Frage einer Chemielehrerin zum Umgang mit dem Inhalt von Knallkörpern

F1: Ich bin Chemielehrerin an einer Hauptschule. Durch verschiedene Fragen von einem Schüler, Hinhören und Gespräche bin ich über die folgende Situation informiert.

Ein Schüler der Klasse 10: Sehr experimentierfreudig.
Experimentierraum: Keller, sein Jugendzimmer, freie Natur
Informationsquelle: Internet, Fragen an mich, Eltern nach ihren eigenen Angaben ohne chemische Grundkenntnisse
Vorfall: Schüler schnitzt die Hülle von Knallkörpern auf, schichtet den Inhalt auf seinem Schreibtisch zu einem Kegel auf, Mutter sieht diesen Kegel und saugt ihn mit dem Staubsauger auf
Fragen der Mutter nach der Gefährlichkeit an mich.
Es geht dabei um die Frage ob der Junge mit seinen Experimenten sich, seine Familie - seine Mutter - in Gefahr bringt oder gebracht hat.
Da ich ja mit meiner Antwort auch in ein Familienleben eingreife und ich keine Pyrotechnikerin bin, würden Sie mir sehr helfen, wenn sie meine Antwort auf ihre Richtigkeit hin überprüfen würden.

Meine Antwort wäre:
Es gibt nicht den Knallkörper schlechthin.
Inhalte/Rezepturen sind unterschiedlich
Knallkörper dürfen nicht aufgeschnitten werden.
Druck kann zur Explosion führen.
Die freigelegte Knallkörpermasse zieht die Luftfeuchtigkeit an und kann dadurch bereits instabil werden. Wasser kann als Katalysator fungieren und zur Selbstzündung führen.
Durch den Staubsauger wird die Masse fein verteilt. Satz: Je feiner ein Stoff verteilt ist, desto besser brennt er.
Staubsauger enthält organisches Material. Explosion möglich
Das Innenleben des Staubsaugers ist mir nicht bekannt. Ich weiß nicht, ob eventuell blanke Drähte vorhanden sind, die eine Zündung begünstigen.
Reibung erzeugt Wärme - Zündtemperatur kann erreicht werden
(Über die elektrostatische Aufladung/Entladung in/durch einen Stabsauger bin ich mir unsicher.)
Information zu dem Schüler: Unzugänglich für sachliche Informationen wie GISS-Programm (Deutsches Gefahrstoff Informations System Schule), Gefährdungsbeurteilung, Datenblätter, sieht nicht die gefährliche Reaktion als Ganzes.

Ich mahne ein verantwortungsvolles Umgehen mit Chemikalien an. Bin ich bei der Staubsaugergeschichte zu vorsichtig oder schwebten tatsächlich ein paar Schutzengel in dem Raum?

Ich lebe ihm im Unterricht ein verantwortungsvolles, akurates Vorgehen vor. Ich erkläre bestimmte Handgriffe und ihre Bedeutung für die Sicherheit.


A1: Ihre Beurteilung ist von A bis Z richtig.

Machen Sie dem Jungen klar, dass er nicht nur Leben, Augenlicht und/oder Hände verlieren kann, sondern auch jeglichen Versicherungsschutz. Auch unglaublich teure Haftpflichtansprüche und Prozesskosten sind nicht auszuschließen, wenn andere verletzt werden.
Wir haben zu derartigen Unfällen eine Webseite mit Zeitungsmeldungen. Da kann sich der Jungchemiker kundig machen.

Auch die Gefahren bei der Methode mit dem Staubsauger haben Sie richtig erklärt. Über eine solche Dämlichkeit könnte man lachen, wenn sie nicht so gefährlich wäre.

Hinzu kommt auch eine juristische Dimension: Es gibt das Sprengstoffgesetz, das ihn bei seinem Hobby rasch mit der Justiz in für ihn unerquicklichen Kontakt bringt - auch nach einer ihn verletzenden Explosion. Hier haben wir den entsprechenden Allgemeinen Warnhinweis.

Der betrifft auch die Eltern: Die Verletzung ihrer Aufsichtspflicht zieht Weiteres, im Allgemeinen recht Unerfreuliches nach sich...

Zur Beratungsresistenz: Vielleicht sollten Sie die Schulleitung kontaktieren. Denn es steht zu erwarten, dass der Junge auch schon mal etwas Selbstgebasteltes in die Schule mitbringt….

Darf ich Ihren Brief in anonymisierter Form zu einer Webseite in unserer Sicherheitsabteilung umgestalten?


F2: Ein großes, herzliches Dankeschön für Ihre Antwort.
Sie dürfen meine Mail gerne benutzen. (Ich freue mich, wenn ich Ihnen etwas zur Verfügung stellen kann, da ich schon sehr viel von Ihnen profitiert habe.)
Den Schulleiter hatte ich schon vor dem Gespräch mit den Eltern informiert. Nun habe ich ihm auch Ihre Mail weitergeleitet.
Zu Ihrer weiteren Information noch eine Sache. Der Junge kam mit einer Liste von Stoffen mit den Trivialnamen (Düngemittel) zu mir.
Er wollte von mir die chemischen Namen hören. („Ist es richtig, dass...?“)
Damit ich für den Umgang mit den jungen Burschen besser informiert bin, habe ich das Internet mit den Augen dieses Jungen durchsucht. Mit Musik hinterlegte Filme über die Herstellung und Zündung von solchen Gemischen sind der Grund, auf dem solche Ideen wachsen und gedeihen. Jeder Ablenkungsversuch auf die gute, interessante Seite der Chemie blieb erfolglos.


A2: Jetzt wird es noch gefährlicher. Der Knabe will offensichtlich richtige Knaller (Bomben?) bauen. Er hat sicherlich gelesen, dass Terroristen u. a. Ammoniumnitrat verwenden. Das bekamen sie vom Düngemittelhandel. Das Salz ist z. B. auch im Dünger namens Kalkammonsalpeter. Zu dieser Thematik klicken Sie hier.

Aus dem Dünger kann man mit etwas Geschick das schon hoch konzentriert vorliegende Ammoniumnitrat leicht abtrennen. In der o. a. Webseite erinnern wir auch an die Gefährlichkeit der so gewonnenen Substanz.

In letzter Zeit müssen dem Vernehmen nach Landwirte und auch Hobbygärtner ihren Personalausweis vorlegen und sich registrieren lassen, wenn sie (Kalk-)Ammonsalpeter erwerben wollen.

Machen Sie dem Schüler und seinen Eltern klar, dass er auf dem besten Wege ist, dass sich bald der Staatsschutz liebevoll um ihn und seine Familie kümmert.


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Letzte Überarbeitung: 16. Februar 2010, Dagmar Wiechoczek