Wer analytisch gearbeitet hat, kennt das Phänomen: Wenn man die Konzentration von Silbersalzen nach Gay-Lussac titrimetrisch (maß-analytisch) bestimmen will, erkennt man den Äquivalenzpunkt daran, dass die zunächst trübe Lösung schlagartig ausflockt („Klarpunkt“). Vor dem Versuch sollte man warnen: Er geht nicht besonders gut. Dennoch stellen viele die Frage, wie es zum Klarpunkt kommt. Hier ist zur Erinnerung eine etwas stark vereinfachte Versuchsanleitung:
Zunächst bemerkt man nur eine helle Trübung, wie sie für kolloidale Lösung typisch ist. Es bilden sich auch schon einige größere Brocken, die sich aber beim Rühren oftmals wieder auflösen. Einen deutlichen Umschlagspunkt gibt es nicht, aber man sieht im Bereich zwischen 20 und 25 ml, also bei Annäherung an den Äquivalenzpunkt, dass der Niederschlag zunimmt und gröber wird.
Zunächst ist hier die Reaktionsgleichung für die Entstehung von Silberchlorid: Dieses Silberchlorid bildet zunächst eine kolloidale Lösung. Die ist stabil, weil sich an diese feinstverteilten Silberchlorid-Aggregate, die schon Ionengitterstruktur aufweisen, überschüssige Silber-Ionen anlagern. Eine Frage wird an dieser Stelle immer gestellt: Warum bleiben die Silber-Ionen nicht bei „ihren“ Nitrat-Ionen? Die Anlagerung an die Kolloid-Oberflächen erfolgt aufgrund der stärkeren Tendenz der (hydratisierten) Silber-Ionen, sich an Chlorid-Ionen zu binden - auch wenn diese in den Außenschichten der AgCl-Gitter stecken. Bei den folgenden schematischen Darstellungen wird auf die Berücksichtigung der Gegen-Ionen der Silber-Ionen (NO3-) sowie der Wassermoleküle verzichtet. Bild 1: Anlagerung von hydratisierten Silber-Ionen (blau gezeichnet) an Silberchlorid
Bild 2: Kolloidale Lösung von Silberchlorid nach Versuch 1
Die Deutung des Vorgangs ist analog zu der des Versuchs 1: Auch hier bildet sich zunächst eine trübe Lösung von Silberchlorid. In diesem Fall jedoch ist die kolloidale Lösung deswegen stabil, weil sich an diese feinstverteilten Silberchlorid-Aggregate überschüssige Chlorid-Ionen anlagern. Die bevorzugen die in den Außenbereichen des AgCl-Gitters fixierten Silber-Ionen. Bei den folgenden schematischen Darstellungen wird auf die Berücksichtigung der Gegen-Ionen der Chlorid-Ionen (Na+) sowie der Wassermoleküle verzichtet. Bild 3: Anlagerung von hydratisierten Chlorid-Ionen (blau gezeichnet) an Silberchlorid
Bild 4: Kolloidale Lösung von Silberchlorid nach Versuch 2
Es wird ab und zu erwähnt, dass der Versuch mit Kaliumbromid statt mit Natriumchlorid besser geht. Sie können das ja mal ausprobieren.
Rüdiger Blume
Diese Seite ist Teil eines großen Webseitenangebots mit weiteren Texten und Experimentiervorschriften auf Prof. Blumes Bildungsserver für Chemie. Letzte Überarbeitung: 31. Juli 2014, Dagmar Wiechoczek |