Prof. Blumes Tipp des Monats Oktober 2008 (Tipp-Nr. 136)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Heizen mit Gras?

Bild 1 (Foto: Christel)


Jetzt ist es Zeit, noch einmal den Rasen zu mähen. Bauern fahren die letzte Heuernte ein. Dabei gibt es wieder einmal Möglichkeiten, an naturwissenschaftliche Inhalte anzuknüpfen.

Zum Beispiel auf die chemische Art und Weise: Wonach riecht frisch geschnittenes Gras? Richtig – es handelt sich um Cumarin, das wir schon von der Maibowle her kennen. Das setzen verletzte Pflanzen auf enzymatischem Wege frei, um Fressfeinde von weiterer Schädigung abzuschrecken.

Heute geht es uns aber um etwas anderes: Bauern, die Heu ernten, müssen dabei vieles beachten. Zum Beispiel kann sich feucht eingelagertes Heu entzünden! Das hat schon viele Bauernhöfe und anderes in Brand gesetzt. Hierzu eine Zeitungsmeldung aus dem Sommer 2006:

Brennender Rasenschnitt
Im Zwischenlager eines Kompostwerks entzünden sich ca. 1.000 Kubikmeter Rasenschnitt und stehen rasch in Flammen. Nur dem raschen Eingreifen von 140 Feuerwehrleuten ist es zu verdanken, dass die Flammen nicht auf ein benachbartes, großes, dazu noch ausgetrocknetes Waldareal übergreifen. (Bad Driburg)

Oder diese Meldung vom Sommer 2010:

Rasenschnitt entzündet Mülltonne
Schwarzer Qualm aus der Biotonne alarmiert die Hausbesitzer. Die Feuerwehr muss kommen, um den Brand zu löschen, bevor der auf das Haus übergreift. Trotzdem entsteht am Haus ein Schaden von 5000 €. Die Hausbesitzer hatten frischen Schnitt von gut gewässertem Rasen in die Biotonne gefüllt. Der Polizeisprecher meint, das Gras habe sich wegen der hohen Temperatur von 36 °C selbst entzündet. (Bielefeld)

War nur das ungewöhnlich heiße Juliwetter schuld, wie der Polizeisprecher vermutete? Das kann nicht sein, denn dann wäre die Biotonne ja eine Art Wärmepumpe… Die Wärme muss also auf andere Art und Weise entstanden sein, und zwar in der Tonne. Sicherlich war dabei die Julihitze förderlich.


Wie kann so etwas überhaupt passieren?
Wenn man mal wieder einen Rasen mäht, kann man das das selber nachprüfen: Man lässt einen Grashaufen einige Stunden still liegen und steckt dann ein Thermometer tief hinein. So kann man bei großen Haufen im Sommer locker um die 60 °C messen. Wenn man dann den Haufen auseinander nimmt, sieht man, dass er innen gelb geworden ist, sich heiß anfühlt und dass er sogar mächtig dampft.
Das kann jedermann schon mit besonders fein zerkleinertem Gras in einem Marmeladenglas nachprüfen. Besser und wissenschaftlicher geht es so:

Versuch: Der heiße Grashaufen
Hinweis: Das Versuchsergebnis ist umso eindrucksvoller, je höher die Umgebungstemperatur ist. Deshalb sollte man die Eimer in die pralle Sonne stellen.

Durchführung: Zwei Plastikeimer werden mit frisch geschnittenem, feuchten Gras gefüllt. Je feiner das Gras zerschnitten ist, desto besser funktioniert der Versuch. Das Gras drücken wir etwas (aber nicht zu stark!) zusammen. Wir stecken möglichst lange Thermometer hinein; wir können aber auch ein elektrisches Thermometer (Thermoelement) nehmen.
Gleich zu Beginn und danach wird etwa jede Stunde die Temperatur abgelesen und notiert. Wir tragen in einem Diagramm die Temperatur gegen die Zeit auf.

Ergebnis: Die Temperatur des Grases steigt innerhalb von einigen Stunden deutlich an. Sie hält sich ziemlich lange. Im Verlaufe eines Tages sinkt sie wieder ab.

Den anderen Graseimer benutzen wir, um parallel zur Temperaturmessung ab und zu mal rasch nachzusehen, ob und wie sich das Gras im Innern des Haufens verändert.

