Küchenlatein am Hochzeitshaus zu Hameln

Helmut Scheumann zum Gedenken

Bild 1: Blick auf Hochzeitshaus und Marktkirche
(Foto: Blume)


Wer schon einmal die Rattenfängerstadt Hameln besucht hat, kennt sicherlich auch das zentral gelegene Hochzeitshaus. Dabei handelt es sich um ein gestalterisch perfektes Beispiel der Weserrenaissance, das 1610-17 erbaut wurde.

Wer um das Haus herum geht, kommt im Hof zur Marktkirche an einem kleinen Vorbau („Auslucht“) vorbei. Diesen zieren drei Schmucksteine, von denen zwei mit offensichtlich lateinischen Sprüchen versehen sind. Darunter erkennt man das Wappen der Stadt Hameln - einen Mühlstein, der dem Umstand Rechnung trägt, dass Hameln eine Mühlenstadt war und heute auch noch ist.

Bild 2: Die Auslucht zwischen Hochzeitshaus und Marktkirche
(Foto: Blume)


Hier zeigen wir die Schriftsteine vergrößert.

Bilder 3 und 4: Die beiden Schrifttafeln auf der Auslucht
(Fotos: Blume)


Man sieht, dass ihre beiden Texte jeweils in ein „Rollwerk“ eingelassen sind. Das ist nichts anderes als eine gemeißelte Urkundenform, also ein Blatt, das sich aufrollt. An diesen beiden lateinischen Inschriften haben sich schon viele Leute die Zähne ausgebissen. Was haben sie zu bedeuten?

Lassen wir aber zunächst meinen alten Klassenkameraden Helmut Scheumann, der später als (Alt-)Philologe am Schiller-Gymnasium zu Hameln (meine Schule!) als Lehrer tätig war, etwas zum alten Stein von 1593 erzählen.


Die Bedeutung der Inschrift des alten Steins von 1593
1931 wurde das Hochzeitshaus umgebaut. Dabei entstand anstelle eines hölzernen Anbaus eine Auslucht, die Steine verschiedener Herkunft aufgenommen hat. Der alte Stein stammte offenbar von der Bäckerstraße 13 (früher „Mäntelhaus“, das bis zum 18/19. Jahrhundert neben Henrik Heinzelmanns Löwenapotheke gestanden hat).

Die Inschrift des alten Steins lautet

SPARTAM NACT = / VS ES HANC / ORNA / 1593

Die wörtliche Übersetzung ist: „Du hast Sparta erlangt (erlöst), [nun] schmücke es.“

Dieser schon im Altertum zum Sprichwort gewordene Vers stammt aus dem Fragment „Telephos“ des Euripides. Da heißt es: „Du hast Sparta erlangt, das verwalte du; wir aber verwalten Mykene von uns aus.“

Cicero nimmt dies Zitat auf in „Ad Atticum“ 4, 6, 2. Es findet sich auch bei Plutarch in seiner „Moralia“: „Sparta ist dein Vaterland; das schmücke!“

Einer der Vordenker der Renaissance, Erasmus von Rotterdam, hat das Sprichwort in seinen „Adagia“ ausführlich kommentiert. (Eine Ausgabe davon wurde früher in der Stiftsbibliothek, die im Schiller-Gymnasium verwaltet wurde, aufbewahrt. Sie befindet sich heute in der Hamelner Stadtbibliothek.)

Nach Kluges Etymologie leitet sich das Wort Sparte von der griechischen Stadt Sparta her. Sparte heißt modern soviel wie „Bereich“ oder „Aufgabenkreis“.

Also ruft der Stein uns zu:

„Walte deines Amtes! Tue deine Pflicht! Kümmere dich um deinen Bereich!“

Soweit Helmut Scheumanns Ausführungen.


Und nun zum anderen Stein
Am Text des neu geschaffenen Schmucksteins von 1931 versuchen viele Bildungsbürger ihr Glück. Selbst kaum ein Alt-Hamelner weiß, was es mit diesem Stein auf sich hat. Die wenigen, die es wissen, schmunzeln, wenn man sie danach fragt. Der Text der steinernen „Urkunde“ lautet:

DESTVERIS THE = / BAE TERRAE / SCIIT / 1931

Bevor Sie lange herumrätseln: Die Sprache des Satzes ist Plattdeutsch. Man muss den Satz nur etwas anders schreiben, nämlich so:

De stuer is te bettere schiet!

Das heißt auf gut Deutsch:

Die Steuer ist der größte Mist!


Erfunden wurde der Spruch übrigens an einem geselligen Abend, als der damalige Hamelner Stadtkämmerer mit Freunden im Ratskeller in froher Runde zusammenhockte und alle darüber nachdenken ließ, was man denn dem Stein der neu geschaffenen Auslucht als wohlklingenden, wenn auch nicht unbedingt bedeutsamen Urkundentext mitgeben sollte.

Irgendwie muss man sich das wohl vorstellen wie das Brainstorming der alten Herren im Film „Die Feuerzangenbowle“.

Rüdiger Blume


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Letzte Überarbeitung: 20. Juni 2008, Dagmar Wiechoczek