Der Bethe-Weizsäcker-Zyklus: Woher die Sonne ihre Energie bezieht

Schon immer hat man gerätselt, woher die Sonne ihre Energie bezieht. Viele meinten sogar bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, dass die Sonne komplett aus Kohle bestände, die nun langsam abbrenne. Kluge Chemiker haben seinerzeit dagegen gehalten, dass dann die Sonne mangels Kohlenachschub nach ca. 20 Mio. Jahren leergebrannt sein müsste. (Keiner stellte die Frage, woher denn die Kohle stammen sollte! Und dann erst der viele Sauerstoff!)

Auch war schon bekannt, dass die Sonne zum größten Teil aus Wasserstoff besteht. Also dachte man an Wasserstoffverbrennung - woher allerdings der Sauerstoff stammte, konnte man auch nicht sagen.

Tatsächlich kommt auf der Sonne neben dem Wasserstoff auch Kohlenstoff vor, dazu auch ein wenig Sauerstoff und Stickstoff. Und was man erst sehr spät entdeckte: Es gibt erstaunlich viel Helium - ein Edelgas, das sogar nach seinem Vorkommen auf der Sonne benannt wurde (griech. helios, Sonne). Schließlich hat man es erstmalig (1868) nicht auf der Erde, sondern auf der Sonne entdeckt - das nur anhand seines Spektrums. Woher das Helium auf der Sonne stammte, konnte man nicht sagen - vor allem, weil es auf der Erde unbekannt war und erst viel später bei der Analyse von Uranmineralien gefunden wurde.

Heute weiß man es besser: In der Sonne findet eine kontrollierte Kernfusion von Wasserstoff zu Helium statt. Bei 107 Kelvin verschmelzen vier Wasserstoffkerne zu einem Heliumkern. Außerdem entstehen dabei 2 Positronen und 2 Neutrinos.

(Das auf der Erde vorkommende Helium stammt aus dem Alphazerfall von radioaktiven Elementen: Alphateilchen sind bekanntlich Heliumkerne.)


Zum Reaktionsablauf bei der Kernfusion
Die Kernfusion verläuft nicht direkt, denn es ist doch recht unwahrscheinlich, dass sich vier Teilchen gleichzeitig treffen. Das wäre eine tetramolekulare Reaktion, für die es auch in der Chemie kein Beispiel gibt. Allein schon das zielgenaue Treffen zweier Protonen, das direkt zur Fusion führt, erfolgt nur alle 14 Milliarden Jahre!

Für die tatsächlichen Reaktionsabläufe, die entsprechend insgesamt sehr lange dauern, gibt es zwei Möglichkeiten.


1. Die Kernfusion erfolgt nur unter Beteiligung von Wasserstoff-Isotopen
Hier sind nur Wasserstoffisotope beteiligt. Die Fusion beginnt mit der Reaktion zwischen zwei Protonen. Man spricht deshalb von einem Proton-Proton-Zyklus. Hierdurch werden ca. 90 % des Heliums gebildet.

Genau genommen ist das kein Zyklus (Kreisprozess). Formal kann man aber mit der Wiederverwendung von freigesetzten Protonen Kreisprozesse formulieren.


Hinsichtlich der Bildung von Positronen (Symbol e+) sollte man darauf hinweisen, dass diese (ebenfalls formal) aus den Protonen stammen. Dadurch verlieren letztere ihre positive Ladung, verlieren außerdem etwas Masse und werden so zu Neutronen.

Die Freisetzung der Positronen ist mit der Bildung von Neutrinos verbunden.


2. Die Kernfusion erfolgt im Verlauf eines „Katalyse“-Reaktions-Zyklus
Bei diesem Vorgang, der die restlichen 10 % des Heliums liefert, finden Kernreaktionen statt, die an eine chemische Katalyse erinnern. Als Katalysator dient das Kohlenstoffisotop C-12. Deshalb heißt dieser Zyklus auch Proton-Kohlenstoff-Zyklus; er wird oftmals auch nach den Entdeckern H. Bethe und C. F. v. Weizsäcker benannt.


