5.12 Kunststoffe

Unser Zeitalter ist das Kunststoffzeitalter: Immer mehr natürliche und mineralische Werkstoffe sowie Metalle werden durch Kunststoffe ersetzt. Die PRIL®-Flasche könnte einst das Leitfossil unserer Epoche sein.

Kunststoffe sind Werkstoffe, die i. a. aus organisch-chemischen Makromolekülen bestehen. Makromoleküle sind aus kleinen Molekülen aufgebaut, den Monomeren. Diese sind untereinander identisch oder werden zumindest alle durch gleiche Bindungsarten verknüpft.

Es gibt zwei Arten von typischen Monomeren:

- Bi- oder mehrfunktionelle Monomere wie Ethylenglykol (1), Glycerin, Terephthalsäure (2), Hexamethylendiamin (3), Adipinsäuredichlorid (4), Harnstoff (5) oder Phosgen (6):


Abb. 31: Beispiele für mehrfunktionelle Monomere
- Ungesättigte Monomere enthalten Doppelbindungen, die sich beidseitig zur Bindung an zwei andere Moleküle öffnen können. Beispiele zeigt die Abb. 32. Zu nennen sind Ethen (7), Vinylchlorid (8), aber auch Formaldehyd (9) und Diisocyanat (10). Sogar die Epoxide wie Epichlorhydrin (11) lassen sich hier einordnen, da sich der Epoxidring wie eine Doppelbindung verhält.


Es gibt eigentlich nur wenige (10-20) wirklich verschiedene Kunststoffe, die aber als Verbundstoffe, Gemische oder einfach unter verschiedensten Phantasienamen angeboten werden. Weiter sind Copolymerisate denkbar. So wird z. B. Butadien zusammen mit Acrylnitril umgesetzt, wodurch sich die mechanischen Eigenschaften stark verändern. Dadurch wird das Recycling von Kunststoffen problematisch.

Abb. 32: Beispiele für ungesättigte Monomere

Bei den technisch wichtigsten Kunststoffen dienen als Ausgangsstoffe meistens Ethin, Benzol, die Crackgase Ethen und Propylen sowie die Produkte der Hockschen Synthese, Phenol und Aceton (-> Abb. 30). Letztlich sind Erdöl, Erdgas und Kalk sowie Kohle die Edukte für petrostämmige Kunststoffe. Allerdings besinnt man sich immer mehr auf Edukte biologischen Ursprungs (Nachwachsende Rohstoffe; -> 6).

Als Verbindungen mit Kunststoffcharakter können bereits makromolekulare Naturstoffe technische Verwendung finden. Beispiele sind Proteine (Horn oder Schildpatt), Kohlenhydrate (Cellulose) oder Polyisoprenoide (Kautschuk). Es gibt auch natürliche Mischpolymerisate mit unerwarteten mechanischen Eigenschaften (z. B. Lignin/Cellulose) oder Verbundstoffe wie die Knochensubstanz.

Naturstoffe finden oftmals als Ausgangsmaterial zur Synthese von Kunststoffen Verwendung (Halbsynthetika). Dabei werden die Naturstoffe unter Druck und Temperatur mit oder ohne weitere Chemikalien behandelt. Solche Naturstoffe sind z. B.:

- Cellulose: Nitrocellulose (Celluloid), Vulkanfiber, Regeneratcellulose, Viskose, Cellophan.
- Protein wie aus Milch (Casein), Mais (Zein) oder Haar (Keratin): Kunsthorn.
- Kautschuk: Gummi.
- Stärke: Stärkefolien.
- Mischpolymerisate: z. B. Proteine oder Stärke in Verbindung mit Lignin.


