Keramik im Auto?

Bild 1: Bauernkeramik aus dem
Erzgebirge (Foto: Blume)
Bild 2: Autoteile mit Hochleistungskeramik
(Quelle: Cornelsen)


Unter Keramik versteht man heute in der Öffentlichkeit immer noch brüchige Werkstoffe auf der Basis von Tonmineralien. Letztlich handelt es sich bei deren Rohstoffen und beim Produkt um Mischungen aus Oxiden und Silicaten.
Heute sind Keramiken nicht mehr nur Materialien "aus Luft und Sand". Heute nutzt man zur Herstellung von Hochleistungskeramiken (HLK) zunehmend Carbide, Silicide, Nitride, Boride, Carbide und Titanate.
Ein Vergleich macht den Unterschied zwischen normalen Keramiken und HLK deutlich. Die Beanspruchbarkeit definiert man über Biegefestigkeiten, angegeben in Druckeinheiten. Die Festigkeit von Porzellan beträgt 80 MPa, die von einfachen HLK 800-900 MPa, die von besonders hochwertigen HLK liegt noch weit darüber.
Man hat mittlerweile derartig widerstandsfähige Keramiken geschaffen, dass diese in einigen Bereichen sogar hochwertigen Metallen ("Refraktärmetallen") Konkurrenz machen. Das betrifft zum Beispiel den Bau von Hochtemperaturturbinen. Deshalb lohnt es, sich einmal mit diesen Werkstoffen genauer zu beschäftigen.
Diese HLK finden nicht nur als Kachelmaterial beim Space Shuttle, sondern bereits schon im Autobau Anwendung, z. B. als Turbinenschaufeln im Turbolader, als Ventilfedern oder als Abgaskrümmer.

Andere, besonders belastete Metallteile werden mit HLK beschichtet (Bild 2). Der Grund: Die Energieausbeute (der Wirkungsgrad) eines Motors erhöht sich deutlich, wenn die Arbeitstemperatur erhöht werden könnte. Mit Metallen ist das nicht zu machen, da sie bei Temperaturen oberhalb von 1200 °C dem Druck ausweichen, also zu "fließen" beginnen. Außerdem nimmt ihr Volumen stark zu, so dass Reibungsverluste auftreten, der Motorabrieb sich also um ein Vielfaches verstärkt. Keramiken dagegen zeigen dieses Verhalten nicht. Sie verändern kaum ihr Volumen und weichen dem Druck nicht aus.


Was eigentlich sind Hochleistungskeramiken (HLK)?

HLK sind anorganische, nichtmetallische Werkstoffe mit optimiertem Gefüge für extreme mechanische, thermische, korrosive sowie elektrische Beanspruchung. Im Allgemeinen sind es reine oder legierte bzw. dotierte Stoffe. Hier die wichtigsten Beispiele:

HLK finden Verwendung bei hohen Temperaturen, bei Notwendigkeit hoher Biegefestigkeit, bei hohen Drehzahlen (etc.). Unter diesen Bedingungen sind auch hochgezüchtete, metastabile Metalllegierungen nicht mehr stabil. Denn diese beginnen (wie schon erwähnt wurde) ab 1100-1200 °C dem Druck auszuweichen (sie "kriechen"), während Keramiken dies erst ab 1400 tun. Beispielsweise wird Schneidestahl ersetzt durch Bornitrid BN, künstlichem Diamant (C,C) oder Oxidkeramik. Die Schnittlänge pro Zeiteinheit wird erfahrungsgemäß um den Faktor 10 höher, der Abrieb ist geringer.

Allerdings sind HLK noch nicht ausreichend verformbar (duktil), weil eine gewisse Sprödigkeit bleibt. Es gibt jedoch schon Spiralfedern (Ventilfedern in Motoren) oder Blattfedern aus Keramik.

HLK werden nicht nur mit wohldefinierter Zusammensetzung, sondern darüber hinaus auch unter präzise einzuhaltenden Bedingungen wie Temperatur, Druck und Zeit gebildet. Hergestellt werden HLK meistens durch Sinterung von Pulvern, wie man es auch schon von der Bearbeitung von hochschmelzenden Metallen her kennt. Diese "Pulvermetallurgie" hat eine ausgefeilte Reinstraumtechnik zur Voraussetzung. Denn ein Mensch sondert pro Stunde ohne Bewegung 3-6 Millionen Hautschuppen mit einer Länge größer als 30 µ ab. Jede dieser Schuppen kann eine Charge von HLK-Rohstoffen untauglich machen.

