Zur Salzgewinnung mit Gradierwerken

In vielen Kur- und Heilbädern entdeckt man mitten im Ort oder im Kurpark hohe Mauern. Besonders im Nebel wirken sie wie Festungsbauten aus vergangenen Tagen.

Bild 1: Dieses Bauwerk in Bad Rothenfelde ist 412 m lang und 10 m hoch.
Die Windmühle am Ende ist eine Solepumpe
(Foto: Blume)

Was hat es damit auf sich? Es handelt sich um Gradierwerke. Sie dienen der Salzgewinnung.

Kochsalz ist immer ein besonders begehrtes Gut gewesen. Schon früh hat man deshalb in Deutschland Salinen (lat. sal, Salz und salinae, Salzwerk) gegründet. Denn an vielen Orten in Deutschland gibt es salzhaltige Quellen. (Klicke hier.)

Will man aus diesen Solequellen Kochsalz gewinnen, so gibt es zwei Probleme: Zum einen sind ihre Salzkonzentrationen im Allgemeinen sehr gering. Sie liegen um 5-6 %. Würde man diese gering konzentrierte Sole zur Salzgewinnung in Siedepfannen eindampfen, so wäre der Aufwand an Energie beträchtlich. Dazu kommen noch fehlende Energie-Ressourcen. Früher nahm man zum Beheizen der Siedepfannen ausschließlich Holz oder Holzkohle (was zum Beispiel dem Lüneburger Raum seinen ganzen Buchen- und Eibenwald gekostet hat, als man große Mengen an Salz zum Einpökeln der Heringe - dem Haupthandelsgut der Hanse - benötigte).

Zum anderen sind diese Solequellen oftmals mit hohen Anteilen von Calcium sowie Magnesium, Eisen und Mangan belastet. Störend wirken auch die Anionen wie Hydrogencarbonat, Carbonat, Sulfat und Phosphat. Deshalb fallen beim Eindampfen der Sole ständig die Fremdsalze aus und verunreinigen das Speisesalz.

Um die Sole zu konzentrieren und um sie von Fremdsalzen zu befreien, hat man ab etwa 1600 Gradierwerke entwickelt. Das Wort hat den gleichen Ursprung wie das uns von der Temperaturmessung her bekannte Grad, letztlich hergeleitet von der alten Bezeichnung für Schritt (lat. gradus). Ein Temperaturgrad ist also ein Temperaturschritt. Gradieren bedeutet somit „schrittweise aufkonzentrieren“.

Bild 2: Gradierwerk in Bad Rothenfelde.
Man sieht die Dornenwand, unten den Kanal für die abfließende Sole, die immer wieder hochgepumpt wird
(Foto: Blume)


Das Prinzip des Gradierens…
… ist einfach: Man baut aus Baumstämmen riesige Holzgerüste, die wie in Bad Rothenfelde 412 m lang und 10-12 m hoch sein können. Stahl ist als Baumaterial ungeeignet, da die Sole stark korrodierend wirkt. Andererseits wird Holz durch den Kontakt mit der Sole regelrecht vom Salz imprägniert und so wie gepökelt vor Pilzbefall geschützt. Die Zwischenräume des Gerüstes füllt man mit gut gepackten Zweigbündeln von Schlehen (Schwarzdorn), die eine große Oberfläche aufweisen und besonders stabil sind. Auf diese Weise erhält man eine Mauer, die „Dornwände“. Nun pumpt man die Sole hoch und lässt sie langsam über die Schlehenzweige rieseln („lecken“). (Aus diesem Grunde heißen die Gradierwerke auch Leckwerke.) Wind, Sonnenwärme und nicht zu starker Frost sorgen für Verdunstung des Wassers. (Wir sehen, dass ein Gradierwerk am besten bei gutem Wetter funktioniert. Denn Dauerregen macht die Bemühungen des Aufkonzentrierens der Sole rasch zunichte…).
Nach dem Herunterrieseln wird die auf diese Weise angereicherte Sole aufgefangen, wieder hochgepumpt (zum Beispiel mit Pumpen, die durch Windkraft angetrieben wurden) - und so geht der Kreislauf weiter. Man sollte ruhig mal ein paar Tropfen des Rieselwassers probieren: Das schmeckt ganz schön salzig!

Wenn sich eine Sole von etwa 25 % Speisesalzgehalt gebildet hat, binden die Ionen des Salzes die Wasserdipole so stark, dass zur weiteren Einengung mehr Energie erforderlich ist als Wind und Sonne bereitstellen können. Dann müssen die Lösungen durch Kochen eingedampft werden. Welche Energiemengen dazu notwendig sind, wird deutlich, wenn man liest, dass die Gewinnung von 1 kg Speisesalz aus 24 %iger Sole immer noch 120 kg Koks erfordert! Da bringt es schon viel, wenn man die Sole in den Gradierwerken auf natürliche Weise durch Eindunsten vorkonzentrieren kann.

