Woher die Energie für die enzymatischen Reaktionen stammt

Experimente:
Versuch: Hydrolyse von Phosphoroxid als ATP-Modell


Jeder Mensch fühlt sich subjektiv als unveränderlich. Dennoch unterliegt sein Körper dem dynamischen Zustand ständiger Umwandlung und Erneuerung. Das alles beruht auf interzellulären chemischen Reaktionen, die sehr viel Energie verbrauchen. Das gilt auch, wenn man mechanische Arbeit leistet oder sogar, wenn man denkt. Deshalb benötigen Schüler im Alter zwischen 15 und 18 Jahren täglich etwa 10700 kJoule. Diese Energie nehmen sie mit den Nahrungsmitteln zu sich, die andere Organismen mehr oder weniger freiwillig für sie bereitstellen. Hierbei ist etwa nicht die Wärme von heißen Speisen gemeint. Die Energie ist in den Nährstoffen versteckt. Zum Beispiel nehmen Sportler Dextroenergen (R) zu sich, wenn sie Energie tanken wollen. Das ist letztlich nichts anderes als Traubenzucker oder Glucose.


Bild 1: Energieumwandlungen bei Aufbau und Abbau von Biomasse
(Quelle: Cornelsen)


Der Ursprung der chemischen Energie in den Nahrungsmitteln
Die Glucose hat es in sich: Sie steht am Anfang der Energiespeicherung in Nahrungsmitteln. Es beginnt bei den Pflanzen: Diese synthetisieren die Glucose aus den beiden anorganischen Substanzen Wasser und Kohlenstoffdioxid.

6 CO2 + 12 H2O ———> C6H12O6 + 6 H2O + 6 O2     D H = 2900 kJoule/mol

Die Energie für diese endotherme Reduktion des Kohlenstoffdioxids beträgt etwa 2900 kJoule/mol Glucose. Wir nennen sie chemische Energie. Sie ist umgewandelte Strahlungsenergie der Sonne. Empfangsantenne für die Strahlungsenergie ist der grüne Blattfarbstoff, das Chlorophyll. Man bezeichnet die Reaktion deshalb auch als Fotosynthese. Aus Glucose und Stickstoff-, Schwefel- und Phosphorverbindungen (und vielen anderen) baut die Pflanze weitere für sie lebensnotwendige Stoffe wie Proteine, Nucleinsäuren und Vitamine auf.
Mit der pflanzlichen Nahrung nehmen wir auch die in ihr steckende chemische Energie auf. Diese wird beim Abbau der Nahrungsmittelmoleküle in den 100 Billionen (1014) Zellen, die unseren Körper aufbauen, freigesetzt und dabei umgewandelt.

Energieäquivalente der wichtigsten Nahrungsbestandteile (Durchschnittswerte)
Kohlenhydrate 17,6 kJ/g
Fette 39,7kJ/g
Proteine 18,0 kJ/g

Wenn wir uns über die unterschiedlichen Energiewerte von Kohlenhydraten und von Fetten wundern, müssen wir uns deren Molekülbau ansehen. Die typische durchschnittliche Bau-Einheit der Fette ist (H-C-H), die der Kohlenhydrate (H-C-OH). Letztere befinden sich in einem höheren Oxidationszustand, sind also energieärmer. (Ähnliches wie für die Kohlenhydrate gilt für die komplizierter zusammengesetzten Aminosäuren als Protein-Bausteine.)


Wie wird die chemische Energie der Nahrungsmittel umgewandelt?
Die meisten Nahrungsmittel wie die Fette, Proteine sowie höhere Kohlenhydrate (Saccharose und Stärke) bestehen aus großen Molekülen, die zunächst in ihre Bausteinmoleküle gespalten werden müssen. Bei der Verknüpfung der Bausteine dieser Stoffe musste Energie aufgewendet werden. Deshalb wird bei der Spaltung unter Hydrolyse Wärme frei. Entsprechend heiß wird es nach einem guten Essen in unserem Darmtrakt.
Der größte Teil der in den Nahrungsmitteln enthaltenen chemischen Energie wird jedoch erst beim oxidativen Endabbau zu Wasser und Kohlenstoffdioxid freigesetzt ("Verbrennung"). Anders als Wärme kann diese Energie zu endothermen Synthesen körpereigener Moleküle und für andere vielfältige Körperfunktionen herangezogen werden.


Die universelle Energiewährung der Zellen: ATP
Leider können die Enzyme mit der chemischen Energie, die in Stoffen wie Glucose oder Fettsäuren steckt, bei Synthesereaktionen direkt nichts anfangen. Zuvor muss die chemische Energie der Nahrungsmittel in Form von speziellen Verbindungen umgewandelt und zwischengespeichert werden. Das ist sozusagen die allgemein gültige "Energiewährung", die von allen Enzymen in allen Zellen und allen Organismen genutzt werden kann.


