Millionen TCDD-Moleküle oder 10 Billionen Cyanid-Ionen aus Natriumcyanid.

Berechnet man noch die Zahl der Moleküle in der für einen 75 kg schweren Menschen letalen Dosis, so erhält man die Werte der 6. Spalte in Tab. 5.

Von Interesse ist weiter, wie viele Moleküle für eine Zelle toxisch sind. Der Mensch hat ca. 1014 Zellen. Man teilt zur Berechnung der Zelldosis die Werte der Spalte 6 durch diese Anzahl und erhält die Molekülzahl der LD für eine Zelle (-> Spalte 7).

Das Ergebnis kann wie folgt interpretiert werden: Botulinus-Toxin A wirkt nicht auf jede, sondern hochspezifisch auf einzelne Zellen oder Zellbestandteile, hier auf die Synapsen. TCDD wirkt in einer Größenordnung von ca. 1000 Molekülen pro Zelle; dies ist die für Hormone typische Zahl (entsprechend der Menge an verfügbaren Rezeptoren). Natriumcyanid ist dagegen eine Substanz, die eine Vielzahl von verschiedensten, eisenhaltigen Enzymen angreift und deshalb eher allgemein vergiftend wirkt.


Quelle: Entnommen aus unserem Vorlesungsmanuskript Chemisches Grundwissen für Umweltwissenschaften.


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Letzte Überarbeitung: 05. Mai 2010, Dagmar Wiechoczek