Kurze Fragen - Kurze Antworten
Aus dem E-Mail-Korb von Professor Blume

E-Mail-Gruppe 170
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1006
F: Zunächst Dank für all Ihre informativen und spaßigen Veröffentlichungen! Zum Artikel: Katalyse-Reaktionen haben einen kleinen Q10-Wert "Bei -30 Grad Celsius in der Tiefkühltruhe arbeitet die Protease weiter."
Wie lässt sich das vereinbaren mit den Fakten aus dem Biologieunterricht: Enzyme arbeiten bei physiologischen Temperaturen, nicht unter Nullgrad, da dann Wasser gefroren und viele Enzyme denaturiert sind. Enzyme haben in der Regel ein Temperaturoptimum. (Als Beispiel werden die Fotosyntheseraten herangezogen, die bei tiefen Temperaturen gering sind oder das Karpfenwachstum, das erst ab plus 17 Grad Celsius eintritt.)
Aufregend wäre schon für meine Schüler, wenn Tiefkühlfleisch "altert". Ich sollte aber genügend Argumente gegenüber Fakten aus dem Biologieunterricht aufweisen können.
Vielleicht können Sie da helfen....
Freundliche Grüsse...
PS: Verlor der Mammut sein Fleisch im Eiszeittiefkühlfach?


A: Die von Ihnen zitierten Fakten aus dem Biologieunterricht sind schlicht vereinfachend. Dass z. B. das Karpfenwachstum erst ab 17 °C eintritt, hat mit einfachen Enzymreaktionen nichts zu tun, sondern mit einer evolutionär bedingten Steuerung des Gesamtorganismus. Das trifft auch für die Fotosyntheserate zu.

Zur Erinnerung: Was für das Eis gilt, gilt auch für das andere Temperatur-Extrem: Bekanntlich gibt es auch eine Vielzahl von Bakterien, die erst oberhalb von 100 °C richtig aufleben. Und das, obwohl Sie Ihren Schülern im Biologieunterricht erzählen, dass Enzyme ab 50 °C denaturiert werden. Waschmittelenzyme arbeiten bei kochendem Wasser!

Sie müssen vor allem die Mikrobedingungen um ein Enzym sehen, und das sogar noch differenziert für jedes einzelne Enzym. Obwohl draußen herum Eis sein kann, ist im Enzymmolekül Wasser, dessen Strukturen dem von flüssigem Wasser entsprechen. Außerdem kommt es auch zur Hemmung der Eisbildung im Nahbereich des Enzyms aufgrund von Effekten, die man vereinfachend mit "Gefrierpunktserniedrigung" beschreiben könnte. Hinzu kommt, dass Wasser bei Schockgefrieren eine Struktur bildet, die die Zellen intakt lässt.

Sie haben Recht: Aufbauende Enzyme, die ATP verbrauchen oder herstellen, tun bei tiefen Temperaturen fast gar nichts. Also wächst auch nichts. Bei diesen Temperaturen arbeiten ganz besonders die Hydrolasen (wie die Proteasen und Lipasen), deren Substrate sich von vornherein schon synthesebedingt auf hohem energetischen Potential befinden.
Allerdings arbeiten die Enzyme sehr langsam. Deshalb bringt uns auch das Mammut nicht weiter. Der besteht übrigens nur noch aus Leder. Das ist bekanntlich schwer verdaulich. Ötzi sieht auch nicht mehr sonderlich appetitlich aus.

Proteasen, Lipasen und andere Hydrolasen setzen Stoffe frei, die das Fleisch ungenießbar machen. Zum Beispiel verleihen Fettsäuren dem alten Tiefkühlfleisch einen ranzigen Geschmack. Haben Sie das noch nie bemerkt? Dann sind Sie eine ausnehmend ordentliche Tiefkühltruhenbewirtschafterin...

Noch eine Frage zum Abschluss: Raten Sie mal, warum auch Tiefkühlware ein Mindesthaltbarkeitsdatum trägt!


1007
F: Kürzlich habe ich unerlaubterweise ein Stückchen der eigentlich für unsere Kinder vorgesehenen kleinen "Ritter-Sport" Schokoladentäfelchen genascht. Als es im Mund anfing zu "bizzeln" kamen verblichene Kindheitserinnerungen hoch. Da war "Knallbrause" drin. Wissen Sie vielleicht, auf welcher chemischen Reaktion das "Knallen" im Mund beruht?
Beste Grüße und vielen Dank für Ihre tolle Webseite und Ihre Mühen...


