Bislang waren chemische Inhalte im Anfangsunterricht der Primarstufe kaum Gegenstand des
Sachunterrichts. Dies ist unverständlich, da die Kinder schon im Kindergartenalter durch
Fernsehsendungen wie "Sendung mit der Maus" oder "Löwenzahn" von
naturwissenschaftlichen Phänomenen in den Bann gezogen werden (vgl. LÜCK 1998, 513).
Im Fächerkanon der Schulen wird das Fach Chemie häufig zuletzt eingeführt, je
nach Bundesland und Schultyp erst in der 7. Klasse oder auch erst in der 9. Klasse. Die
Zeitspanne bis dahin scheint zu lang zu sein, denn in der Sekundarstufe I ist eine verbreitete
Abneigung gegenüber dem Fach Chemie zu beobachten, obwohl das Interesse an der unbelebten
Natur bereits im frühen Kindesalter vorhanden ist. Hier setzt die Überlegung an, ob
dem nicht durch Thematisierung chemischer Inhalte bereits im Anfangsunterricht entgegengewirkt
werden kann.
In der Entwicklung der Lehrpläne für die Grundschule lässt sich eine
Reduzierung der naturwissenschaftlichen Inhalte zugunsten von Problemen aus dem
sozialwissenschaftlichen Bereich beobachten. Diese Diskrepanz verstärkt sich noch, denn,
wie "Kieler Untersuchungen zur Umsetzung der Curricula in der Schulwirklichkeit zeigen,
liegen die tatsächlichen in chemischen und physikalischen Themen unterrichteten
Stundenzahlen noch weit unterhalb des in den Lehrplänen geforderten Anteils."
(LÜCK 1998, 513).
Kinder zeigen großes Interesse an naturwissenschaftlichen Phänomenen und deren
Deutungen. Sie werden mit ihren Fragen jedoch häufig allein gelassen. "Dabei
könnte ein früher Beginn eines naturwissenschaftlich orientierten Sachkundeunterrichts
oder ein spielerischer Umgang mit Sachthemen in der Vorschule die Basis für den
späteren naturwissenschaftlichen Unterricht legen."(LÜCK 1998, 516).
Aufgabe des Sachunterrichts ist es, nun den bereits vor Eintritt in die Schule begonnenen und
neben dem Schulunterricht weiterlaufenden Prozess der handelnden Erfahrung, sinnlichen
Erfassung und geistigen Verarbeitung der Welt der Kinder mit wissenschaftlichen Methoden
fortzuführen. Dabei sollten zum einen die Interessen, Lebenssituationen und Fragen der
Kinder und zum anderen das Ziel einer kategorialen Bildung und ethisch orientierten Erziehung
Berücksichtigung finden (vgl. MEIERS 1994, 11f.).
1. Zur Auswahl der Inhalte des Sachunterrichts
Der Bereich des Sachunterrichts bietet eine große Vielfalt von Themen. Der Lehrkraft
fällt nun die schwierige Aufgabe zu, eine geeignete und verantwortungsbewusste Auswahl
für den Unterricht zu treffen. Mit dieser Eigenverantwortlichkeit sollte jede Lehrperson
kompetent und verantwortungsvoll umgehen und sich der Tragweite ihrer Auslese für die
Entwicklung der Schüler bewusst sein.
Die Frage nach der Bedeutung des ausgewählten Themas für die Lebenswelt der Kinder
ist die erste didaktische Frage, die es zu beantworten gilt. Die möglichen Antworten sind
die Grundlage für begründete inhaltliche Schwerpunkte des Sachunterrichts (vgl. KAISER
1996, 8). Inwieweit eine Auswahl chemischer Inhalte und dessen Erforschung durch Experimente ihre
Legitimation im Bereich des Sachunterrichts und des Anfangsunterrichts finden, soll im folgenden
erörtert werden.
Vorweg ist zu sagen, dass die Thematisierung chemischer Phänomene im
Anfangsunterricht keinesfalls ein Propädeutikkurs im Fach Chemie für die Sekundarstufe
I sein kann, wenn die Lebenswelt der Kinder in diesem Kontext Berücksichtigung finden soll.
Denn die Grundschule hilft den Kindern nicht, "wenn sie Inhalte und Methoden
weiterführender Schulen vorwegnimmt." (LEHRPLAN 1985, 12).