Woher stammt eigentlich die Energie bei der Kernfusion?
Wenn man die Kerne vor der Fusion und nach der Fusion wiegen könnte, so fände man heraus, dass es einen Massenschwund gegeben hat. Man spricht bei diesem Massenschwund von einem Massendefekt. Offenbar hat eine Umwandlung von Masse in Energie stattgefunden. Diese Äquivalenz von Masse und Energie beschreibt die wohl bekannteste Gleichung von Einstein:


Zur freigesetzten Energie
Die freigesetzte Energie beträgt pro Heliumatomkern 26,72 MeV. Mit der Umrechnungsbeziehung 1 MeV = 1,602 · 10-19 MJ folgt für die freigesetzte Energie 42,81 · 10-19 MJ / He-Atomkern. Das scheint sehr wenig zu sein.

Um Vergleiche mit klassischen chemischen Reaktionen herzustellen, sollte man die molare Energie berechnen, also die Energie, die bei der Bildung von 1 Mol He-Atomkernen freigesetzt wird. Zur Berechnung multipliziert man den Energiewert für ein Atom mit der Avogadroschen Konstanten (früher: Loschmidtsche Zahl).

Das ist doch eine riesige Menge Energie! Zum Vergleich: Die chemische Wasserstoffverbrennung (Knallgasreaktion) setzt nur 0,242 MJ / mol Wasser (g) frei. Das Verhältnis zur bei der „Wasserstoffverbrennung“ auf der Sonne freigesetzten Energie beträgt somit etwa 1:107, also 1:10 Mio.

Nun kann man auch den energieliefernden Massendefekt berechnen. Aus 100 t Wasserstoff entstehen etwa 99,25 t Helium. Der Massendefekt beträgt somit etwa 0,75 %. Die Sonne verliert durch die Fusionsprozesse pro Sekunde etwa 4,1 Mio. Tonnen an Masse. Aber keine Sorge: Der Vorrat an Wasserstoff reicht noch für viele Milliarden Jahre.


Was geschieht mit den Positronen?
Um das zu klären, muss man Folgendes wissen: Auf der Sonne gibt es keine Atome in unserem Sinne, also keine Teilchen, deren Kern aus Protonen und auch Neutronen besteht und deren Hülle Elektronen enthält. Vielmehr handelt es sich um Plasma, einem Aggregatzustand bei hohen Temperaturen, bei dem Atomkerne und Elektronen voneinander getrennt vorliegen. Solche freien Elektronen „reagieren“ mit den bei der Kernfusion freigesetzten Positronen unter Zerstrahlung:

Diese Umwandlung von Masse in Strahlungs-Energie steigert noch die Energieausbeute der Kernfusion.

Die Neutrinos verlassen, da sie fast gar nicht mit anderer Materie wechselwirken, die Sonne und verschwinden im All.


Das Ende der Sonne
Die „Wasserstoffverbrennung“ erlischt, wenn der Wasserstoff zu etwa 10 % aufgebraucht ist - voraussichtlich in ca. 5 Milliarden Jahren. Im Sterninnern haben sich dann vor allem Heliumkerne angesammelt. Der Strahlungsdruck aus dem Sterninnern entfällt, der Stern kollabiert. Dabei heizt er sich wieder auf und dehnt sich aus. Der nicht verbrannte Wasserstoff legt sich als voluminöse Atmosphäre um den Kern. Die Sonne wird zu einem Roten Riesen. Ein solcher Stern, den man mit bloßem Auge sehen kann, ist die Beteigeuze im Wintersternbild Orion.


Wie erfolgt die Kernfusion bzw. Heliumbildung in einer Wasserstoffbombe?
Auch hier gibt es keine direkte Kernreaktion zwischen Wasserstoffatomkernen, sondern nur die unkontrollierte Verschmelzung von Kernen des Lithiumisotops Li-3 und des schweren Wasserstoffs H-2 (Deuterium). Dazu legt man die „Reaktanden“ als Lithiumdeuterid LiD vor.

Zur Aktivierung zündet man eine „klassische“ Fissionsbombe - z. B. mit Uran oder Plutonium.


Literatur:
A. F. Holleman, E. Wiberg: Lehrbuch der Anorganischen Chemie, Walter de Gruyter, Berlin, New York (neueste Auflage).


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Letzte Überarbeitung: 22. Januar 2012, Dagmar Wiechoczek