A: Ich kenne die Dinger auch noch von meinen mittlerweile dem Windelalter entwachsenen Söhnen...
Als Inhaltsstoffe der Knisterlutscher (oder auch Knallbrause) werden deklariert: Zucker, Glukosesirup, Milchzucker, Citronensäure, Kohlendioxid und Malzextrakt.
Wenn man Lösungen bestimmter Stoffe wie Kohlenhydrate mit CO2 behandelt und unter hohem Druck und in der Kälte eindickt, bilden sich sperrige Kristalle, die das Gas einschließen. Mann nennt sie Gaseinschlussverbindungen (Fachausdruck: Clathrate). Diese Gase werden beim Lösen wieder freigesetzt - gefördert wird das durch das saure Milieu, das sich durch die Citronensäure bildet, und durch die Körperwärme. Wenn sich die unter Druck stehenden Addukte entmischen (quasi entladen), bilden sich Gasblasen. Diese zerbrechen die Kristalle, und es knackt dann so richtig.
Das Bizzeln im Mund resultiert daher, dass CO2 nicht nur ein Säureanhydrid ist und deshalb eine Säure bildet, sondern auch hinsichtlich der Geschmacksnerven physiologisch wirksam ist.
Ein Hinweis: Clathrate sind überhaupt nicht selten. Man kennt sie schon seit Davy. Der beschrieb bereits um 1811 Wasser-Chlor-Addukte.
Clathrate gibt es vor allem beim besonders sperrigen Wasser-Eis als Wirtssubstanz. So kann man aus der Analyse von Gletscher-Eis-Bohrkernen aufgrund der in ihnen eingeschlossenen Luftmischung auf die Zusammensetzung der Atmosphäre von vor Tausenden von Jahren schließen.
In der Diskussion stehen in letzter Zeit auch die festen Methan-Wasser-Clathrate, die man in der Tiefsee gefunden hat ("Methanhydrate"). Sie enthalten das 164fache ihres Volumens an eingeschlossenem Methangas. Das heißt, dass 1 Liter Methanhydrat beim Schmelzen 164 Liter Methan freisetzt. Andere Clathrate nutzt man in der Petrochemie bei der Dieselölherstellung. Für Dieselöl ist ein Problem, dass es langkettige Paraffine enthält, die in der Kälte auskristallisieren und die somit die Ursache für das Stocken bei tiefen Temperaturen sind. Man mischt das Dieselöl mit Harnstofflösungen und kühlt die Mischung ab. In den Kristallen bilden die Harnstoffmoleküle spiralförmige Aggregate, die die langkettigen Paraffinmoleküle einschließen. Man braucht dann nur den auskristallierten Harnstoff abzutrennen.

Sie sehen - die Schleckerei von Schokolade kann Grundlage für viele Diskussionen um Naturwissenschaft sein!


1008
F: Wir(11.Jahrgangsstufe) beschäftigen uns gerade mit Stoffwechselphysiologie.
Als wir über den Stoffwechsel anaerob lebender Organismen z.B. bestimmte Bakterien, Hefen gesprochen haben, kamen wir zur alkoholischen Gärung und zur Milchsäuregärung. Dabei habe ich über folgendes nachgedacht:
Warum gibt es überhaupt die alkoholische Gärung? Die Milchsäuregärung würde nach meinem bisherigen Wissen völlig ausreichen. Der Weg über Acetaldehyd zu Ethanol wäre meiner Meinung nach nicht nur überflüssig, sondern auch recht gefährlich für die entsprechenden Organismen, da Acetaldehyd und Ethanol Zellgifte sind. Somit müssten sich Bakterien im Lauf der Zeit "ihr eigenes Grab schaufeln".


A: Bei der Glycolyse werden bis zur Bildung von Pyruvat pro Mol Glucose nur 2 ATP gebildet. Der Hauptgewinn an Energie kommt erst beim Abbau von Pyruvat zu Essigsäure (genauer: Acetyl-CoA), im Citronensäure-Cyclus und in der Endoxidation der Atmungskette.

