Prof. Blumes Tipp des Monats Februar 2008 (Tipp-Nr. 128)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Jugend forscht immer früher -
Naturwissenschaftliches Lehrmaterial auf Spielplätzen

Neben dem Kurpark von Bad Urach findet man im Maisental einen Spielplatz. Auf dem steht ein bemerkenswertes Spielgerät.

Bild 1: Klettergerüst auf einem Spielplatz in Bad Urach (Maisental)
(Foto: Blume)

Einem naturwissenschaftlich gebildeten Menschen fällt sogleich etwas Besonderes auf: Das muss die Darstellung eines kubischen Körpers sein!

Um den Zugang zu dieser Idee zu erleichtern, sei darauf hingewiesen, dass die mittleren, waagerechten Querstangen im Spielgerät nur zur Stabilisierung dienen. Außerdem fehlen die vier Stangen am Boden. „Korrigiert“ sähe das Gerät etwa aus wie im rechten Bild gezeigt::

   

Bild 2: Klettergerüst auf einem Spielplatz in Bad Urach. Rechts die wissenschaftlich veränderte Form des Spielgeräts
(Fotos: Blume)

Dann erkennt ein umfassend naturwissenschaftlich Gebildeter (wie Dirk Eisner aus der Theoretischen Chemie an der Uni Bielefeld): Es handelt sich um ein Kuboktaeder (engl. cuboctahedron).

Wie auch andere kubische Körper diente dieses Polyeder („Vielflächner“) schon immer zur geistigen Erbauung von Fürsten und ihrer Besucher. So findet man diese Figuren auch in vielen künstlerischen Darstellungen. So zum Beispiel im Schlosspark von Neuhaus bei Paderborn.

Bild 3: Sonnenuhr im Schlosspark zu Neuhaus
(Foto: Dirk Eisner)

Selbst in Brake, einem Renaissance-Schloss bei Lemgo, steht ein solches Teil im Renaissance-Museum. Es handelt sich um eine Sonnenuhr.

Bild 4: Sonnenuhr im Schloss Brake
(Foto: Dirk Eisner)

Das Schloss Brake ist wegen seiner Beiträge zur kubischen Wissenschaftskunst schon länger bekannt. So findet man vor dem Eingang eine anamorphotische Darstellung eines Pentagondodekaeders.

Ein Kuboktaeder ist auch im linken unteren Bereich des bekannten Holzstichs von M. C. Escher „Sterne“ von 1948 dargestellt. Dieses Bild zeigt verschiedenste kubische Körper und deren Durchdringungen.

Es gibt sogar eine Briefmarke, auf der solch ein Kuboktaeder abgebildet ist. Es handelt sich um eine Ausgabe von Sri Lanka (Ceylon), die anlässlich einer Folkloreveranstaltung erfolgte. Auf der Marke sind entsprechend geformte Laternen zu erkennen.

Hier ist ein Modell aus Papier, das Dirk Eisner aus der Theoretischen Chemie der Universität Bielefeld für uns gebaut hat.

Bild 5: Modell eines Kuboktaeders
(Dirk Eisner; Foto: Blume)


In jeder der zwölf Ecken des Polyeders stoßen zwei Quadrate und zwei Dreiecke zusammen. Jeweils ein Quadrat und ein Dreieck haben eine der 24 Kanten des Polyeders gemeinsam.


Woher die Bezeichnung “Kuboktaeder“ stammt
Es handelt sich beim Kuboktaeder um ein Polyeder, das aus sechs gleichgroßen Quadraten und acht gleichseitigen Dreiecken besteht.

- Sechs gleichgroße Quadrate erinnern an einen Würfel oder Kubus.

- Aus acht gleichseitigen Dreiecken besteht ein Achtflächner oder Oktaeder.

Zusammengenommen ergeben alle Flächen im wahrsten Sinne des Wortes ein Kub(us)-oktaeder.

Man erhält ein Kuboktaeder folglich auf einfache Art und Weise, indem man sich einen Durchdringungskörper aus Würfel und Oktaeder vorstellt (siehe folgendes Bild), von dem man dann alle herausstehenden Ecken abschneidet.

Bild 6: Modell eines Durchdringungskörpers aus Würfel (blau) und Oktaeder (gelb)
zur Konstruktion eines Kuboktaeders
(Dirk Eisner; Foto: Blume)

Man kann ein Kuboktaeder auch schlicht als abgestumpften Würfel auffassen.