Ergebnis: Wenn die Temperatur besonders hoch ansteigt, färbt sich das Gras im Innern erstaunlich rasch gelb. Dann erkennen wir auch, dass beim Anheben des Grases der warme Eimerinhalt regelrecht dampft.


Bei unserem Versuch (leider an einem kühlen Herbsttag) erhielten wir ausgehend von 18 °C eine Maximal-Temperatur von 31,8 °C. Hier ist unsere Temperatur-Zeit-Kurve.

Bild 2: Temperatur-Zeit-Kurve zu unserem Versuch


Trotz der kühlen Umgebung hielt sich die Wärme im Eimer fast über einen Tag hinweg! Die Grasfarbe hat sich allerdings nicht sonderlich verändert, und so richtig gedampft hat es auch nicht.


Wie kommt es zur Wärmefreisetzung?
Steigerung der Temperatur bedeutet grundsätzlich Freisetzung von Wärme(energie).

Zusammenfassend kann man zu unserem Versuch Folgendes sagen:

Der Grund für die Hitzeentwicklung liegt zum Ersten in der Tätigkeit von Bakterien und Pilzen sowie anderen Mikroben, die das Gras zersetzen. Das Gras ist von ihnen übersät. So wie wir Speisen in Mund, Magen und Darm abbauen und verdauen, machen es die Kleinen auch. Dabei wird Wärme frei. Daher stammt auch bei uns ein großer Teil der Wärme, die unseren Darmtrakt aufheizt!

Nun etwas genauer:

Zunächst einmal nutzen Bakterien und Pilze das Gras als Nahrungsquelle. Sie leben aerob und oxidieren die Pflanzeninhaltsstoffe zum Energiegewinn oder bauen aus ihnen eigene Biomasse auf. Dabei wird letztlich auch eine Menge Wärme frei. Schematisch können wir das so schreiben:

Hinzu kommt aber noch ein anderer Effekt. Viele der Pflanzeninhaltsstoffe bestehen aus Makromolekülen. Zu nennen sind vor allem die Polysaccharide (Stärke, Cellulose und so weiter), die Proteine und dann noch die Nucleinsäuren. Hinzu kommen noch andere zusammengesetzte Moleküle wie die von Fetten und Ölen.

Es handelt sich dabei letztlich um Produkte von Kondensationsreaktionen. Allen gemeinsam ist, dass zu ihrer Synthese Energie aufgewendet werden muss. Wenn wir solche, sich energetisch auf hohem Niveau befindenden Moleküle in ihre Bausteine zerlegen wollen, müssen wir sie hydrolysieren. Dabei wird ein Großteil derjenigen Energie, die zur Synthese der großen Moleküle hineingesteckt wurde, wieder freigesetzt – und zwar weitgehend als Wärme.

Bleibt noch das Problem der Aktivierung dieser Hydrolysereaktionen. Im Labor müssen wir dazu die Makromoleküle kräftig in Säure kochen. Anders ist das in unserem Bio-Versuch: Hier besorgen Enzyme die Hydrolyse, entweder die Enzyme der Zellen des Grases oder die der Mikroorganismen, die das Gras als Nahrungsquelle nutzen. Enzyme benötigen nur eine äußerst geringe Aktivierungsenergie, so dass die enorme Wärmemenge, die bei unserem Versuch frei wird, erklärlich ist.

Die Physik liefert zu unserem Versuch noch folgenden Beitrag: Wärme ist speicherbar. Sie kann also „angehäuft“ oder meinetwegen auch „gestapelt“ werden. Naturwissenschaftler sprechen von einer extensiven Größe. Somit heizt sich der Grashaufen bei konstanter Reaktionsaktivität nach und nach auf, wenn er nicht stark abgekühlt wird.

Unterstützt wird das Zersetzen des Grases durch Bakterien, die sich erst ab 60-70 °C so richtig wohlfühlen. Man nennt sie deshalb „thermophil“, also „wärmeliebend“.

Bei größeren Grashaufen kann die Hitze nicht abziehen, sammelt sich und trocknet das Gras im Innern, bis es sich entzündet. Das ist so, als wenn man eine angeknipste Nachttischlampe unter die Bettdecke stellt. Nach einiger Zeit fängt das Bett an zu brennen. So haben unsere beiden Söhne, als sie noch klein waren, beinahe unser Haus abgefackelt.