Bild 3: Schlehenzweige in der Dornenwand eines Gradierwerks.
Unten sieht man die abfließende aufkonzentrierte Sole
(Foto: Blume)


Beim Gradieren werden auch die Fremdsalze abgetrennt
Die Schlehenzweige überziehen sich beim Verrieseln und Verdunsten der Sole mit den schwerlöslichen Fremdsalzen. Man spricht von Salinenstein oder Dornstein. Hier sind vor allem Gips (Calciumsulfat; CaSO4 • 2 H2O), Kalkstein (Calciumcarbonat; CaCO3) und Bitterspat (Magnesiumcarbonat; MgCO3) sowie deren 1:1-Mischung Dolomit (CaCO3 • MgCO3) zu nennen, welche graue Beläge bilden.

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Bild 4: Grauer Dornstein (Foto: Blume)


Man fragt sich zu Recht, ob die Menge an (Hydrogen-)Carbonat-Ionen in der Sole ausreicht, um Mg2+ und Ca2+ (und viele andere Ionen, wie wir gleich hören werden) fast quantitativ abzuscheiden. In seltenen Fällen ist das CO2 Bestandteil der Solequelle, wenn sie wie z. B. in Bad Rothenfelde aus einem Untergrund mit vulkanischer Aktivität stammt. Aber auch ohne diese CO2-Quelle sättigt sich die Sole immer wieder neu mit diesem Gas, weil sie beim Herabrieseln über die Dornenwände im ständigen Kontakt mit der Außenluft steht und daraus das CO2 herauslöst. Das ist ein weiterer, wahrlich nicht zu unterschätzender Vorteil der Gradierwerktechnik!

Nun zu den gelben und braunen Ablagerungen. Diese bestehen vor allem aus einer Vielzahl von verschiedenen Eisen(II,III)-hydroxiden und -carbonaten (zum Beispiel aus braunem Eisen(III)-hydroxid Fe(OH)3 • aq, „basischem“ Eisen(III)-hydroxid-carbonat Fe(OH)CO3 sowie gelbem Siderit; FeCO3). Hinzu kommen entsprechende Mangan(II,IV)-carbonate sowie Braunstein (MnO2 • 2 H2O).

Bemerkenswert ist, dass die Ablagerungen der Verbindungen nicht gleichmäßig, sondern zonenweise erfolgen. Das fällt ganz besonders bei den farbigen Verbindungen auf. Diese Gruppenfällung ist vielleicht durch frühe Bildung entsprechender Kristallisationskeime angeregt worden.

Alle 30-40 Jahre tauscht man die beladenen Schlehenzweige der Dornenwand aus. Der Grund dafür ist eigentlich nur, dass sie zu schwer werden und das Gradierwerk dadurch instabil wird. Früher hat man übrigens Strohwische anstelle von Bündeln von Schlehenzweigen genommen. Das Stroh hat aber den Nachteil, dass es leicht verfault und jedes Jahr ausgetauscht werden muss. Auch ist nicht jedes Holz geeignet - deshalb bleibt der besonders widerstandsfähige Schlehenbusch (der Schwarzdorn) konkurrenzlos.


Woher stammt das Salz der Salzquellen?
In Deutschland gibt es viele Salzstöcke, die letztlich aus der Zechsteinformation des Perm stammen. Hierzu haben wir eine besondere Webseite.


Besuchen Sie doch einmal ein Gradierwerk!
Um die 35 Kurorte gibt es allein in Deutschland, in denen solche Bauwerke stehen. Diese erzählen uns (wie wir gesehen haben) viel über Physik und Chemie sowie Technikgeschichte. Machen Sie die Gradierwerke doch einmal zum Gegenstand eines Chemieprojekts und einer Exkursion. Sie könnten Proben von den Dornsteinen mitnehmen und im Chemieunterricht mit einfachen Handversuchen analysieren lassen. Auch die Sole kann von den Schülern untersucht werden.

In unseren Webseitengruppen Kristallchemie sowie Wasser und Leben bringen wir übrigens eine Reihe von Webseiten zum Thema „Salz“.

In einem alten Buch*), das sich mit Salzgewinnung befasst, wird erstaunlich all das angesprochen, was wir eben gesagt haben.


*) Literatur:
Friedrich Hoffmanns Kurtze doch gründliche Beschreibung des Saltz-Wercks in Halle. Halle, in Verlegung des Waysen-Hauses, MDCCVIII (1708).

(Reprint 1990 durch die Gesellschaft für Umwelt- und Wirtschaftsgeologie mbH, Berlin, Invalidenstraße 44.)


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Letzte Überarbeitung: 22. November 2011, Dagmar Wiechoczek