Prof. Blumes Tipp des Monats Juni 2000 (Tipp-Nr. 36)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Wenn Wasser beim Abkühlen kocht

Mit herzlichem Gruß an den Stöckhardt-Fan Prof. Dr. Günter Marx, Institut für Physikalische Chemie in der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Technischen Universität in Chemnitz!

Mit dem Luftdruck lassen sich verblüffende Versuche machen. Ein schönes und vor allem zur Diskussion anregendes Experiment schlägt der Chemie-Klassiker J. A. Stöckhardt aus Chemnitz vor. Hier ist seine Originalvorschrift von 1846 [1]:
"Ein halb mit Wasser gefülltes Kochfläschen wird so lange erhitzt, bis das Wasser lebhaft kocht, dann vom Feuer genommen und schnell zugestöpselt; das Kochen wird sogleich aufhören, dagegen wieder lebhaft beginnen, wenn man auf den oberen Teil des Gefäßes kaltes Wasser gießt. Man kann es auf diese Weise selbst dann zum Wallen und Kochen bringen, wenn es nur noch lauwarm ist."

Bild 1: Original-Holzstich aus Stöckhardts Buch


Nun folgt die moderne Vorschrift, angereichert mit einigen Erfahrungen und Hinweisen.

Versuch 1: Wasser siedet beim Abkühlen
Es treten immense Drücke auf, wie der anschließende Versuch 2 zeigt. Implosionsgefahr! Deshalb Schutzbrillenpflicht auch für die Betrachter!
Zum Anfassen des heißen Kolbens legt man sich ein Handtuch zurecht!

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Bild 2: Versuchsaufbau (Foto: Daggi)


Ein bis zum Drittel mit Wasser gefüllter, sprungfreier Rundkolben wird an einem Stativ schräg eingespannt. Einige Siedeperlen werden hineingeworfen. Der offene Kolben wird mit dem Bunsenbrenner über einem Keramikdrahtnetz so lange erhitzt, bis das Wasser lebhaft kocht. Dann werden der Brenner und Dreifuß entfernt; der Kolben wird schnell mit einem Gummistöpsel dicht verschlossen. Das Kochen sollte rasch aufhören. Wenn es nicht aufhört, schließt der Gummistöpsel noch nicht dicht genug, und Luft dringt ein. Erfahrungsgemäß muss man in diesem Fall das Wasser noch einmal zum Sieden bringen und danach das Gefäß besser verschließen.
Man stellt eine Schale unter den Kolben und gießt von oben kaltes Wasser auf das Gefäß. Das Wasser im Kolben beginnt sofort heftig zu sieden. Hört man auf, von außen Wasser laufen zu lassen, hört auch das Sieden auf. Man kann das mehrmals wiederholen (siehe untere Bildreihe), sogar bis das Wasser nur noch lauwarm ist. Zuletzt muss das Kühlwasser aber ausreichend kalt sein, am besten nimmt man Eiswasser.

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Bild 3 (Fotos: Daggi)


Stöckhardt erklärt die Angelegenheit selbst:
"In dem Gefäße ist keine Luft, denn diese wurde durch den Wasserdampf ausgetrieben und konnte bei der Abkühlung und Verdichtung des letzteren nicht wieder eindringen, da der Kork ihr den Weg versperrte. Das Wasser hat also über sich keinen Luftdruck und dann kocht es schon bei einer Wärme von 20 °C. Der leere Raum im Glas enthält nur Wasserdampf, und der lastet anfangs so schwer auf dem flüssigen Wasser, dass das Kochen aufhört; wird er aber durch das aufgegossene kalte Wasser zu Theil verdichtet, so vermindert sich sein Druck so sehr, dass wieder ein Theil Wasser unter kochender Bewegung luftförmig werden kann."

Stöckhardt gibt auch gleich noch eine Belehrung dazu:
"In manchen Fabriken, z. B. in Zuckersiedereien, hat man eigene Apparate (Vacuumpfannen), um Flüssigkeiten im luftleeren Raum zu kochen und zu verdampfen, namentlich solche, welche durch stärkere Hitze leicht verschlechtert werden.
Die Luft ist am dichtesten in der Ebene und am Meere, sie wird umso dünner, je mehr man sich von der Erde entfernt, weil man dann nur noch weniger Luft über sich hat. Es folgt hieraus, dass auf einem Berge das Barometer niedriger stehen und das Wasser leichter kochen muss als im Thale. Auf dem Gipfel des Montblanc steht das Quecksilber nur noch 16 Zoll im Barometer und das Wasser gerät schon bei 84 °C in´s Kochen. Man kann daher sowohl das Barometer als auch den Kochpunkt des Wassers dazu anwenden, um danach die Höhe der Berge, welche sich besteigen lassen, zu berechnen."
(Ein Hinweis: Bei der Berechnung der Höhe muss man natürlich den durch die Großwetterlage bedingten Luftdruck kennen und rechnerisch berücksichtigen.)
Für Interessierte haben wir eine Tabelle mit den korrespondierenden Siedetemperaturen und Siededruckwerten des Wassers zusammengestellt. Ihr könnt euch daraus eine Siedekurve (p-t-Diagramm) zeichnen. Die letzte Zeile der Tabelle enthält übrigens die kritischen Daten für Wasserdampf.

