Beispiel für eine physikalische Folgereaktion: Der radioaktive Zerfall

Die wesentlichste Anwendung der Formalismen zur Kinetik von Folgereaktionen ist der radioaktive Zerfall. Hier sei an die Zerfallsketten der Uran-Isotopen bis zu denen vom stabilen Blei erinnert.
Aber auch die Erbrütung von Plutonium-239 aus Uran-238 im schnellen Brutreaktor hat eine Reaktionskette zur Voraussetzung.

Das zunächst durch Neutroneneinfang aus Uran-238 gebildete Uran-239 geht unter ß--Zerfall mit einer Halbwertszeit von 23,5 min in Neptunium-239 über, das sich seinerseits unter ß--Zerfall mit einer Halbwertszeit von 2,35 Tagen (oder 3384 min) in Plutonium-239 umwandelt.

Die Werte für die Geschwindigkeitskonstanten kann man nach den bekannten Gesetzmäßigkeiten für Reaktionen 1. Ordnung aus den Halbwertszeiten berechnen.

t½ · k = ln 2

k1 = 0,0295 min-1

k2 = 0,000205 min-1

Nehmen wir an, dass eine bestimmte Menge an Uran-239 vorliegt. Parallel zur Bildung von Neptunium setzt sofort (wenn auch wesentlich langsamer) die Bildung von Plutonium ein. Zunächst wird sich Neptunium anreichern, da seine Umwandlung in Plutonium um den Faktor

3384/23,5 = 0,0295/0,000205 = 144

langsamer erfolgt als seine Bildung aus Uran. Die Konzentrations/Zeit-Kurve des Neptuniums durchläuft deshalb in Maximum. Zum Schluss reichert sich Plutonium an, weil es eine Halbwertszeit von 24390 Jahren hat und somit im Vergleich zu seiner Entstehung nicht nennenswert zerfällt. Das folgende Bild zeigt diesen typischen Verlauf, den wir von chemischen Folgereaktionen her kennen.

Bild 1: c/t-Kurven der Umwandlung von U-239 über Np-239 in Pu-239


Man sieht übrigens, dass für Uran-239 die "Zehn-Halbwertszeiten-Regel" gilt. Nach etwa 250 min ist es weitgehend abgebaut.

Längere Zerfallsketten bilden einen stationären Gleichgewichtszustand aus, das "Radioaktive Gleichgewicht". Das bildet sich immer dann, wenn eine zerfallende Substanz ständig nachgeliefert wird oder die erste Substanz (wie das Uran-235) einer Reihe sehr langsam zerfällt - anders also, als wir es für das Uran-239 angenommen haben.

Zur Abtrennung des beim Brüten erhaltenen Plutoniums haben wir eine besondere Webseite gestaltet.


Noch eine Anmerkung: Weil sich beim radioaktiven Zerfall die Eigenschaften der Stoffe ändern, könnte man meinen, dass es sich um chemische Reaktionen handelt. Dem ist nicht so: Physiker bestehen darauf, dass alle Kernprozesse in Atomen ihre Domäne sind. Chemie ist nach ihrer Ansicht nichts anderes als die Physik der äußersten Elektronenschalen.


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Letzte Überarbeitung: 25. Oktober 2002, Dagmar Wiechoczek