5.12.1 Kunststoffarten

Kunststoffe unterscheidet man nach:

Unterscheidung nach dem Aufbau
1. Polymerisate

Bei der Polymerisation werden Doppelbindungen geöffnet und mit anderen Doppelbindungssystemen verknüpft:

In einer Kurzschreibweise zeichnet man nur die Monomeren sowie in einer Klammer das sich wiederholende Bauprinzip des betreffenden Kunststoffs:

Beispiele für Polymerisate sind:

2. Polykondensate
Bei der Kondensation wird je Bindung ein kleines Molekül, meistens Wasser oder Chlorwasserstoff HCl, abgespalten. Beispiel ist die Bildung eines Polyesters (PET):

In Kurzschreibweise

Beispiele für Polykondensate sind:

3. Polyaddukte
Bei den Polyaddukten werden gesättigte an ungesättigte Verbindungen addiert; z. B. Butandiol an Diisocyanate:

In Kurzschreibweise:

Ein anderes Beispiel ist die Addition von Dicarbonsäuren an Epoxide wie Epichlorhydrin (-> 5.12.3).

Beispiele für Polyaddukte sind:

Klassifizierung nach anderen Kriterien
Thermoplaste (PE, PP, PMMA, Polyacryl)
Kunststoffe aus langkettigen, unverzweigten Molekülen, die sich bei Temperaturveränderungen leicht und reversibel verformen lassen.

Duroplaste (Polykondensate wie Bakelit, Harnstoffharze)
Kunststoffe aus quervernetzten Makromolekülen. Sie sind äußerst hart und können nicht ohne Zersetzung umgeschmolzen werden. Aus ihnen werden z. B. Lampenfassungen, Lichtschalter oder Aschenbecher hergestellt.

Elastomere (Kautschuk, Buna)
Gummielastische Kunststoffe. Sie sind ähnlich wie die Duroplaste nicht umschmelzbar, aber nicht so hart.


5.12.2 Einige Beispiele für die Verfahren zur Herstellung von Kunststoffen

Regeneratcellulose (Viskose)
Man behandelt Cellulose mit Natronlauge und anschließend mit Schwefelkohlenstoff CS2. Die sich dabei bildenden Cellulosexanthogenate werden in Schwefelsäurebäder gepresst, wobei sich die Xanthogenate unter Rückbildung (Regeneration) von Cellulose und CS2 zersetzen:

Das Folienmaterial aus Regeneratcellulose, das mit Weichmachern wie Glycerin behandelt wurde, ist das bekannte Cellophan.

Cellulosenitrat und -acetat
Diese Celluloseester werden hergestellt, indem man Cellulose mit Säuren behandelt. Im ersten Fall setzt man Salpetersäure/-Schwefelsäure-Gemische ein, im anderen Essigsäureanhydrid (-> Abb. 33). Nitrocellulose ist auch unter dem Namen Celluloid bekannt. Gefürchtet ist seine leichte Brennbarkeit. (Nitrocellulose findet als Sprengstoff Verwendung.) Acetylcellulose ist als Cellitfilm Grundstoff für Sicherheitsfilme. Aber auch die Zigarettenfilter bestehen daraus.

Abb. 33: Bildung von Acetylcellulose

Polyamid Nylon
Mit Polyamiden imitiert man den Aufbau der Proteine. Ausgangsstoffe für Nylon sind Adipinsäuredichlorid und Hexamethylendiamin. Ersteres gewinnt man aus Cyclohexanol, das reduktiv aus Phenol gebildet wird. Ausgangsstoff für die andere Komponente sind Butadien und Blausäure. (Zur Synthese der Bausteine aus Hemicellulosen: Nachwachsende Rohstoffe (-> Kap. 6).) Die Reaktion der Nylonsynthese ist:

Polyamid Perlon
Perlon gewinnt man aus e-Caprolactam, dessen Edukt ebenfalls Phenol und letztlich Benzol ist. Das Polyamid bildet sich unter katalytischer Einwirkung von Wasser in einer ringöffnenden Kettenreaktion:

Formaldehydharze
Setzt man Formaldehyd katalytisch mit Phenolen oder Harnstoffderivaten um, bilden sich Duroplaste:

Abb. 34: Beispiele für Formaldehydharze

Typisch für Formaldehydharze ist, dass sie noch lange Zeit Formaldehyd ausdunsten. Beim Erwärmen emittieren diese Harze auch Phenol oder fischartig riechende Amine (typischer Geruch von überhitzten Lampenfassungen).

