Wie Mikroorganismen Kohle zerkleinern

Können Kohlenflöze schimmeln? Sie können. Aber das ist nicht so schlimm, denn es hat auch positive Seiten.

Unter der nördlichen Hälfte Deutschlands liegt eine mächtige Kohleschicht, von der aber nur ein geringer Teil technisch zugänglich ist, weil ihre Tiefe ("Teufe") unter 1500 m reicht. Denn die fast zwei Kilometer dicke ("mächtige") kohleführende Schicht "streicht" vom Ruhrgebiet in Richtung Norden, wobei sie an der Nordsee schon Tiefen von unter 4000 m erreicht. Folglich kann man nur im Ruhrgebiet die Kohle abbauen. Wie aber soll man an die tiefer liegende Kohle herankommen? Gleiches gilt auch für wegen zu geringer Schichtdicke ("Mächtigkeit") nicht abbauwürdige Vorkommen.

Man besann sich auf die Mikroorganismen. Es war schon seit 1981 bekannt, dass in den Kohleflözen Pilze und Bakterien wachsen können. Diese leben von Kohle; oder wie man sagt: deren Substrat ist die Kohle. Schließlich handelt es sich hierbei um organisch-chemische Materie, die oxidiert ("veratmet") oder reduziert ("vergoren") werden kann.

Je weniger die Kohle "inkohlt" ist, je mehr sie in ihrem Aufbau noch der umzuwandelnden Biomasse ähnelt, desto eher gelingt der biologische Angriff auf die Kohle. Daher ist die Braunkohle als Substrat besonders geeignet. Glücklicherweise sind die Lebensbedingungen ohne menschliche Hilfe (z. B. Zusatz von Nährsalzen, Wasser oder Sauerstoff) nicht besonders gut, sonst würden die Flöze wirklich in wesentlich größerem Umgang verschimmeln!

Natürlich wird auch bei der biologischen Oxidation der Kohle etwas Kohle "verbraucht", aber mit 10 % wesentlich weniger als bei der energetisch aufwendigen, technischen Kohleveredelung. Hier arbeiten nämlich Enzyme, also Biokatalysatoren, die vor allem das Problem der hohen Aktivierungsenergie der chemischen Prozesse bei der Kohleumwandlung lösen, indem sie diese stark herabsetzen. Damit ist auch der Wärmemüll gering, die Umweltbelastung wird reduziert, vor allem wird wenig Kohlenstoffdioxid emittiert. Es handelt sich bei dieser Form der Kohleveredelung um eine "sanfte Technologie".

Kohle ist allerdings kaum benetzbar. Daher muss man sie gegenwärtig noch fein zerteilen, damit die Mikroorganismen einwirken können. Dann leben und wachsen sie ohne zusätzliche Kohlenstoffquelle in Steinkohle-Nährlösungen wie Schimmelpilze auf dem Brot. In der Petrischale vollzieht sich die Auflösung von Steinkohle binnen weniger Stunden.

Besonders wirksam scheinen auch gewisse Bakterien zu sein, die nicht nur die Kohle unter Auflösung abbauen, sondern dabei auch noch biologische Tenside in die Umgebung abgeben. Damit wird die Kohle besser benetzt. Außerdem werden Enzyme freigesetzt, die ihre Tätigkeit außerhalb der Bakterien ("extrazellulär") ausüben. Langfristig denkt man daran, diese Bakterien (zusammen mit mineralischen Nährstoffen) oder nur ihre Tensid- und Enzymlösungen in die Tiefe zu pumpen, dort wirken zu lassen und die verflüssigte Kohle wieder hochzupumpen. Dabei kann die Kohle, wie sich gezeigt hat, durch mikrobiologische Tätigkeit vollständig entschwefelt und sogar von Mineralstoffen befreit werden. Ihre Verflüssigungsprodukte verbrennen also aschefrei. Sie entsprechen damit dem Erdgas und Erdöl.


Was für Stoffe entstehen bei der mikrobiologischen Verflüssigung?
Wenn die Kohle oxidativ gespalten wird, wird Sauerstoff eingebaut, es entstehen Alkohole, Aldehyde und Säuren. Diese können als wichtige Grundstoffe für die chemische Industrie dienen.

Die Kohle kann aber auch reduziert werden. Dabei wird Wasserstoff aus anderen Substraten auf die Kohle übertragen. Es entstehen dabei Kohlenwasserstoffe. Hierbei erhält man vor allem erdölartige Produkte, die sich als Treibstoffe eignen.

Im ersteren Fall wird die Kohle veratmet, im anderen Fall vergoren.

Es gibt schon Pilotanlagen zur technischen Anwendung der biologischen Kohleverflüssigung. Die größte Schwierigkeit ist aber: Die "Kohleverdauung" hängt bislang noch zu stark vom Typ der Kohle ab. Denn Kohle ist wie Erdöl sehr heterogen aufgebaut und in ihrer chemischen Zusammensetzung stark vom Standort bestimmt. Durch Züchtung und andere biotechnologische/gentechnologische Maßnahmen hofft man jedoch, vor allem die extrazellulären Enzyme so anpassen zu können, dass sie als "Spezialisten" einzelne Kohlearten oder als "Generalisten" möglichst viele davon verflüssigen können.


Literatur:
Erweitert nach: R. Blume, W. Kunze, H. Obst, E. Rossa, H. Schönemann, R. Meloefski: Chemie für Gymnasien, Auswahlthemen Organische Chemie 2: Brennstoffe (Erdöl, Erdgas, Kohle, Biomasse). Cornelsen, Berlin 1995.


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Letzte Überarbeitung: 06. Juni 2010, Dagmar Wiechoczek