Gärung findet überhaupt nur statt, um das eigentliche Oxidationsmittel der Zellen, das NAD+, wieder freizumachen. Das ist nämlich nur in begrenzter Konzentration in den Zellen vorhanden. Da pro Mol Glucose zwei Mol NADH/H+ sowie 2 Mol Pyruvat bzw. Acetaldehyd entstehen, wird die Bedeutung der Gärung für die NAD-Regeneration deutlich.
Der Grund, warum die Hefe-Zellen nicht bei Milchsäure aufhören, ist wohl eher zufällig. Die Hefen haben dazu ein Enzym, die Pyruvatdecarboxylase, die dem Menschen fehlt. Der verfügt nur über einen Enzymkomplex, der die Oxidation bis zum Acetat (bzw. Acetyl-CoA) weitertreibt.
Der giftige Aldehyd wird übrigens sofort weiter zu Ethanol verstoffwechselt, Ethanol wird rasch ausgeschieden. Dennoch hört die alkoholische Gärung auf, wenn etwa 15 % Ethanol-Gehalt erreicht ist. Die Hefe-Zellen fallen dann in eine Art Winterschlaf und warten auf bessere Zeiten. Aber sie haben ein wichtiges Ziel erreicht: Sie haben sich vermehrt!
Milchsäure ist ebenfalls ein Zellgift, das zum Beispiel neben Essigsäure zum Konservieren von Lebensmitteln (wie sauren Gurken) genutzt wird.
Übrigens gibt es noch viele andere Gärungsformen. So kann der Wasserstoff von NADH/H+ auch auf Nitrat-, Sulfat- oder Phosphat-Ionen übertragen werden. Dabei bilden sich giftiges Ammoniak, H2S sowie Phosphin PH3. Sogar Eisen(III) kann zu Eisen(II) reduziert werden.


1009
F: Ich habe mit meinen Schülern im Minilab etliche Carbonsäuren und Alkohole verestert. Das hat gut geklappt.
Warum findet man einen vergleichbaren Aufbau nicht zur Versterung von Glycerin mit langkettigen Carbonsäuren, um so künstlich Fette herzustellen? Funktioniert das nicht auf vergleichbarem Weg? Oder Lohnt sich das nicht, weil die Fette dann nicht flüchtig sind?


A: Fette sind nicht flüchtig und können nicht abdestilliert werden. Es macht unterrichtlich auch keinen Sinn: Fette künstlich herzustellen lohnt sich einfach nicht. Denn die gibt es mehr als reichlich aus natürlichen Quellen. Fette gehören zu den am meisten genutzten nachwachsenden Rohstoffen. Dafür sorgen Stoffwechselvorgänge in Lebewesen. Hinzu kommt, dass die technische Estersynthese viele Abfallstoffe produziert, zum Beispiel verdünnte und dazu noch verschmutzte Schwefelsäure, die teuer entsorgt werden muss. Weiter reagiert Schwefelsäure mit Glycerin unter Wasserabspaltung, wobei in der Siedehitze Acrolein entstehen kann.
Wenn Sie dennoch Fette herstellen wollen, gehen Sie am besten von den Säurechloriden aus. Dazu benötigen Sie aber auch 100%iges Glycerin - also nicht das billige aus Fett gewonnene, da dieses nur etwa 80%ig ist (Rest Wasser). Im Abzug arbeiten, weil HCl-Dämpfe freigesetzt werden.


1010
F: Ich bin bei meinen Hausaufgaben (Chemie; 10. Schuljahr) auf eine Frage gestoßen, bei der ich absolut ratlos bin. Vielleicht könnten Sie mir weiterhelfen. Hier die Frage:
"Warum kann ein Chlorwassermolekül leicht ein Proton an ein Wasserstoffmolekül abgeben?"
Ich verstehe nicht, warum das Wasserstoffmolekül überhaupt noch ein Proton aufnehmen sollte.
Würde mich über eine Antwort freuen.


A: Bei dir geht einiges kunterbunt durcheinander. Ich korrigiere mal deine Anfrage:

"Warum kann ein Chlorwasserstoffmolekül leicht ein Proton an ein Wassermolekül abgeben?" Ich verstehe nicht, warum das Wassermolekül überhaupt noch ein Proton aufnehmen sollte.

Leider weiß ich nichts über deine Vorkenntnisse. Ich versuche es einmal:
Im Chlorwasserstoffmolekül ist die Bindung zwischen H und Cl stark polarisiert. Das Chloratom zieht die Elektronen zu sich herüber. Damit lockert sich die Bindung, das H kann als H+ (Proton) abgehen. Zurück bleibt ein Chlorid-Ion (Cl-). Das geht aber nur, wenn ein Molekül da ist, das das Proton lieber übernimmt als das Chlorid-Ion.
Das ist ein Wassermolekül H2O. Dessen Sauerstoff hat zwei Elektronenpaare, die er nicht so sehr an sich heranzieht wie das Chlor die seinen. Er schnappt sich das Proton und bildet ein H3O+-Ion.

HCl + H2O ———> H3O+ + Cl-

Wir haben dazu eine Webseite.

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Letzte Überarbeitung: 17. Februar 2008, Dagmar Wiechoczek