(Dieses Verhalten ist Grundlage für die grobe Identifizierung von Kunststoffen nach dem Nadeltest. Sticht man mit einer glühenden Nadel in die Kunststoffmasse und prüft den Geruch, so findet man z. B., dass PE nach Paraffin, PP nach Terpentin, PU nach Ammoniak bzw. Aminen und viele Duroplaste nach Phenol oder Aminen riechen. Hierbei kann auch das thermoplastische Verhalten untersucht werden.)

Polyethylen
Ethylen ist ein Gas, das in großen Mengen bei der Erdölverarbeitung durch den Crackprozess, bei dem langkettige Moleküle zu kleineren umgewandelt werden, freigesetzt wird. Früher fackelte man die Crackgase ab. Heute hat man dafür Verwendung gefunden (-> 5.10.2). Durch Zusatz eines Radikalbildners und unter hohem Druck polymerisiert es zu PE:

Polypropylen
Polypropylen ist ebenfalls ein Abfallprodukt bei der Erdölraffination. Die Polymerisationsprodukte (PP) sind kaum von PE zu unterscheiden und werden ebenfalls als Hostalentypen klassifiziert. Durch Zusatz bestimmter anorganischer Katalysatoren (Ziegler-Natta) lassen sich Kettenlänge und sterischer Aufbau und die Eigenschaften variieren.

Teflon
Das Monomere von Teflon ist Tetrafluorethylen. Es wird wie Ethen polymerisiert:

Teflon ist ein hitzestabiles und wasserabweisendes Polymer, das allerdings beim Verbrennen toxische Fluorverbindungen emittiert. Es ist feinstgewebt Bestandteil von Gorextextilien.

Polyacrylnitril
Bei der Addition von Blausäure HCN an Ethin bildet sich Acrylnitril:

Aus Acrylnitril, das auch als Sekundenkleber bekannt ist, baut man Kunststoffe wie Polyacryl auf. Sie werden auch als Chemiefaser bezeichnet. Diese lassen sich so fein verspinnen, dass ihre Oberflächenspannung den Durchtritt von Wasser verhindert, den von Wasserdampf dagegen erlaubt (Verwendung zur Herstellung von regenabweisenden Textilien).

Polyacryl ist u. a. auch Grundlage für die Gewinnung von Carbonfasern (-> 5.12.4; siehe weiter unten).

Polystyrol
Das Monomere von Polystyrol ist Styrol (Vinylbenzol). Es wird hergestellt, indem man Ethen an Benzol in Gegenwart von Aluminiumchlorid addiert (Spezialfall der Friedel-Crafts-Alkylierung). Dabei entsteht Ethylbenzol, welches bei 600 °C (mit Zinkoxid als Katalysator) unter Bildung von Styrol Wasserstoff abspaltet. Die Polymerisationsreaktion ist:

Polymethacrylsäuremethylester
Das Monomere von PMMA, Plexi- oder Acrylglas, ist Methacrylsäuremethylester. Es wird hergestellt, indem man Blausäure HCN an Aceton (z. B. aus der Hockschen Phenolsynthese) addiert und das entstandene Nitril (Cyanhydrin) mit Methanol verestert. (Katalysator ist Schwefelsäure.) Die Polymerisationsreaktion ist:

Polyvinylchlorid
Das Monomere von Polyvinylchlorid PVC ist Vinylchlorid:

Vinylchlorid war schon im letzten Jahrhundert bekannt. Bei der Suche nach Verwendungsmöglichkeiten für Chlor erinnerte man sich wieder dieser Substanz, die man auch gern als die Chlorsenke bei der Gewinnung von Natronlauge bezeichnet. (Der Chloranteil beträgt ca. 56 %.) Vinylchlorid wurde nach seiner Herstellung u. a. auch als Anästhetikum geprüft, wobei man allerdings sehr rasch seine cancerogene Wirkung erkannte.

Dieser Kunststoff hat ein weites Anwendungsspektrum gefunden. So werden beispielsweise die Ummantelungen von Kupferkabeln, Fußbodenbeläge, Rohre und Fensterrahmen, aber auch Flaschen für Speiseöl aus diesem Material gefertigt.

Polybutadien
Die Polymerisation von Butadien erfolgt nach ähnlichen Mechanismen wie die von PE und PP. Auslöser der radikalischen Reaktion kann metallisches Natrium sein (daher der Name Buna).