Bild 2: Strukturformel von ATP
(Quelle: Cornelsen)


Die wichtigste derartige universelle Verbindung ist Adenosintriphosphat, abgekürzt ATP. In ihr sind drei Phosphorsäuremoleküle (abgek. P) untereinander linear verknüpft. Man schreibt die Formel vom ATP deshalb auch so:

A-P~P~P

Die zwei ~-Bindungen zwischen den Phosphorsäureresten sind Säureanhydridbindungen. Das ATP-Molekül enthält dazu in dieser Phosphatreihe noch vier negative Ladungen. Damit sind die Bindungen sehr energiereich, was folglich auch für das ganze Molekül gilt. Man vergleicht das ATP-Molekül gern mit einer gespannten Feder. Was für Energien in den Anhydridbindungen stecken, kann man anhand der Hydrolyse des Säureanhydrids von Phosphorsäure, Phosphorpentoxid P4O10, demonstrieren (-> Versuch):

P4O10 + 6 H2O ———> 4 H3PO4


ATP wird aus Adenosindiphosphat (ADP) und einer Phosphorsäure (P) unter Wasserabspaltung hergestellt.

A-P~P + P ———> A-P~P~P + H2O    /endotherm

Die Energie beträgt pro ~-Bindung etwa 50 kJoule/mol. Sie entstammt einer simultan ablaufenden Oxidation von Nahrungsmittelmolekülen oder einer anderen Energie freisetzenden Reaktion. Pro Molekül Glucose entstehen 38 Moleküle ATP. Wir sprechen hier von gekoppelten Reaktionen.


Bild 3: Kopplung von Oxidation und Biosynthesen über ATP (schematisch)
(Quelle: Cornelsen)


Die Knüpfung und Spaltung der Säureanhydrid-Bindungen im ATP sind leicht reversibel. Wenn ATP zu ADP+P gespalten wird, wird die Energie frei.

A-P~P~P + H2O ———> A-P~P + P    /exotherm

Es kann auch ein Pyrophosphat (P~P) abgespalten werden. Dann entsteht AMP, Adenosinmonophosphat.

A-P~P~P + H2O ———> A-P + P~P    /exotherm

Der Energiegewinn ist etwa 10 % höher als bei der ADP-Bildung.


Kopplung von ATP-Stoffwechsel und biologischen Funktionen
Simultan mit der Hydrolyse einer ATP-Bindung kann eine andere chemische Bindung geknüpft werden wie die Vollacetalbindung zwischen Zuckermolekülen, die Peptidbindung zwischen Aminosäuren oder die Esterbindung zwischen Fettsäuren und Glycerin. Dabei helfen Biokatalysatoren, die Enzyme. Sie erleichtern die Reaktionen, weil sie die Aktivierungsenergie stark herabsetzen. Dadurch wird Energie gespart, die biochemische Synthese ist deshalb besonders sparsam. Man sagt auch, dass sie einen hohen Wirkungsgrad aufweist.


Bild 4: Kopplung von ATP-Stoffwechsel und einigen biologischen Funktionen
(Quelle: Cornelsen)


Im Körper laufen neben den genannten Synthesen weitere unzählige ATP-verbrauchende Prozesse ab. Auch diese werden allesamt enzymatisch unterstützt. Beispiele sind:


ATP ist die am häufigsten synthetisierte organische Verbindung der Erde
Aufschluss über die ständige biochemische Reaktionstätigkeit in unserem Körper gibt die Tatsache, dass ATP die meist synthetisierte biochemische Substanz der Erde ist. So werden allein beim oxidativen Abbau von einem Molekül Glucose 38 ATP-Moleküle gebildet. Die Synthese von Glucose durch die Pflanzen "kostet" noch mehr, nämlich 54 ATP. Pro Tag stellt unser Körper eine Menge an ATP her, die seinem halben Gewicht entspricht, und er spaltet es auch gleich wieder. Dabei enthält ein Schülerkörper von durchschnittlich 70 kg Gewicht insgesamt nur etwa 150 g dieser energiereichen Substanz! Besonders reich an ATP ist das Muskelgewebe. Es enthält auf 100 g etwa 350-400 mg ATP.


