Zur Toxizität von Ammonium

Experimente:
Wir untersuchen Lakritz und Salmiakpastillen


Wohl jeder liebt Salmiakpastillen und Katjes® und Lakritzschnecken und Lakritztaler (und so weiter…)! Einer Zeitungsmeldung vom Juni 2009 entnehmen wir jedoch, dass einem allgemein bekannten Süßigkeitenhersteller gerichtlich untersagt wurde, auf Packungen mit Salmiakprodukten durch Text- und Bildaufdrucke gezielt Kinder anzusprechen („…macht Kinder froh…!“).

Wer denkt schon daran, dass das wohlig wärmende Gefühl, das einem beim Verzehr von Salmiakpastillen überkommt, genau genommen ein Alarmsignal des Körpers ist - nämlich ein Hinweis auf physiologische Fehlfunktionen?

Vieles spricht zwar dafür, dass der Inhaltsstoff der Süßholzwurzel, Glycyrrhizin, für einige Probleme verantwortlich ist. (Klicke hier.) Aber es kommt noch etwas anderes hinzu: In den genannten Schleckereien sind große Mengen an säuerndem Ammoniumchlorid („Salmiaksalz“) enthalten, und ein Zuviel davon ist leider auch gefährlich - vor allem auch für Kinder!


Wie Ammonium im Körper entsorgt wird
Die normale Menge von Ammonium im Liter Blut schwankt; sie beträgt zwischen 10-80 µmol. Das entspricht einer Konzentration von 0,18-1,4 mg/L.

Ammonium ist eine Substanz, die viele Leute gerne als „Schlacke“ bezeichnen. Ammonium entsteht, wenn Aminosäuren sowie auch bestimmte Basen von Nucleinsäuren wie z. B. Adenin abgebaut werden. Stichwörter sind Desaminierung und Transaminierung, bei denen meistens Glutamat und Asparagat beteiligt sind. Normalerweise entsorgt die Leber das Ammonium unter Bildung von inerten Transportmolekülen wie Harnstoff oder Glutaminat. Letzteres wird über Glutamat aus a-Ketoglutarat synthetisiert. Es wird dann zum weiteren Abbau über die Blutbahn direkt in die Niere geschickt.

In der Niere wird Glutaminat zu Glutamat sowie weiter zu a-Ketoglutarat desaminiert. Deshalb scheidet die Niere neben Harnstoff immer (wenn auch wenig) freies Ammonium aus.


Für die Hyperammonämie gibt es verschiedene Gründe
Deutlich krankhaft wird es ab dem 10fachen Blutwert. Man spricht dann von Hyperammonämie.

Grund kann eine gewaltsame Abmagerungskur sein. Dazu kommen extreme sportliche Betätigung, bei denen Proteine abgebaut werden und Aminosäuren entstehen. Hinzu kommen als Möglichkeiten Leberschäden oder zuviel Glutamat aus der chinesischen Küche. Aber auch der Verzehr von großen Mengen Salmiakpastillen und Lakritzprodukten ist oftmals Ursache für zuviel Ammonium im Blut. In Salmiakpastillen, die man beim Apotheker kaufen kann, sind in jeder klitzekleinen karoförmiger Pastille 30 mg Ammoniumchlorid („Ammonium chloratum“) enthalten. Da eine Pastille durchschnittlich 0,33 g wiegt, beträgt der Gehalt an Ammoniumchlorid etwa 10 %. Mittels Packungsaufdruck wird ausdrücklich davor gewarnt, täglich mehr als 20 Pastillen zu vertilgen.

Salmiakpastillen (Foto: Blume)


Die Symptome der Hyperammonämie
Auch wenn es immer gesagt wird, ist die Giftigkeit des Ammoniums kaum auf die Bildung von ätzendem Ammoniak zurückzuführen. Dessen Konzentration ist wegen unseres sehr konstanten pH-Werts um 7,3 und einem pKa-Wert von 9,2 äußerst gering. Eine Steigerung des pH-Werts spielt allerdings in Aquarien und Oberflächengewässern eine Rolle, so dass die toxische Wirkung von Ammonium auf Fische sicherlich auch auf die Bildung von freiem, ätzendem Ammoniak zurückzuführen ist. Daneben gibt es aber vor allem physiologisch-biochemische Mechanismen, die aber sehr komplex und für Laien kaum überschaubar sind.

Ammonium im Körper gilt vor allem bei Extremsportlern neben der Unterzuckerung als der Müdemacher schlechthin. Denn Hinweise auf Hyperammonämie sind Konzentrationsschwäche, Müdigkeit, ja fast Lethargie, Schweißausbrüche, Krämpfe und Blutdrucksenkung. Übrigens sind das auch die Symptome einer akuten Ammoniakvergiftung - oder eines akuten Leberversagens.

Wie es zu diesen Symptomen kommt, ist zur Gänze noch nicht endgültig geklärt. Aber einiges von dem komplexen Geschehen hat man schon verstanden.


