Sulfitgärung und das Dynamit: Biochemie im Dienste der Rüstung

Ein Land, das sich auf einen Krieg eingelassen hat, hat es schwer, vor allem wenn es keine Rohstoffe mehr bekommt. Was nutzen Motoren von Panzer und Flugzeug, wenn Benzin fehlt? Oder wenn das bislang importierte Nitrat ("Chilesalpeter") fehlt, aus dem man Sprengstoffe herstellen kann?

So muss man versuchen, aus Kohle Benzin zu machen. Diese Kohleverflüssigungen spielten eine große Rolle in und zwischen den beiden Weltkriegen.

Mit Luftstickstoff machten Haber und Bosch Ammoniak. Das verbrannten sie dann wieder, um aus den Stickoxiden Salpetersäure herzustellen. Nun kann man die Salpetersäure zum Nitrieren von organischen Verbindungen wie Cellulose verwenden. Dabei entsteht nicht nur Celluloid für Billardkugeln, sondern auch die Schießbaumwolle. Effektiver jedoch war der Sprengstoff aus Glycerin, Nitroglycerin. Woher aber bekommt man viel Glycerin?

Heute fallen große Mengen von Glycerin an, wenn man Fette verseift, zum Beispiel in der Waschmittel-Industrie. Im Kriege war das anders: Da war der Rohstoff Fett schon Mangelware ("Je größer die Zeiten, desto kleiner die Mahlzeiten"). Man musste also andere Quellen für das Glycerin suchen.

Es gelang, Hefen auf chemischem Wege so umzuprogrammieren, dass sie statt Ethanol Glycerin herstellten. Das machte man mit schwefliger Säure bzw. Sulfit. Setzt man nämlich Hefen im Verlauf der alkoholischen Gärung ein wenig Sulfit zu, so produzieren sie nur noch Glycerin.

Der Grund ist, dass Sulfit durch Addition an den Glycerinaldehyd als Intermediärstoff der Glykolyse die Gärung auf dieser Stufe blockiert.

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Chemische Reaktionen der Glykolyse


Es sammelt sich Glycerinaldehyd an, der von der Zelle nicht weiter verarbeitet werden kann. Andererseits müssen die Hefepilze aber ihr NADH "entladen", um ihr Oxidationshilfsmittel NAD+ wieder freizubekommen und um so weiterleben zu können. Also wandeln sie statt Acetaldehyd in Ethanol (Alkoholische Gärung) den Glycerinaldehyd enzymatisch in Glycerin um (Glyceringärung).

Dieses Verfahren war auch unter der Bezeichnung "Sulfitgärung" bekannt. Das so erhaltene Glycerin musste aufwendig entwässert werden. Es wurde anschließend mit Nitriersäure zu Nitroglycerin verestert. Daraus gewann man dann durch Zusatz von Kieselgur das Dynamit.

Heute wird reines, wasserfreies Glycerin aus einem Produkt der Petrochemie, Epichlorhydrin, hergestellt.


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Letzte Überarbeitung: 07. Februar 2014, Dagmar Wiechoczek