Was wir wollen:
Umwelttechnologien - kurz und bündig

"Pädagogen und Politiker reden viel über Umweltprobleme. Doch im Schulalltag kommt dieses Thema kaum vor." Dieser durch Umfragen gestützte Befund hat seine Ursache vor allem darin, dass es bislang kaum einfaches und zugleich umfassendes Lehrmaterial für den experimentell orientierten naturwissenschaftlichen Unterricht mit Bezügen zur Umwelterziehung gab.
Hier sind die naturwissenschaftlichen Didaktiken gefragt. Unsere Arbeitsgruppe DC2 entwickelt deshalb für den gesamten experimentell zugänglichen Bereich der Umweltchemie ein Konzept mit vielen Modellexperimenten, das als Grundlage zur Gestaltung von Unterrichtseinheiten für Chemie und Biologie sowie zur Ausbildung in Umweltwissenschaften beiträgt.


Umweltchemie ist gar nicht so schwer
Die Umweltchemie gilt als ganz besonders schwer zu vermitteln. Denn ihre Fakten sind äußerst vielfältig, die oftmals fächerübergreifenden Zusammenhänge von hoher Komplexität. Anlagen zum Umweltschutz wie die zur Müllverbrennung muten riesig und unübersichtlich an.

Blick auf eine Müllverbrennungsanlage (MVA Bielefeld)
(Foto: Blume)


Bei genauem Hinsehen jedoch reduzieren sich die Hintergründe auf relativ einfache Reaktionen. Damit werden Entstehung, Eigenschaften und Wirkung von Schadstoffen sowie Verfahren zur Minderung von Emissionen anhand anschaulicher Experimente auch für Schüler demonstrierbar. Das ist vor allem auch für Studierende wichtig, die Chemie nur als Nebenfach wählen oder an Weiterbildungen teilnehmen.


Anschauliche Experimente sind unerlässlich
Da umwelttechnologische Verfahren in den Schullabors nur in den wesentlichen Grundzügen nachvollziehbar sind, streben wir an, sie durch neu zu entwickelnde Versuchsvarianten zu ergänzen oder zu substituieren. Die Experimente müssen an die oftmals sehr eingeschränkten Möglichkeiten der Schule angepasst werden und in kurzer Zeit möglichst aussagekräftige Ergebnisse liefern. Dazu arbeiten wir mit überhöhten Modellen, z. B. mit wesentlich höheren als den "natürlichen" Konzentrationen von Schadstoffen. Mit präzisen Handlungsanweisungen tragen wir dem mangelnden Experimentiergeschick Rechnung und schließen Gefährdungen aus.


Das Beispiel Schadgase
Zur Visualisierung von Verfahren der Umwelttechnologie ist besonders die Emissionsminderung von Schadgasen wie den Stickoxiden, Schwefeldioxid, Schwefelwasserstoff oder Ozon geeignet. Die im folgenden Text kurz angerissenen Versuchsvorschriften sind ausführlich auf dieser Webseite und auf der Webseite zum Ozon dargestellt.


1 Die Entstickungsverfahren
Stickoxide (NOx) entstehen bei allen Verbrennungsprozessen - auch in der Kerzenflamme weisen wir sie nach. Die chlorartig riechenden, giftigen Gase wirken auch in Spuren katalytisch bei vielen unerwünschten Reaktionszyklen der Atmosphäre mit und müssen deshalb aus den Abgasen entfernt werden.


1.1 Wie ein Autoabgas-Katalysator arbeitet
Autoabgase werden mit Hilfe eines Katalysators wie Platin "nachverbrannt". Die Reaktionsprodukte sind Stickstoff, Wasser und Kohlendioxid. Es reicht zur Demonstration aber nicht aus, einfach ein Stück eines Katalysatorblocks aus einem Auto zu nehmen. Denn dessen Keramik adsorbiert das NOx nur und setzt es nicht um.
Wir dagegen stellen hochkonzentrierte Modellmischungen aus rotbraunen Stickoxiden, Sauerstoff und Methan bzw. Kohlenmonoxid her. Das Platin befindet sich auch nicht feinverteilt (also unsichtbar) auf einer Keramik, sondern liegt in reiner Form als Drahtnetz vor. Damit können wir zeigen, dass das Platin an der Umsetzung der Abgasmodellmischung beteiligt ist, denn der "arbeitende" Katalysator glüht während der Reaktion hell auf. Das Modell macht außerdem deutlich, dass die Entstickung wie auch in der Technik nicht vollständig erfolgt. Hiermit werden die Grenzen der Möglichkeiten zur Emissionsminderung deutlich. Weiterhin demonstrieren wir auch die reversible Adsorption von NOx an Keramik - allerdings in einem getrennten Versuch.

Bild 1: Modell eines Abgaskatalysators


1.2 Modellreaktion zur Rauchgasentstickung
In den riesigen "DENOX"-Systemen einer MVA oder von Heizkraftwerken wird den Abgasen Ammoniak zugemischt, das unter Mitwirkung eines Katalysators mit NOx zu Wasser und Stickstoff reagiert.
Anders als beim technischen Verfahren ist bei unserem Modellexperiment kein besonderer Katalysator notwendig. Es reicht aus, die beiden hochkonzentrierten Gase in einem Glaskolben zu vermischen. Augenblicklich bilden sich weiße Nebel von Wasserdampf. Der Effekt wirkt geradezu alchimistisch.