Der biochemische Wirkungsgrad
Leider kann nicht die ganze chemische Energie, die im ATP steckt, genutzt werden. Es gibt immer Wärmeverluste. Wenn man sich körperlich betätigt, wird einem warm.
Auch in der Biochemie arbeitet man mit dem technischen Begriff Wirkungsgrad h. Unter h versteht man das Verhältnis von nutzbarer Energie zu eingesetzter Gesamtenergie. Optimal ist ein Wert von 1 oder 100 %. Normalerweise liegt er aber weit darunter.
Das soll am Beispiel der Oxidation der Glucose (der exothermen Umkehrung der Fotosynthese-Reaktion) erläutert werden. Die bei der Verbrennung von einem Mol Glucose insgesamt freigesetzte Energie beträgt etwa 2900 kJoule. Nur ein Teil davon ist als wertvolle chemische Energie in der Form von ATP durch den Körper für eigene Tätigkeiten direkt verwertbar. Der Anteil beträgt bei 38 ATP pro Molekül Glucose.

38 · 50 kJoule/mol = 1900 kJoule/mol

Das ist ein Anteil von 1900/2900 = 0,66 oder 66 %; das ist der Wirkungsgrad. Der Rest von 34 % besteht aus wertloser, für Biosynthesen oder Muskelkontraktionen nicht nutzbarer Wärme.

Wenn man zusätzlich bei Biosynthesen, an denen ATP beteiligt ist, einen Wirkungsgrad von 90 % annimmt, muss man zur Errechnung des Gesamtwirkungsgrades beide Wirkungsgrade multiplizieren; er beträgt daher

0,65 · 0,9 » 0,59 oder 59 %

Bedenkt man, dass die Synthese von Glucose durch die Pflanzen 54 ATP/mol verbraucht, so kann man auch hier einen Wirkungsgrad angeben:

38/54 = 71 %

Wenn der Körper ohne simultane Stoffwechselleistung Wärme durch Spaltung von ATP erzeugt, ist der Wirkungsgrad Null; aber das Lebewesen wird vor dem Erfrieren bewahrt. Man sieht hier, dass man den Wirkungsgrad biologischer Systeme nicht gar zu technisch sehen darf.

Dass der Wirkungsgrad unter 1 liegt, hat aber noch ganz andere Folgen: Die ständige biochemische Tätigkeit in ihren Zellen ist der Grund dafür, dass Lebewesen zu ihrer Existenz wesentlich mehr fremde Biomasse vernichten müssen, als sie selbst aufbauen. Ein kleiner Singvogel muss bei seinem hohen Stoffwechselniveau täglich sogar das Drei- bis Vierfache seines Körpergewichts an Pflanzensamen, Regenwürmern oder Insekten verputzen.
Nur so können Organismen das werden und bleiben, was Lebewesen in der unbelebten Natur sind: Inseln von hoher Ordnung und mit erstaunlicher Stabilität in einer ansonsten chaotischen Umgebung, die der Nivellierung zustrebt. Lebewesen sind also thermodynamisch gesehen Systeme, deren Zustand weit weg vom Gleichgewicht liegt. Entfällt die ständige potentialerhaltende Energiezufuhr, so ist der Organismus zum Sterben verurteilt. In der Biochemie bedeutet Gleichgewichtszustand den Tod.

Der Wirkungsgrad biochemischer Vorgänge ist aber immer noch weitaus höher als bei den allermeisten von Menschen konstruierten Maschinen. Deshalb ist das Leben auch die erfolgreichste Form der Materie!


Wasser als Energiepuffer
Es taucht noch ein Problem auf: Was schützt unseren Körper vor lokaler Überhitzung, die aufgrund der Freisetzung von Reaktionswärme eintritt? Große, für die Funktion des Körpers extrem wichtige Moleküle wie Proteine oder Nukleinsäuren (DNA) sind sehr empfindlich gegenüber zu starker Wärmezufuhr. Es gibt überhaupt nur einen engen, kühlen Temperaturbereich, in dem diese organischen Moleküle stabil sind und ihre Funktionen ausüben können. Möglichkeiten zur Überhitzung gibt es zunächst bei den exothermen Hydrolysereaktionen im Darmtrakt und in den Zellen. Noch stärker exotherme Redoxreaktionen, aus denen der Körper die chemische Energie für die Lebensvorgänge bezieht, laufen bevorzugt auf engem Raum wie in Leber, Muskel und Gehirn ab. Sie heizen diese Organe auch bei gesunden Menschen auf weit über 40 °C auf.
Retter ist das Wasser, die vielfältigste Grundlage unseres Lebens. Das ist glücklicherweise die in unserem Körper am häufigsten vorkommende chemische Verbindung. Als Wärmepuffer adsorbiert Wasser die Wärme aufgrund seiner hohen Wärmekapazität und transportiert sie über den Blutkreislauf ab. Seine hohe Verdampfungswärme sorgt weiter dafür, dass die überschüssige Wärme mit der Verdunstung von Schweiß abgegeben werden kann. Sie wird auch mit dem Wasserdampf der Atemluft oder mit Urin und Fäkalien "entsorgt".


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Letzte Überarbeitung: 11. April 2007, Dagmar Wiechoczek