Das Aufgreifen kindlichen Interesses an den Phänomenen der Naturwissenschaft im
Sachunterricht der Grundschule kann der Beginn eines Spiralcurriculums sein, welches auf dem
jeweiligen Entwicklungsniveau und entsprechend den Interessen der Schüler fortgeführt
werden kann. Der pädagogische Auftrag der Grundschule ist erfüllt, wenn Voraussetzungen
geschaffen werden, "dass die Kinder in den aufnehmenden Schulen erfolgreich
weiterlernen können" (LEHRPLAN 1985, 12). Ein Einbezug chemischer Inhalte in die
ausgewählten Themen des Sachunterrichts der Grundschule kann eine Voraussetzung für
erfolgreiches Weiterlernen schaffen.
2. Entwicklungspsychologische Überlegungen zu chemischen Inhalten im
Anfangsunterricht
Kritische Haltungen gegenüber der Behandlung chemischer Phänomene bereits im
Anfangsunterricht werden meist dadurch begründet, dass die kognitiven
Entwicklungsstadien von J. Piaget zugrunde gelegt werden. Laut dieser Entwicklungsstadien
wären Kinder im Alter der ersten Klasse in der Regel noch nicht in der Lage,
naturwissenschaftliche Kausalzusammenhänge kognitiv zu erfassen
(Nähere Angaben zu den kognitiven Entwicklungsstadien von J. Piaget in Piaget, Jean:
Psychologie der Intelligenz. Olten 1974) (vgl. LÜCK 1998, 513).
Einige Entwicklungspsychologen vertreten jedoch eine konträre Meinung zu dieser
Thematik, beispielsweise Erik H. Erikson. Seiner Ansicht nach sind Kinder gerade in diesem Alter
bereit, schnell und begierig zu lernen, "groß" zu werden. Sie orientieren sich an
der Erwachsenenwelt und wenden sich daher ebenfalls der Dingwelt zu. Dieses Bestreben der Kinder,
"groß" bzw. "ernst genommen" zu werden und gleichberechtigt zur Welt zu
gehören, sollte nicht unterschätzt werden. Hieraus lassen sich bedeutsame Folgen
für den Sachunterricht ableiten.
Diesem Bestreben sollte vom ersten Schuljahr an Rechnung getragen werden. In Bezug auf
chemische Phänomene würde dies bedeuten, dass ebenfalls chemische Inhalte Einzug
in den Sachunterricht erhalten, und nicht die bevormundende Ausgrenzung dieser Themen bis in die
Sekundarstufe I weiter vorherrschender Usus bleibt.
Das tragende Motiv von Grundschulkindern, "groß sein zu wollen, ‚es den
Großen gleichzutun‘ (MEIERS 1994, 35), schafft Energien auch für schwierige
Lernprozesse, solange diese so gestaltet sind, dass die Kinder auch tatsächlich
den Erfolg ihrer Bemühungen feststellen können" (KAISER 1996, 127). Dies
entkräftet einen weiteren Kritikpunkt, und zwar den, dass Kinder diesen Alters
durch die Thematisierung chemischer Inhalte in der Grundschule überfordert seien. Der
Erfolg hängt davon ab, inwieweit es der Lehrperson gelingt, den Zugang zu schwierigen
Sachverhalten durch gelungene didaktische Reduktion zu leisten und dadurch ein Anknüpfen
an das Niveau der Schüler zu ermöglichen.
So zeigt auch die Versuchsreihe des Instituts für Chemiedidaktik der
Christian-Albrecht-Universität in Kiel im Rahmen eines Forschungsprojekts zum Thema
"Naturwissenschaften im frühen Kindesalter", dass
Kinder dieser Altersstufe nicht nur Begeisterung und Interesse an chemischen Phänomenen
bekunden, sondern zudem in der Lage sind, die Deutung der naturwissenschaftlichen Inhalte zu
verstehen (vgl. LÜCK 1998, 513). (Seit Anfang 1995 untersucht ein
Kieler Forschungsprojekt, ob Kinder nicht bereits etliche Jahre vor der derzeitigen Einführung
von Physik und Chemie im Unterricht an Phänomenen der unbelebten Natur Interesse haben und zudem
in der Lage sind, die Deutung der naturwissenschaftlichen Phänomene zu verstehen.)