     

Bilder 2 und 3
Links: Modellversuch zum DENOX-Verfahren;
rechts: Studierende der Umweltwissenschaften
mit dem Modellversuch zum DENOX-Verfahren (Foto: Daggi)


2 Verfahren zur Entschwefelung
Ökologisch bedenkliche Schwefelverbindungen, die in der Schule demonstriert werden können, sind vor allem Schwefeldioxid und Schwefelwasserstoff.

2.1 Kalksteinverfahren zur Rauchgasentschwefelung
Entschwefelungsanlagen sind mittlerweile bei allen Heizkraftwerken und MVA in einer Vielzahl von Varianten vorhanden. Bei dem uns interessierenden Verfahren wird Schwefeldioxid durch wässrig aufgeschlämmten Kalkstein gebunden. Die Mischung reagiert durch simultane Oxidation mit restlichem Luftsauerstoff zu Gips.

Bild 4: Schema zur industriellen Rauchgasentschwefelung nach dem Kalksteinverfahren


Im Modellversuch zerlegen wir die Reaktion in zwei Schritte, wodurch der Lerneffekt gesteigert wird. Zuerst lassen wir in destilliertem Wasser aufgeschlämmtes feines Kalkpulver mit Schwefeldioxid reagieren. Das Schwefeldioxid gewinnen wir durch Erhitzen von Pyrit, einem stark schwefelhaltigen Eisenerz, das auch in Kohle vorkommt.
Nach einigen Minuten löst sich der Kalkstein auf, die Lösung wird klar. Nun wird zur Oxidation anstelle von Schwefeldioxid Luft durch die Mischung gezogen. Bald trübt sich die Lösung wieder aufgrund von nun gebildetem, schwerlöslichen Gips, erkenntlich an seinen feinen Kristallnadeln.

Bilder 5 und 6: Modellversuch zum Kalksteinverfahren (Foto: Daggi)


2.2 Vernichtung von Schwefelwasserstoff (Clausprozess)
Dieses nach faulen Eiern stinkende Gas, das aus Erdgas oder als Abfall aus der Erdöl verarbeitenden Industrie bei der präventiven Treibstoffentschwefelung stammt, wird mit Schwefeldioxid in Gegenwart eines Katalysators wie Wasser umgesetzt. Auch hier läuft ein verblüffend einfacher Redoxprozess ab: Die beiden Gase reagieren zu elementarem Schwefel und Wasser.

Bild 7: Modellversuch zum Clausprozess


3 Experimente mit Ozon
Die Bedeutung von Ozon ("Oben zuwenig, unten zuviel") muss auch im Unterricht thematisiert werden. Aber kaum eine Schule verfügt über die teuren Apparaturen zu dessen Herstellung. Was die meisten jedoch nicht wissen: Das Schadgas mit seinem "elektrischen Geruch" entsteht als Nebenprodukt bei der Sauerstoffgewinnung durch Elektrolyse von Schwefelsäure. Seine Konzentration liegt bei 2 Promille, also dem 20.000fachen des atmosphärischen Warnwerts von 0,1 ppm.
Damit können wir alle wichtigen Ozonversuche durchführen. Am beeindruckendsten für Schüler und Studierende ist die Wirkung auf gespanntes Gummi. Ein aufgeblasener Luftballon platzt augenblicklich beim Kontakt mit dieser Gasmischung. Ein frischer, ansonsten unzerreißbarer Gummischlauch zeigt bereits nach ein, zwei Minuten Ozoneinwirkung lange Risse. Mit dem Anodengas kann man sogar in 1 cm-Küvetten UV-Spektren des Ozons aufnehmen; die Extinktion beträgt etwa 0,5.

Bild 8: Gummischlauch vor und nach Ozoneinwirkung
(Foto: Daggi)


Umweltchemische Modell-Experimente in den Medien
Die detaillierten Anleitungen zu den vorgestellten Experimenten sind (neben vielen anderen, wie z. B. zu den nachwachsenden Rohstoffen) über Internet auf unserem Chemiebildungsserver dc2.uni-bielefeld.de abrufbar. Diese Webseiten werden nicht nur von Schulen und interessierten Bürgern frequentiert, sondern zudem in Praktika für Studiengänge zu den Umweltwissenschaften eingesetzt und sogar von Firmen und anderen Institutionen zur Fortbildung genutzt. Diese Modellversuche haben auch in modernen Schul- und Lehrbüchern wie z. B. vom Cornelsen-Verlag Eingang gefunden.

Quelle der Graphiken: Schulbücher des Cornelsen-Verlags

Literatur:
R. Blume: Umwelttechnologien kurz und bündig, Forschung an der Universität Bielefeld, 22/2000.


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Diese Seite ist Teil eines großen Webseitenangebots mit weiteren Texten und Experimentiervorschriften auf Prof. Blumes Bildungsserver für Chemie.
Letzte Überarbeitung: 24. Januar 2012, Dagmar Wiechoczek