Einleitung: Früher war alles elementarer

Ich wohnte als Kind mitten in der Stadt. In der Nachbarschaft gab es die Kaffeerösterei. Wenn wir gerade im Garten saßen und Kaffee tranken, hüllte uns der Kaffeeröster in weißblaue scharf riechende Rauchwolken ein. Wenn der seinen Kaffeeröstdampf abließ, fielen im Garten die Vögel von den Bäumen. Wir waren ob der Belästigung am Seufzen, kauften aber trotzdem den Kaffee bei ihm. Wo denn auch sonst?

Noch schlimmer: Es gab gegenüber die Essigfabrik Lampe. Die produzierte den bekannten "Lampe-Essig". In unserer Stadt gab es ausschließlich den zu kaufen.

Bild 1: Die alte Essigfabrik in Hameln (Foto: Blume)


Heute gibt es einige wenige Großfirmen, die für (geruchsfreie) Herstellung und Vertrieb von Essig sorgen.

Die Lampes stachen ein bis zwei Mal wöchentlich ihren Essig ab. Dann roch die ganze Stadt entsprechend. Heute gäbe es dagegen schon eine Bürgerbewegung. Vielleicht ist der konstante Essigabstich der Grund dafür, dass ich den Geruch nach Essig auch heute noch nicht leiden kann. Das ist für einen praxisorientierten Chemiker eigentlich ziemlich schlecht, denn die Essigsäure ist ein wichtiges Lösemittel. Es vereinigt nicht nur polare und unpolare Eigenschaften, sondern es ist zudem noch oxidationsstabil. (Seine formale Kohlenstoff-Oxidationszahl ist nämlich Null, und das weiß die Essigsäure irgendwie und reagiert deshalb kaum.)

Eine Einschränkung muss ich machen: So ganz waren wir dem Sauren allerdings nicht abgeneigt: Da war zum Beispiel das selbst gemachte Sauerkraut. Zur Herstellung wurde eine große Schneidemaschine angeschafft, die die Kohlköpfe zerkleinerte. Zunächst schwefelten wir die Holzfässer durch Verbrennen von Schwefelfäden. (Mit denen konnte ich außerdem auch schöne chemische Experimente machen!) Das geschnittene Kraut füllten wir dann in die Holzfässer und stampften es fest (nicht barfuss, auch nicht mit Gummistiefeln, sondern mit einem Holzkloben bewaffnet). Darauf kamen Holzdeckel, die mit einem dicken Stein beschwert wurden. Wir Kinder haben die Deckel immer wieder angehoben und geschnuppert. Nach ein-zwei Wochen wurde die erste Probe gezogen und überzeugte uns. Denn leckeres Sauerkraut war entstanden, das wir als Kinder gerne probierten. Fazit: Milchsäure riecht eben nicht so schrecklich wie Essig!

Kurzum: Ich hasse den Geruch nach Essig. Aber dennoch war ich erstaunt, als ich im Verlaufe der Vorbereitungen zu dieser Webseitengruppe feststellen musste, wie viele essighaltige Lebensmittel bei uns zu Hause zu finden waren!

Essig (genauer Essigsäure) ist eine chemische Verbindung, an der sich viele Prinzipien und Inhalte der Chemie festmachen lassen. Das Thema "Essig" ist als Grundlage für ein schulisches Projekt geeignet, weil sich allgemeine Chemie, organische Chemie, Säure/Base-Reaktionen, Redox-Verhalten, Komplex-Bildung, Massenwirkungsgesetz (schwache Säure / Base-Systeme und Pufferung), praktische Titration, Chemie-Geschichte, Biologie und Biochemie in diesem Thema vereinigen lassen. Hinzu kommt, dass unter allen organischen Säuren die Essigsäure volkswirtschaftlich und technisch bei weitem am wichtigsten ist. Aber auch Verbindungen der Essigsäure sind interessant, so zum Beispiel Essigsäureanhydrid, an dem sich das Prinzip des Dual Use festmachen lässt. Essigsäureester sind als Kunststoffe oder Lösemittel bekannt. Sagenhaft ist der Geruch des Essigsäureethylesters nach UHU®, den wir auch von den Nitroverdünnern her kennen.

Last but not least: Der Umgang zumindest mit verdünnter Essigsäure und ihren Salzen, den Acetaten, ist für Schüler relativ gefahrlos.

Bild 2: Zum guten Essen gehören Essig und Schnaps
(Foto: Blume)


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Letzte Überarbeitung: 05. Februar 2014, Dagmar Wiechoczek