Sind Lebewesen chemische Maschinen fern vom chemischen
Gleichgewicht?
Die Biochemie befasst sich mit den chemischen Abläufen in offenen Systemen, den Lebewesen. Genau genommen sind Lebewesen nur begrenzt geöffnete Systeme, die stofflich, energetisch und durch Austausch von Informationen mit der Umwelt kommunizieren.
Stofflich kommunizieren Lebewesen mit der Umwelt vor allem über die Aufnahme und
Abgabe von Nahrung, Wasser und Luft sowie von Abfallstoffen, aber auch über Boten-
und Schadstoffe. Der Austausch von Stoffen ist also auch gleichbedeutend mit einem
Informationsaustausch mit der Umgebung. Das gilt aber auch für die Energie.
Mit den Stoffen nehmen Lebewesen indirekt auch hochwertige ("Freie") Energie G in
Form chemischer Energie auf, die sie - während sie Strukturen mit hohem
energetischem Potential aufbauen - verschwenderisch zu wertlosem Material und zu
wertloser Wärmeenergie ("Wärmemüll") umformen. (Der Mensch verzehrt in einem
durchschnittlichen Leben 51 t Trockenmasse an Nahrung, obgleich er nur ca. 0,1 t
wiegt.)
Lebewesen akkumulieren offensichtlich Ordnung und Information - auf Kosten der
Ordnung ihrer Umgebung. Sie sind somit ektropische Inseln der Ordnung in einer
ansonsten zunehmend ungeordneten, einem Zustand der Gleichförmigkeit,
Spannungs- und Informationslosigkeit zustrebenden entropischen Umwelt.
Die Abläufe in lebenden Systemen beruhen auf dynamischen Gleichgewichtsprozessen
auf hohem Niveau von Potential und Komplexität, die den für Lebewesen typischen
Durchfluss von Energie, Materie und Information ermöglicht. Denn es handelt sich bei
allen Lebensäußerungen ausschließlich um hochkomplexe chemische Prozesse in
großen Systemen mit erstaunlicher Homöostasie, die auf selbstregulatorischen
Fließgleichgewichtsprozessen beruht. Diese biochemischen Prozesse münden in den
Zustand der Materie, den wir lebend nennen. Leben hat nämlich einen konstanten
Spannungszustand zur Voraussetzung, ohne den das, was wir selbstregulatorisches
Fließgleichgewicht nennen, nicht ablaufen kann. Erfolgreich sind Lebewesen vor allem
deswegen, weil sie aufgrund des ausgefeilten Einsatzes von Katalysatoren und eines
gezielten, unnötige Umwege vermeidenden Informationsflusses in Zelle und
Organismus einen vergleichsweise hohen Wirkungsgrad haben.
Lebewesen, die sich im Gleichgewicht befinden, sind dagegen tot. Alle Prozesse
laufen nun auf Abbau des Potentials und Zerstörung der Komplexität hin.
Das alles sind Begriffe aus der technischen Thermodynamik, die vor allem zum Verständnis von Maschinen begründet wurde. Ob wir nun uns als chemische Maschinen verstehen, ist allerdings eine Frage der persönlichen Überzeugung. Aber kann man nicht auch ein so hochkomplexes System wie das Leben bewundern und darauf seinen eigenen positiven Humanismus ohne weitere Rückgriffe auf Philosophie oder Religion begründen?
(Nach [2])
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