Die Gründe für die guten mechanischen Eigenschaften liegen im Aufbau der HLK: Aufgrund der Sinterung bestehen sie aus "aneinandergeklebten" Mikropartikeln. Dieser Aufbau hat energiezehrende Effekte zur Folge, wie man am Beispiel des ZrO2 erklären kann.

1 Bei vielen Oxiden etc. bestehen die Mikrokristallen aus unterschiedlichen Modifikationen (nennen wir sie A und B), deren Volumenbedarf verschieden ist. Nehmen wir folgendes an:

   A sei wenig voluminös, in großer Hitze stabil
   B sei stark voluminös, in der Kälte stabil

Bei Abkühlung wandelt sich ein Teil der Modifikation A in die voluminösere Kristall-Phase B um. Dabei gibt es nach außen gerichtete Druckspannungen, die den von außen einwirkenden Drücken entgegen wirken. Wird das Werkstück belastet, geschieht folgendes: Die übrigbleibende, weniger voluminöse Kristall-Phase A ist im Allgemeinen metastabil und wandelt sich erst bei zunehmend hoher Belastung ebenfalls in die voluminösere Modifikation B um. Dabei erzeugt sie einen nach außen gerichteten Gegendruck.

2 Es gibt von vornherein durch die Hitze bei der Sinterung und anschließende Abkühlung bedingt Mikrorisse (0,5 - 10 µ) in und zwischen den Körnern, in denen sich große, von außen kommende Spannungsrisse totlaufen.

3 Beide Effekte wirken nun zusammen (Prinzip der spannungsinduzierten Umwandlung, Umwandlungsverstärkung): Man muss wissen, dass äußere Belastung bei sprödem Material Rissbildung zur Folge hat. Trifft ein so entstandener Riss auf einen Kristallit vom Typ A, so induziert dies die Umwandlung des metastabilen A-ZrO2 in stabiles B-ZrO2. Der Riss wirkt als Aktivierungsenergie, der die Umwandlung in Gang setzt. Längs des großen von außen kommenden Risses häufen sich die Umwandlungen. Die daraus resultierende Volumenvergrößerung drückt diesen Riss zusammen. Damit läuft sich der Riss tot. Diese Effekte sind Ursache für die hohe Stabilität von ZrO2.

Man kann das Gefüge durch Variation der Sinterbedingungen optimieren.
Beispiel: 85 % Al2O3 mit 15 Vol% ZrO2
- Sintern bei 1550 °C und 2 h Dauer erzielt eine Festigkeit von 570 MPa.
- Heißes Nachpressen bei 1450 °C und 2 h Dauer erhöht die Festigkeit auf 1050 MPa.

ZrO2 kann man sogar auf Festigkeiten >2000 MPa züchten. Dabei nimmt die Feinkörnigkeit des Materials zu.


Einige Beispiele für die Anwendung von HLK
- Turbolader bestehen z. B. aus Si3N4, SiC und Aluminiumtitanat. Sie müssen neben der mechanischen Beanspruchung (hohe Fliehkräfte aufgrund hoher Umdrehungszahlen) einem gewaltigen Temperaturgradienten standhalten: Die Schaufeln werden 1260 °C heiß, die Achse nur 620 °C. Das Material Siliciumcarbid SiC hat bei diesen hohen Temperaturen gute Gleiteigenschaften. Die kleine Turbine wird übrigens computergesteuert mit künstlichem Diamant (C,C) aus einer Keramikplatte herausgefräst.
- Turbinenschaufeln im Flugzeugbau sind erst in der Erprobung. Allerdings gibt es schon keramische Überzüge über metallische Turbinenbestandteile.
- Die Abgasabführrohre aus Zylindern z. B. von Porsche bestehen aus Aluminiumtitanat (Bild 2).
- Sicherlich ein sinnvolles Weihnachtsgeschenk ist eine Schere, die Stahldraht, Glasfasern, Kohlefasern usw. schneidet. Sie muss nicht wie Metallscheren nach 1500 Papier- oder Stoffschnitten, sondern überhaupt nie geschärft werden. Sie besteht nämlich aus ZrO2 (das man etwas untertreibend "keramischen Stahl" nennt).
- Zu erwähnen sind auch bei höheren Temperaturen supraleitende oxidische Keramiken.
- In der Medizin nutzt man HLK bei der Herstellung von künstlichen Hüftgelenken. Mit Hydroxylapatit beschichtet sind sie biokompatibel und wachsen rasch ein. Damit erhöht sich Tragedauer dieser Gelenkprothese.
- Wenn ihr zu Hause in der Küche eine Herdplatte findet, die glasartig aussieht, handelt es sich auch hier sicherlich um ein Anwendungsbeispiel für Hochleistungskeramiken.


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Letzte Überarbeitung: 12. September 2012, Dagmar Wiechoczek