Interessant ist, dass bei der Polymerisation wie auch im Naturkautschuk eine Doppelbindung erhalten bleibt. Diese kann in einem weiteren Arbeitsgang aufgebrochen werden und zu Quervernetzungen verwendet werden, beispielsweise durch Addition von Schwefel beim Vulkanisieren des Kunstgummis. Der S-Anteil schwankt zwischen 2 % bei Weichgummi und 30 % bei Hartgummi.


5.12.3 (Entfällt)


5.12.4 Spezielle Kunststoffe

Carbonfaser (auch Kohlenstoff- oder Graphitfaser)
Diese Fasern zeichnen sich durch hohe Temperatur- sowie Korrosionsbeständigkeit und hohe Zugfestigkeit aus. Zur Herstellung verkohlt man unter Luftabschluss langfaserige Polymere wie Cellulose oder Polyacrylnitril. Eine andere Herstellung beruht auf Erhitzen und Sublimieren von Kohlenstoff. Dabei bildet sich eine Graphitstruktur aus, die ihre mechanischen Qualitäten allerdings erst in Verbundstoffen zeigt.

Polycarbonate
Polycarbonate sind Polyester der Kohlensäure. Man gewinnt sie durch Reaktion zwischen Phosgen und Bisphenol A.

Abb. 35: Synthese von Polycarbonat

Aus Polycarbonaten werden Schutzhelme, mechanisch hochbeanspruchbare Bauteile und deshalb sogar Essbestecke hergestellt.

Aramid (Kevlar)
Kevlar ist ein Polyamid: Poly-1,4-phenylen-terephthalamid. Es wird aus Terephthalsäuredichlorid und Phenylendiamin hergestellt:

Die Stabilität von Kevlar ist höher als die von Nylon und entspricht der von Stahldrähten, so dass man es z. B. bei der Herstellung von schusssicheren Westen oder als Ersatz von Stahl bei der Herstellung von Helmen gebraucht.

Silicone
Dies sind polymere halborganische Siliciumverbindungen. Grundsätzlich neigt auch Kieselsäure zur Bildung von Polymeren. (Ein extremes Beispiel ist der Quarz bzw. Bergkristall.) Deren Aufbau ist jedoch nur schwer zu steuern. Deshalb geht man von siliciumorganischen Verbindungen, den Silanen (genau: den Dialkyldichlorsilanen), aus, bei denen einzelne OH-Gruppen durch Kohlenstoffreste substituiert sind.

Auf dieser Basis lassen sich gezielt anorganische Kunst- und Werkstoffe wie Öle, Harze und Kautschuk sowie Filme gewinnen. Die Werkstoffe sind von hoher thermischer Stabilität, sind wasserabweisend und je nach Polymerisationsgrad von flüssig über gummielastisch bis hart. Man stellt aus ihnen thermisch und mechanisch hoch beanspruchbare Flüssigkeiten für Bremsen und andere hydraulische Anlagen, Schlauchmaterial, Dichtungsmaterial oder Textilbeschichtungsfilme her.

Verbundstoffe
Darunter versteht man Materialien, die stofflich völlig unterschiedlich zusammengesetzt sind und durch ihre Kombination höchste mechanische oder thermische Eigenschaften aufweisen. Biologische Verbundwerkstoffe sind z. B. Knochenmasse oder Holz. Letztere haben deswegen so hervorragende mechanische Eigenschaften, dass die Fasern während des Wachstums entsprechend der Beanspruchung ausgerichtet werden.

Verbundstoffe spielen in der Technik eine wichtige Rolle. So verklebt man quer zueinander verlegte Glas- oder Kohlefasern mit Epoxidharzen. Solche Werkstoffe setzt man im Schiffbau oder im Flugzeugbau ein (z. B. bei hochbelasteten Teilen wie beim Segelflugzeug oder im Falle des Airbus beim Seitenleitwerk).

[Weiterblättern]


Diese Seite ist Teil eines großen Webseitenangebots mit weiteren Texten und Experimentiervorschriften auf Prof. Blumes Bildungsserver für Chemie.
Letzte Überarbeitung: 25. August 2010, Dagmar Wiechoczek