Was lernen wir aus den Angaben von Stöckhardt bezüglich des Montblanc?
Wir können endlich ausrechnen, wie lang ein sächsischer Zoll in modernen Zentimetern ist.

Das Experiment als Schülerversuch
Der Lehrer Johannes Stoffels hat uns eine einfache und zugleich ungefährlichere Variante von Versuch 1 geschickt, die den Versuch auch als Schülerexperiment durchführbar macht.


Eine weitere Demonstration der Wirkung des Vakuums
Wie immens stark die Außenluft auf das durch Abkühlen von Dampf evakuierte Gefäß in Versuch 1 drückt, kann man auch mit einem weiteren, verblüffenden Experiment verdeutlichen.

Versuch 2: Der platte Metallkanister
Man besorge sich einen größeren, dünnwandigen metallenen Farb- oder Lösemittelkanister mit Schraubverschluss. Am besten geht der Versuch mit einem eckigen Kanister. Wenn die Kanisterwand zu stark ist, sollte man vorher schon ein paar versteckte kleine Dellen in die Wand drücken, um das Experiment zu erleichtern. Keinen Behälter aus Kunststoff nehmen!

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Bild 4: Versuchsaufbau; den runden, ziemlich starkwandigen Kanister haben wir zuvor etwas eingedellt
(Foto: Daggi)


Der Kanister wird gut ausgespült, so dass keine entzündlichen Lösemitteldämpfe mehr darin enthalten sind. Dann gibt man Wasser hinein, dessen Menge etwa 5 % des Volumens des Gefäßes beträgt. Anschließend bringt man das Wasser im offenen Kanister zum Sieden. Es muss deutlich Dampf aus dem Kanister austreten! Nach einigen Minuten Sieden nimmt man den Kanister vom Feuer und verschließt ihn rasch mit dem Schraubverschluss. Achtung, der Verschlussbereich ist sehr heiß! Dann legt man den Kanister in eine große Kunststoffschale und gießt mit einem Eimer kaltes Wasser darüber. Augenblicklich dellt sich der Kanister mit einem lauten "Blopp" ein und wird stellenweise sogar plattgedrückt:

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Bild 5 (Fotos: Daggi)


Dieser Versuch lässt sich auch mit einer leeren Getränkedose durchführen. Dazu erwärmt man in der ausgetrunkenen Dose etwas Wasser über einer Kerze oder auf einer Herdplatte. Darauf achten, dass die Lackierung nicht ankokelt! Wenn das Wasser deutlich siedet (man kann es gut hören; stellt deshalb die Partymusik leiser!) und der Wasserdampf aus der Dose austritt, fasst ihr die Dose mit einem Handtuch oder Lappen und stülpt sie umgedreht, also mit der Öffnung nach unten, rasch auf kaltes Wasser. Dadurch kühlt das Wasser nicht nur den Doseninhalt, sondern verschließt auch die Öffnung. Augenblicklich implodiert die Dose.

Bild 6 (Foto: Daggi)
Hierzu gibt es zwei Filme (-> Film 1 (1,9 MB))
und (-> Film 2 (1,2 MB))


Es wird deutlich, wie gering der Luftdruck in den Kochgefäßen bei beiden Versuchen nach dem Abkühlen ist! Das kann man auch anhand der Tabelle ausrechnen. Beträgt der Siededruck bei 100 °C 1,0133 bar, so sinkt er bei 20 °C auf 0,02337 bar. Die Druckdifferenz beträgt 0,9899 bar. Das reicht aus, um den Metallkanister unter dem äußeren Luftdruck kollabieren zu lassen. Ein fehlerhaftes Glasgefäß oder eines mit flachem Boden könnte deshalb in Versuch 1 eine Katastrophe auslösen.


Zum Schluss: Kochen unter hohem Druck
Den umgekehrten Versuch, nämlich nachzuprüfen, ob Wasser unter vermehrtem Druck schwerer siedet, sollte man wegen der Explosionsgefahr der Kochgefäße unterlassen. Es muss ausreichen, bei erhöhtem Luftdruck, also einer Hochdruckwetterlage, Wasser zu kochen und seine Siedetemperatur zu bestimmen. Die vergleicht man mit dem Siedepunkt bei niedrigem Druck, also einer Tiefdruckwetterlage.
Das Kochen in verschlossenen Behältnissen wendet man sogar im Haushalt an: Viele Familien haben einen Dampfdruckkochtopf. Dieser steht beim Sieden im Allgemeinen unter einem Druck von 1,8 bar; das entspricht einer Siedetemperatur von 116 °C (Siehe Tabelle). Bei höherem Druck öffnet sich ein Sicherheitsventil.


Rüdiger Blume und Heiner Schönemann


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Literatur
[1] Ex libris Heiner Schönemann, Neukirchen-Vluyn:


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Letzte Überarbeitung: 12. August 2008, Dagmar Wiechoczek