3. Ansprüche und Forderung des Lehrplans Nordrhein-Westfalens an den
Sachunterricht
Aus den Lehrplänen des Landes Nordrhein-Westfalen geht ausdrücklich hervor,
dass Schule kindliche Neugier aufnehmen muss und Raum für selbständiges
Beobachten, Ausprobieren und Entdecken geben sollte (vgl. LEHRPLAN 1985, 12). Da Kinder
weitgehend durch Miterleben und Nachvollziehen, durch spielerisches Experimentieren und Erkunden
lernen (vgl. LEHRPLAN 1985, 10), scheint die Beschäftigung der Kinder mit chemischen
Phänomenen im Anfangsunterricht aus ihrer intrinsischen Motivation gegriffen zu sein, wie
das Interesse an und das Staunen über naturwissenschaftliche Phänomene in
Fernsehsendungen zeigt. Das Durchführen chemischer Schülerexperimente bietet im
Unterricht die gewünschte Möglichkeit, entdeckend und eigentätig die Wirklichkeit
zu erschließen.
Die hierfür ausgewählten Versuche sollten einen Alltagsbezug aus dem Leben der
Kinder haben und dürfen sich nicht auf den Eindruck von Zauberei beschränken, denn
ohne Einsicht und Sinnstiftung können Kinder sich nicht zu selbständig denkenden und
eigentätig handelnden Menschen entwickeln. Die naturwissenschaftlichen Hintergründe zu
den Versuchen sollten für die Schüler erkundbar und verständlich vermittelbar sein.
Kinder verlieren jedoch das Interesse an Phänomenen oder Problemen der
Naturwissenschaften, wenn sie diese nicht vor Augen haben. Die Aufgabe der Lehrkräfte ist
es folglich, Raum und Gelegenheit für direkte Konfrontation mit derartigen Inhalten zu
schaffen. Der Beginn einer Didaktik der Naturwissenschaften könnte in der Phänomenologie
der kindlichen Irritationen liegen. (Über die Nutzung der Irritation siehe auch "Unterricht als
produktive Irritation" in DUNCKER, POPP 1998, 93ff.) Gerade das Staunen über naturwissenschaftliche
Phänomene und die große Begeisterung, die Kinder diesen Themen entgegenbringen,
"ist wichtiges Moment intrinsischer Motivation auch und vor allem über die
Grundschulzeit hinaus. Der Souveränitätsverlust gegenüber dem Lerngegenstand,
den eine solche Hingabe zwangsläufig mit sich bringt, ist es wert, dass unter
propädeutisch-motivationalem Aspekt Affekte nicht nur toleriert, sondern sogar provoziert
werden." (MEIER u.a. 1997, 199).
Die Form der Partner- bzw. Gruppenarbeit, die für das Durchführen von
Schülerexperimenten erforderlich ist, trägt zum Miteinander und zum sozialen Lernen
bei. (Weitere Angaben zu sozialem Lernen im Sachunterricht von Hanna Kiper in GLUMPLER, WITTKOWSKE 1996,
131ff.) Innerhalb dieser Arbeitsform können Jungen und Mädchen lernen, "sich in
verschiedenen Situationen zu bewähren und einander zu helfen; sie können sich in ihren
individuellen Fähigkeiten ergänzen und voneinander lernen." (LEHRPLAN 1985, 11).
Durch diese Art sind die Schüler gefordert, ihre eigenen Auffassungen, Vorstellungen und
Wünsche zu formulieren. Sie lernen sich argumentativ zu vertreten, sich jedoch auch mit den
Vorstellungen und Ansprüchen der Mitschüler auseinanderzusetzen und abzustimmen.
Durch die Anwendung der Sozialform der Partner- bzw. Gruppenarbeit, wie sie ein
experimentierender Chemieunterricht ermöglicht, können Kooperation und
Auseinandersetzung auf verschiedenen Zugangsweisen stattfinden. Das heißt, diese Lernform
schafft Raum für innere Differenzierung, die ebenfalls vom Lehrplan für den
Grundschulunterricht und insbesondere für den Anfangsunterricht gefordert wird. Jeder
Schüler kann an seinem individuellen kognitiven Entwicklungsstadium ansetzen und
entsprechende Aufgaben übernehmen, so dass eine Über- bzw. Unterforderung weit
möglichst vermieden werden kann.
So gibt es beispielsweise im ersten Schuljahr Kinder, die noch nie in ihrem Leben ein
Streichholz in der Hand gehabt haben. Innerhalb der Gruppenexperimente können sie nun von
anderen lernen oder, wenn sie es sich nicht zutrauen, es den anderen überlassen, eine Kerze
anzuzünden (vgl. KAISER 1996, 10).