Übrigens gibt es auch andere Methoden, diesen Körper herzustellen. Nach dem Brockhaus-Lexikon ist das Kuboktaeder ein Polyeder, das man durch Verbinden der 12 Kantenmitten eines Würfels und anschließendem Abtrennen der Würfelecken entlang den Verbindungslinien erhält. Wer das versteht, kann es ja mal versuchen.


Gibt es überhaupt Kuboktaeder in der Natur?
Die Beschäftigung mit Kuboktaedern ist nicht nur mathematische oder philosophische Spielerei. Sie hat durchaus auch Bedeutung für die praktischen Naturwissenschaften. Hier zwei Beispiele:


1. Metallgitter
Viele Elementarzellen von Kristallgittern der Metallen oder Metallclusterzentren in Komplex-Verbindungen sind kuboktaedrisch aufgebaut. Solche Metalle sind Ca, Sr, Al, Ir, Pt, Au und Pb.

Die Schichtenfolge eines entsprechenden Kristallgitters sieht so aus:

Bild 7: Kristallgitter mit kubisch dichtester Kugelpackung

Die Elementarzelle haben wir markiert. Das folgende Bild zeigt die Zelle noch einmal – aber etwas anders gezeichnet. Nun ist das Kuboktaeder deutlich hervorgehoben. Die Ecken des Polyeders stellen die Kerne von 12 Atomen dar, die ein zentrales (hier nicht sichtbares) Atom umgeben. Man spricht von kubisch dichtester oder kubisch-flächenzentrierter Kugelpackung.

Bild 8: Kuboktaeder im Kristallgitter mit kubisch dichtester Kugelpackung


2. Mineralien
Kuboktaeder gibt es auch als Kristallform von Mineralien. Das nächste Bild zeigt einen Pyritkristall mit der Tracht eines Kuboktaeders. Ein weiteres Beispiel ist der Flussspat. Aber auch der hinsichtlich seiner kubischen Formen ebenfalls sehr wandelfähige Bleiglanz ist hier zu nennen.

Bild 9: Pyrit-Kuboktaeder (Größe 1 cm) (Dogger z / Ornatenton, Schwäbische Alb)
(Foto: Blume)


Wahrlich – ein lehrreiches Spielgerät!
Das Spiel-Kuboktaeder stellt diese Firma her:

Berliner Seilfabrik
Lengeder Straße 4
D-13407 Berlin - Reinickendorf
www-berliner-seilfabrik.com


Im Firmenkatalog können Sie weitere Spielgeräte aus dem kubischen System betrachten. Es gibt sogar Ikosaeder und Fullerene!

Warum solches Spielgerät so wichtig ist: Nur wer räumliches Vorstellungsvermögen entwickelt, kann auch naturwissenschaftlich denken. Dazu trägt solches Spielgerät schon in frühester Jugend „spielerisch“ bei.


Ein anderes naturwissenschaftliches Spielplatzgerät…
… steht übrigens im Bielefelder Vorort Brake auf dem Spielplatz „Grafenheider Strasse“. Auf dem ersten Blick scheint es sich nur um eine Kletter-Kugel zu handeln.

Bild 10: Klettergerüst in Bielefeld
(Foto: Blume)

Wenn wir jedoch genauer hinsehen, erkennen wir, dass dies ein Modell der Erde sein muss. (Der Maßstab dieser Erdkugel ist etwa 1:107.)

Dafür, dass es sich um das Modell der Erdkugel handeln muss, spricht einiges: Einmal ist die Kugelachse schiefgestellt. Außerdem erkennt man die beiden Polarkreise und den Äquator. Die meisten Eltern werden das alles für Stabilisatoren einer ansonsten schiefstehenden Kugel halten. Schade eigentlich…


Nachtrag (Juli 2008)
Leider besteht das eben beschriebene Modell der Erde nicht mehr. Denn die Braker haben ihren Spielplatz neu gestaltet. Dabei flog das Modell der Erde raus. Und dass, obwohl die Braker erstaunlicherweise sogar einen in der Lokalpresse vielgerühmten „Kulturverein“ pflegen… Aber bei diesem Verein wird nur gefiedelt, geflötet und literarisch gequackelt. Offensichtlich hat bei den Brakern Kultur nichts mit Naturwissenschaften zu tun.

Schade eigentlich. „Pisa“ lässt grüßen!


Rüdiger Blume


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Letzte Überarbeitung: 10. Juni 2010, Dagmar Wiechoczek