5.11 Phosgen und Epichlorhydrin - wichtige aber gefährliche Chemikalien

Jedes Lehrbuch der Organischen Chemie [6] oder der Technischen Chemie gibt Aufschluss über die Vielseitigkeit der Verwendung dieser hochreaktiven Stoffe. Hier soll kurz darüber berichtet werden - exemplarisch für die Verwendung vieler anderer gefährlicher Grundchemikalien.

1. Phosgen
Phosgen COCl2 ist ein giftiges Gas, das sogar beim Erhitzen von Chloroform CHCl3 mit dem Bügeleisen entstehen kann:

CHCl3 + ½ O2 ————> COCl2 + HCl

Es ist stets in Chloroform enthalten, da es sich auch unter Lichteinwirkung bildet. Deshalb bewahrt man Chloroform in dunklen Flaschen auf. Dem Narkose-Chloroform fügt man stets etwas Ethanol zu, um etwaiges Phosgen durch Bildung von Kohlensäurediethylester unschädlich zu machen.

Phosgen spielte eine unrühmliche Rolle als Kampfgas - es setzt in der Lunge (wahrscheinlich unter Beteiligung von Enzymen) hydrolytisch Salzsäure frei, die das Lungengewebe verätzt:

COCl2 + H2O ————> CO2 + 2 HCl

Phosgen wurde auch beim Chemieunfall in Bophal (1985) emittiert - ein Faktum, das diese Substanz in das Bewusstsein der Öffentlichkeit brachte. Hier diente es zur Herstellung von Methylisocyanat (s. u.). Phosgen ist also keine exotische Substanz, sondern sozusagen eine "Allerwelts-Chemikalie".

Chemisch ist Phosgen das Dihalogenid der Kohlensäure, also eher eine anorganische Verbindung. Es wird heute hergestellt, indem man bei gering erhöhter Temperatur Kohlenmonoxid und Chlor an Aktivkohle als Katalysator miteinander reagieren lässt:

Typisch ist der heuartige Geruch.

2. Epichlorhydrin
Diese durch unvorsichtiges Hantieren und sorgloses Transportieren ins Gerede geratene hochtoxische, nach Chloroform riechende Flüssigkeit wird aus dem Crackgas Propylen gewonnen. Hierbei bindet man Chlor bei 500 °C an Propylen (1) und setzt das gebildete Allylchlorid (2) mit unterchloriger Säure HOCl zu Glycerindichlorhydrin (3) um. Unter Einwirkung von Kalkmilch Ca(OH)2 wird Chlorwasserstoff HCl abgespalten, wobei Epichlorhydrin (4) entsteht:

Epichlorhydrin ist eine bemerkenswert vielseitige Substanz. Es verfügt über einen reaktiven Epoxidring, der sich wie eine aktivierte Ethen-Doppelbindung verhält, sowie ein Chloratom, welches substituiert werden kann. Die wichtigsten Reaktionen sind:

A. Bildung von Ethern mit Polysacchariden
Aus mikrobiologisch gewonnenen Polysacchariden wie dem Dextran gewinnt man durch Quervernetzung das in analytischen Labors geschätzte Molekularsieb Sephadex:

(Hier ist aber auch der physiologisch bedenkliche Angriffspunkt dieser toxischen Substanz zu suchen: So addiert sich Epichlorhydrin - wie die Epoxide der cancerogenen Aromaten - intrazellulär unter HCl-Freisetzung auch an Proteine und sogar Nucleinsäuren.)

Molekularsiebe halten kleine Moleküle zurück und lassen große Moleküle passieren.

B. Bildung von Epoxidharzen (Polyether)
Aus den Hockschen Reaktionsprodukten (-> 5.10.2) Aceton und Phenol gewinnt man eine bifunktionelle Substanz, Bisphenol A:

Bisphenol A setzt sich mit Epichlorhydrin zur Kunststoffgruppe der Polyether oder Epoxidharze um:

Epoxidharze sind als Einbrennlacke, Gießharze und als Klebstoffe wie Araldit bekannt. Beim Verarbeiten bilden sich Quervernetzungen aus. Sie dienen auch als Grundlage zur Herstellung von Verbundmaterialien, indem man in das Harz vor der Polymerisation Kohlefasern oder Glasfasern einbettet.

C. Ein anderer Reaktionsweg führt zum dreiwertigen Alkohol Glycerin, der als Alkoholkomponente bei der Polyester- oder Polyurethansynthese eingesetzt werden kann. Man kann Glycerin auch direkt als Weichmacher sowie als Edukt zur Herstellung von Weichmachern auf Esterbasis verwenden. Glycerin ist auch der Grundstoff für Nitroglycerin (Dynamitgrundsubstanz).

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Letzte Überarbeitung: 10. Oktober 2006, Dagmar Wiechoczek