Die Tatsache, dass einige Schüler einer ersten Klasse noch kein Streichholz
anzünden können, zeigt eine veränderte Lebenswelt der heutigen Kinder auf.
(Zum Thema "veränderte Kindheit" gibt es viel Wissenswertes in der heutigen Literatur, worauf
in dieser Arbeit nicht genauer eingegangen werden kann (vgl. KAISER 1996, 104). Eine Hauptaufgabe,
die sich aus der veränderten Kinderwelt ergibt, ist es, dem entstandenen Bewegungsmangel aus der
Freizeit der Kinder innerhalb der Schule entgegenzuwirken (vgl. Zimmer, Renate: Handbuch für
Kinder- und Jugendarbeit im Sport. Aachen 1998, 12f.). Dies kann ebenfalls in der Form der
Schülerexperimente verwirklicht werden, denn Experimentieren bedeutet, handelnd und bewegend
aktiv zu werden.)
"Kinder erschließen sich ihre Wirklichkeit heute weniger als früher durch
Eigentätigkeit und im zwischenmenschlichen Umgang. Ein großer Teil der Wirklichkeit
wird ihnen durch Medien vermittelt, besonders durch das Fernsehen." (LEHRPLAN 1985, 9).
Kinder machen heutzutage viel weniger unmittelbare Erfahrungen, denn sie leben in einer durch
technisierte Medien bestimmten Welt. Ihr Leben ist größtenteils Leben aus zweiter Hand
und findet in zunehmender Vereinzelung statt. Schule sollte dem entgegenwirken und Handlungs- und
Erfahrungsraum für Experimente in Sozialformen, die das Miteinander fördern,
schaffen. (Über die "Kindheit heute als Herausforderung für den Unterricht der Grundschule" in
"Selbständigkeitsentwicklung im Sachunterricht" von Kay Spreckelsen in GLUMPLER, WITTKOWSKE 1996,
77ff.)
4. Experimente im Sachunterricht
Kinder wissen in der Regel nichts über die Gesetzmäßigkeiten, die
Naturwissenschaftler entdeckt haben. Ihre Vorstellungen von der Welt entwickeln sie aus ihren
eigenen Erfahrungen im Umgang mit den Dingen. Schon vor Eintritt in die Schule verfügen die
Kinder über Theorien, mit denen sie sich die Wirklichkeit erklären. Bei der Beobachtung
einer angezündeten Kerze beispielsweise vermuten sie, dass es der Docht ist, der brennt.
Hier setzt die Aufgabe des Sachunterrichts an, "durch eine Veränderung der bislang
gewonnenen Perspektive, diese Konzepte in Frage zu stellen, Anstöße zu geben, neue
Fragestellungen zu entwickeln und zu überprüfen." (MEIER u.a. 1997, 227).
Durch Erforschen und Ausprobieren gehen Kinder ihrem Drang nach, die Welt verstehen zu wollen.
Um diese unvoreingenommene Ursprünglichkeit zu bewahren, sollte schon früh in der
Grundschule diesem Drang in Form von Experimenten Raum geschaffen werden. Das Experimentieren der
Kinder bedeutet die Auseinandersetzung mit einem Phänomen, welches ihnen Rätsel aufgibt.
Dabei können lediglich Experimente aus dem Lebensbezug der Kinder dem Anspruch genügen,
beim Verstehen ihrer Lebenswirklichkeit und ihrer Befähigung zum Handeln mitbestimmend zu
sein.
"Die Ausgangssituation im Sinne der ersten Konfrontation des Kindes mit einem bestimmten
Sachverhalt, muss demnach geeignet sein, dass eine Auseinandersetzung des einzelnen Kindes auf
der Grundlage seiner bisherigen Erfahrungen und seines Wissens in Gang kommt und neue Erfahrungen,
die möglicherweise den bestehenden widersprechen, provoziert werden." (MEIER u.a. 1997,
231).
Damit dies erfolgreich gelingt, sollte die Lehrkraft neben vorstrukturierten
Schülerexperimenten eine Gelegenheit innerhalb des Klassenzimmers oder der Schule schaffen,
die freies Experimentieren ermöglicht. Eine geeignete Form stellen Experimentiertische dar.