Ammonium beeinflusst den Stoffwechsel des Zentralnervensystems
Vieles deutet darauf hin, dass in erster Linie das Zentralnervensystem (ZNS) betroffen ist. Dort spielt Glutamat als Transmittersubstanz eine wichtige aktivierende Rolle. Ammonium beeinflusst den Glutamat-Stoffwechsel, indem es in den Neuronen Glutamat in Glutaminat umwandelt. Damit sinkt die Glutamat-Konzentration. Aber auch die Bildung von g-Aminobuttersäure (GABA), das biogene Amin von Glutamat und zugleich sein sedierender Antagonist, wird davon beeinflusst. Außerdem wird beim Abbau der GABA wiederum viel Ammonium freigesetzt.


Zur GABA berichten wir hier.

Schließlich muss man noch an die Glutamat-Synthese aus a-Ketoglutarsäure denken, die vor allem auch im Gehirn abläuft. Damit wird bei zu hoher Ammoniumkonzentration der Citronensäurezyklus angezapft, und deshalb kommt es zu einer ATP-Unterversorgung des hochaktiven und deshalb auf starke Energiezufuhr angewiesenen Gehirngewebes.

Die resultierende zu hohe extrazelluläre Glutamat-Konzentration führt wiederum zu Störungen der Kontrolle des Einfließens von Na+ und Ca2+ in die Neuronen und zur Unterversorgung der Neuronen mit K+. Das liegt daran, dass Glutamin über einen Rezeptor mit dem Ionenkanal der Neuronen wechselwirkt. Zur Regeneration des auf diese Weise gestörten elektrochemischen Gleichgewichts zwischen Na+ und K+ ist wiederum ein hoher ATP-Aufwand erforderlich.

Es wird weiter vermutet, dass Ammonium-Ionen als quartäre Stickstoffverbindungen die Cholinrezeptoren im Gehirn besetzen und so Cholin verdrängen.

Das alles zusammengenommen ist wohl auch Ursache des Chinarestaurantsyndroms, das man beobachtet, wenn die Gäste zuviel Glutamat-haltige Speisen gegessen haben. Klicken Sie hierzu auch die Frage 1314 an.


Gegen die Auswirkungen von Hyperammonämie setzt man auf L-Carnitin
Dieser modische Inhaltsstoff der so genannten Energy-Drinks ist eine in unserem Organismus von vornherein enthaltene, biochemisch bedeutsame Substanz.

Zunächst unterstützt L-Carnitin den oxidativen Fettsäureabbau. Der führt zu Acetyl-CoA und läuft bekanntlich nur in den Mitochondrien ab. L-Carnitin bildet mit seiner freien Hydroxylgruppe Ester, die Acylcarnitine, die zur Einschleusung von Fettsäuren und zur Ausschleusung der gebildeten Essigsäure durch die Membranen der Mitochondrien dienen. Das fördert letztlich den energieliefernden Citronensäurezyklus, mit dem im Zytoplasma aller Zellen unter hoher ATP-Ausbeute Acetat abgebaut wird.

L-Carnitin hat aber auch strukturelle Ähnlichkeiten mit dem Ammonium-Ion NH4+ sowie mit dem physiologisch bedeutsamen Cholin.


Deshalb vermag L-Carnitin das Ammonium kompetitiv aus den Cholinrezeptoren zu verdrängen. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass Carnitin strukturelle Ähnlichkeiten mit der g-Aminobuttersäure hat. Sein chemischer Name ist ja auch Trimethyl-g-amino-b-hydroxybuttersäure.

Im Zusammenhang mit den Neurotransmittern muss auch ein weiterer Zusatz zu den Energy-Drinks genannt werden, das Taurin. Auch hier bestehen strukturelle Analogien zum toxischen Ammonium, Cholin und zur GABA.

Taurin wirkt als natürlicher Neurotransmitter deshalb genauso sedierend wie die GABA. Taurin soll auch bei der Entwicklung des Zentralnervensystems Jugendlicher beteiligt sein.

L-Carnitin aktiviert außerdem auch den Harnstoffzyklus in der Leber. Taurin und Cholin spielen eine weitere Rolle bei der Biosynthese von Lecithin sowie von Gallensäuren.


Klein aber oho!
Mit dem Ammonium-Ion haben wir wieder einmal ein Beispiel, welche physiologischen Wirkungen kleine, scheinbar unbedeutende Moleküle aufweisen können. Denken Sie zum Beispiel an das Stickstoffmonoxid NO. Und wer weiß schon, dass auch CO2 bzw. das Hydrogencarbonat-Ion HCO3- physiologisch aktiv und deshalb in größeren Konzentrationen giftig ist? In verdünnter Form wirkt es zwar als Geschmacksverstärker, in konzentrierter Form (> 15 Vol% in der Luft) schaltet es jedoch die Atmung aus.


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Letzte Überarbeitung: 22. Juni 2009, Dagmar Wiechoczek