Da die Bakterien zum Leben und Gedeihen Feuchtigkeit benötigen, ist gut getrocknetes Heu nicht gefährlich.

Das Ganze ist natürlich eine Frage der Menge des Grases. Je größer der Haufen, desto weniger kann die Wärme abziehen. Zur Beruhigung sei gesagt, dass unsere Eimer wohl kaum brennen werden. Bei einem gut gefüllten Heuschober ist das schon etwas anders…


Welche Temperatur können wir in unseren Versuchen überhaupt erreichen?
Das möglichst fein geschnittene Gras und die Versuchsumgebung müssen eine gewisse Mindesttemperatur aufweisen, damit die Mikroorganismen überhaupt arbeiten. Das gilt auch für die anderen enzymatischen Reaktionen, die wir beschrieben haben. Der Umfang der Temperaturerhöhung ist also eine Frage der Außentemperatur. Bei unserem Versuch betrug letztere bei herbstlichem Wetter nur 18 °C, nachts sogar noch weniger (unter 14 °C).

Im Sommer haben wir den Versuch schon einmal durchgeführt. Dabei haben wir wesentlich höhere Gras-Temperaturen gemessen – bis zu 60 °C! Denn wenn ein Grashaufen in der Sonne so richtig schön vor sich hinbrüten kann, laufen die Abbauprozesse natürlich schneller und dazu noch umfassender ab. (Zur Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit von der Umgebungs-Temperatur klicke hier und klicke hier.) Das heißt, dass in den warmen Grashaufen die Temperatur aufgrund erhöhter Reaktionsaktivität schneller ansteigt und sich das Gras rascher gelb färbt.

Allerdings hält sich dann die Wärme nicht so lange, da der Sauerstoff rascher verbraucht wird. Aber dafür war das Gras nach wenigen Stunden deutlich gelblich verfärbt.

Es spricht also einiges dafür, den Versuch im warmen Klassenzimmer durchzuführen…

Um die Rolle des Sauerstoffs zu verdeutlichen, sollte man dieses Gas dem Gras zuführen. Dazu kann man von vornherein vor dem Einfüllen des Grases einen Schlauch zum Gaseinleiten in den Eimer mit einbauen. Ergebnis: Die Temperatur steigt nach einer kurzen Abkühlphase deutlich an.


Bioheizung mit Rasenschnitt?
Eigentlich könnte man auf die Idee kommen, mit feuchtem Gras zu heizen. Aber da das Ganze schwer steuerbar ist, lässt man die Finger davon.

Bild 3: Heuwender bei der Arbeit
(Foto: Blume)


Der Heu erntende Bauer trocknet das Gras auf der Wiese, indem er es häufig wendet. Er weiß: Trocknes Gras entzündet sich nicht. Durch das schnelle Trocknen bleiben außerdem die für die Tierfütterung wichtigen Inhaltsstoffe der Pflanzen erhalten. Zwar sorgt das Wenden immer wieder für gute Durchlüftung, also auch für Sauerstoffzufuhr. Das sollte noch mehr Wärme produzieren. Aber wegen des parallel ablaufenden Trocknens ist das nicht so gravierend. Das unterscheidet einen Heu- von einem Komposthaufen. Im letzteren will man ja Biomasse platzsparend zu Humus abbauen.

Es gibt aber auch höhere Lebewesen, die davon profitieren, dass Rasenschnitt heiß wird.

Bild 4 (Foto: Blume)


Sind die Nächte schon recht kühl, so suchen sich Igel Grasschnitthaufen als mollige Schlafstätten aus. Will man diese Grashaufen am nächsten Tag wegräumen, sollte man erst einmal vorsichtig tasten, ob sich nicht darin ein Stacheltier befindet… Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Das piekst ganz schön!


Nachtrag 2019
Seit 2018 sind viele Bäume durch Stürme gefallen oder durch arge Trockenheit abgestorben. Fichten leiden extrem unter Borkenkäfern und müssen gefällt werden. Dadurch fällt viel Abfall-Holz an. Das wird vor Ort gehäckselt. Diese großen Häckselhalden sind ebenfalls ein Beispiel für Selbst-Erhitzung. Wenn es mal geregnet hat, dampfen sie mächtig:

Klick mich an!

Bild 5: Häckselhalde
(Foto: Blume)


Rüdiger Blume


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Letzte Überarbeitung: 08. Januar 2012, Dagmar Wiechoczek