(siehe auch zu diesem Thema das Kapitel: "Angebotstisch" von GREVING, JOHANNES u. PARADIES, LIANE)
Sie sollten für eine selbständige und tiefergehende Auseinandersetzung seitens der
Schüler mit Themen ihres Interesses Aufforderungscharakter besitzen und stets die Gelegenheit
bieten, Versuche durchführen zu können.
Die erfolgreiche Beschäftigung der Kinder mit schwierigen Lerninhalten erfordert einen
sichtbaren Nachweis ihrer Bemühungen. Eine mögliche Form für die Gestaltung
innerhalb des Chemieunterrichts könnte das Selbsterstellen von Experimentierbüchern,
so genannnten Ergebnisbüchern sein (vgl. KAISER 1996, 141). (Experimentierbücher: siehe
auch Kapitel III. "Praktische Umsetzung chemischer Inhalte in einer ersten Klasse")
Dies sollte nicht als Arbeitsblatt
im Sinne der Ergebnissicherung in Form einer reinen Lese-Schreibaufgabe verstanden werden, denn
im Anschluss an individuell durchgeführte spielerische Versuche sollte eine
erfassbare Präsentation des Bemühens der Schüler in Wort und Bild folgen
(vgl. MEIER u.a. 1997, 165). Ein selbsterstelltes Experimentierbuch stellt ein Produkt dar,
dass zum Betrachten und Lesen, zum Ausprobieren und Weiterdenken in den nächsten
Wochen, Monaten und Schuljahren herausfordert.
Dass die Methode der Verarbeitung behandelter Inhalte in Form von selbsterstellten
Experimentierbüchern bereits in einem ersten Schuljahr möglich ist, zeigen die im
folgenden Verlauf der Arbeit beschriebenen Unterrichtsstunden einer ersten Klasse der
Sudbrackschule in Bielefeld.
Allgemein formuliert ergibt sich für den Anfangsunterricht im Sachunterricht "die
zentrale Aufgabe der Grundlegung und Entfaltung des arbeitsmethodischen Entwicklungsstandes unter
besonderer Berücksichitgung der Vermittlung sachgemäßer und sachgerechter
Arbeitsverfahren und Arbeitstechniken." (MEIER u.a. 1997, 165).
5. Chemie im Alltag
Heutzutage ist die Chemie aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Chemie ist in allen
Lebensbereichen vorzufinden, ob in der Industrie, in der Landwirtschaft, in der Apotheke oder
im Haushalt.
Ohne chemische Forschung wären nie die zahlreichen Medikamente gefunden worden, die
kranke Menschen heilen und sogar Leben retten können.
Die Chemie spielt ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Herstellung von technischen
Produkten, die aus chemischen Substanzen bestehen wie beispielsweise aus Plastik, Styropor
oder Plexiglas.
In der Landwirtschaft hilft der Einsatz von chemischen Dünge- und
Insektenvernichtungsmitteln, den Ertrag für die in Deutschland benötigte Nahrungsmenge
zu sichern. (vgl. hierzu Liebigs Erkenntnis der Bedeutung der Bodennährstoffe und der Düngemittel
in GRAEB 1972, 11)
Hier zeigt sich die sozialwissenschaftliche Seite eines Chemieunterrichts, indem der
Einsatz von chemischen Düngemitteln kritisch hinterfragt wird. Dies kann dann zu einer
Dilemmageschichte ausgeweitet werden. (Dilemma bedeutet die Wahl zwischen zwei (gleich
unangenehmen) Dingen. Es zeigt eine Zwangslage auf bzw. fordert eine Zwangsentscheidung. Hieraus
kann sich für den Unterricht ein Rollenspiel entwickeln oder ein sokratisches Gespräch anschließen
(vgl. hierzu Schreier, Helmut: Über das Philosophieren für Kinder und Jugendliche.
Heinsberg 1993). Ein weiteres Dilemma, welches die Beschäftigung mit der Chemie aufwirft, wäre
die Nutzung der Atomenergie (für mehr Themenvorschläge siehe in Schreier, Helmut:
Himmel, Erde und Ich. Heinsberg 1993).) Es gibt weitere Bereiche, in denen der Gebrauch von
Chemikalien kontrovers diskutiert werden könnte.
Sogar im Haushalt begegnet uns die Chemie sehr häufig, zum Beispiel in Form von
Kunststoffen wie etwa Plastikbeutel oder von Chemikalien wie Essig, Backpulver oder
Reinigungsmittel.
