Bild 1: Herbstzeitlose
Mit ihrer Giftigkeit hängt auch ihr wissenschaftlicher Gattungsname Colchicum zusammen. Der leitet sich von Kolchis, einem sagenhaften Königreich am Schwarzen Meer ab. Dort lebte, wie der griechischen Argonauten-Sage vom (auch für die Gold-Gewinnung interessanten) Goldenen Vlies zu entnehmen ist, die Königstochter Medea, die als Ränkeschmiedin, Zauberin und Giftmörderin berüchtigt war. Beim Betrachten der schönen Blüten wundern sich viele, dass die Herbstzeitlose scheinbar keine Blätter hat. Im Herbst zeigt sie tatsächlich nur ihre Blüten. Die befruchtete Samenanlage wandert in den Boden in die große Zwiebel und entwickelt sich über den Winter hinweg, wird dort quasi ausgebrütet. Im Frühjahr treibt die Pflanze zunächst tulpenartige, große grüne Blätter aus und dann die Samenkapsel. Diese Form der Entwicklung hat zur Folge, dass viele die Herbstzeitlose im Frühling für eine andere Pflanze halten als im Herbst. Die sich im Frühjahr bildenden grünen Blätter können leicht mit denen des Bärlauchs verwechselt werden. Im Gegensatz dazu sind die Blätter der Herbstzeitlosen aber geruchlos. Das hauptsächliche Gift der Herbstzeitlosen heißt Colchicin. Es handelt sich um ein Alkaloid, ist also stickstoffhaltig. Grundkörper ist ein ungewöhnlicher Ring: Cycloheptan. (Den kennen wir schon vom Atropin her, dem Alkaloid der Tollkirsche.) An diesen Ring ist ein Tropolon ankondensiert, ein Derivat von Cycloheptatrien. Man spricht deshalb von einem Tropolon-Alkaloid.
Wenn man sich die Molekülstruktur anschaut, erkennt man, dass Colchicin eine unpolare Substanz ist. Deshalb kann man direkt nach dem Verzehr der giftigen Pflanzenteile versuchen, durch hohe Dosen von Aktivkohle die unpolare Substanz zu binden. Als unpolare Substanz kann Colchicin leicht Barrieren von Organen und Zellen durchdringen. Im Zellinneren bindet sich Colchicin vor allem an die so genannten Mikrotubuli. Darunter versteht man röhrenförmige Proteinstrukturen, die zur Stabilisierung der Zellen und zu innerzellulären Transportvorgängen dienen. Es kommt zu einer Behinderung aller zellulären Prozesse und Funktionen. Ein Beispiel ist der Transport von synaptischen Bläschen in den Neuronen, der durch Colchicin behindert wird. Auch Ausscheidungen werden unterbunden. Synthetisierte Botenstoffe werden nicht mehr ausgeschleust. Der Immunapparat wird gestört. Kollagen und Keratin bleiben in der Zelle, Bindegewebe und Haarfollikel werden nicht mehr versorgt. Auch wird die Funktion der Nieren stark beeinträchtigt. Besonders erschwerend ist, dass während der Zellteilung (Mitose, Meiose) die Tätigkeit des Spindelapparats blockiert wird, weil die Spindeltubuli angegriffen werden. Das hat zur Folge, dass Colchicin die Verteilung der Chromosomen auf die neuen Zellen verhindert. Es wirkt als Mitosegift. Kurz gesagt: Die Vergiftung mit Herbstzeitlosenblättern oder mit ihren Früchten hat ein allgemeines Körperversagen zur Folge. Da vor allem junge Menschen wegen ihres Wachstums betroffen sind, sollte man gerade diese vor dem Verzehr der Pflanzenteile warnen. Dass nicht mehr Weidetiere betroffen sind, liegt daran, dass sie die Herbstzeitlosen meiden.
Rüdiger Blume
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