Dies zeigt, dass die Kinder in der heutigen Zeit in ihrer Alltagswelt ständig
mit chemischen Phänomenen konfrontiert werden und eine Auseinandersetzung mit diesen
Themen im Sachunterricht unmittelbar aus dem Lebensbezug der Kinder resultiert.
"Nur wer genügend Grundkenntnisse in der Chemie und der Biologie besitzt, kann
später verantwortungsbewusste Entscheidungen treffen, die dem Wohl der Allgemeinheit
und somit auch dem persönlichem Wohl dienen." (MOISL 1983, 8). Kinder sollen, so
fordert es auch der Lehrplan, eine Mitverantwortung gegenüber der Natur und der Umwelt
entwickeln (vgl. LEHRPLAN 1985, 12).
6. Fächerübergreifender und ganzheitlicher Zugang im Sachunterricht
Kinder sollen, so wird es ebenfalls im Lehrplan verlangt, in den vielfältig
ineinandergreifenden Bereichen der Lebenswirklichkeit handlungsfähig werden. Das
bedeutet in dem Bereich der Natur und Technik, naturwissenschaftliche Vorgänge zu
beobachten und erklären zu können (vgl. LEHRPLAN 1985, 12).
Hierbei scheinen bei genauer Betrachtung chemische Unterrichtsinhalte eine geeignete Form
zu bieten, fächerübergreifend tätig zu werden, da die Auseinandersetzung mit
diesen Themen breite Möglichkeiten für Schreibanlässe oder Gesprächsrunden,
für Farbenlehre aus dem Bereich der Kunst oder Sachaufgaben im Mathematikunterricht aufzeigt.
Für einen ganzheitlichen Zugang zu sachunterrichtlichen Themen, insbesondere im
Anfangsunterricht, spricht sich ebenfalls A. Kaiser aus. (Vgl. KAISER 1996a)
"Ein weiterer Schlüssel zu einer kindgerechten Grundschule liegt m. E. beim
Schulanfang. Anstelle der zunehmenden Verkursung in einzelne Stränge wie Leselehrgang,
Schreiblehrgang und Rechenlehrgang sollte gerade beim Schulanfang der Weg zu sachunterrichtlichen
Erfahrungen eröffnet werden. Die Kinder wollen die Welt kennenlernen und ihre offenen Fragen
geklärt haben, also lassen wir sie. Die Probleme, die Kinder selbst haben, sind die
entscheidenden, aus denen sich dann Anlässe, das Schreiben oder Lesen zu lernen, entwickeln
lassen." (KAISER 1996, 111).
Zu einem ganzheitlichen Sachunterricht, auch zu Beginn der Schulphase, lassen sich ebenfalls
die chemischen Fragen und Inhalte des naturwissenschaftlichen Bereiches zählen. Sie sollten
nicht, wie oben erwähnt, bis zu dem 7. oder sogar 9. Schuljahr ausgeklammert werden. Denn
durch diese Ausgliederung besteht die Gefahr, dass Kinder eine Abneigung gegen das Fach
Chemie entwickeln, da sie mit ihren chemischen Fragen bis in höhere Schuljahre allein
gelassen werden.
Vielmehr sollten die Lehrkräfte der Grundschule den den Kindern eigenen "Sinn
für Rätselhaftes und Entdeckung, ihren unverdorbenen Sinn für Ungereimtheiten und
Unpassendes und die Dringlichkeit ihres Verlangens, den Sinn aller Dinge zu kennen",
(Matthews 1989, 17 in KAISER 1996, 122) für den (Sach-) Unterricht nutzen lernen und nicht
warten bis er in der Sekundarstufe I verkümmert ist.
7. Ausblick
Inwieweit eine frühzeitige Heranführung an naturwissenschaftliche Phänomene
Einfluss auf die spätere Einstellung der Schüler zu den Naturwissenschaften hat,
können nur Langzeituntersuchungen zeigen.
"Sicher ist aber schon jetzt, dass (die) Erinnerungsfähigkeit (der Kinder)
überstrapaziert wird, wenn sie bis zur Sekundarstufe I warten müssen, um die
Naturwissenschaftsbegegnung aus dem Kindergarten fortzusetzen. Die derzeit bestehende
‚naturwissenschaftliche Lücke‘ zwischen Kindergarten und Sekundarstufe I sollte dringend
geschlossen werden." (LÜCK 1998, 514).
Literatur