Komplexchemie in der alten Medizin:
Das Beispiel Zuckerkrankheit

Viele der Nachweise, die man heute noch in der Schule zeigt, stammen aus der alten Medizin. Das gilt ganz besonders für die Zuckerkrankheit. Diese ist im Allgemeinen auf Insulinmangel zurückzuführen. Typisches Zeichen dafür ist der hohe Glucosegehalt des Harns. Um das herauszufinden, probierte man den Harn einfach. Schmeckte er süß, war der Mann krank.

Wohl aus Appetitlichkeitsgründen erfand man chemische Nachweismethoden. Die haben alle den Nachteil, dass sie auf der Oxidation von Glucose beruhen, die nur im alkalischen Milieu erfolgt. Als Oxidationsmittel dienen anorganische Kationen.

Als erster war Trommer am Werke. Der gab zum Harn zunächst Natronlauge und dann vorsichtig Kupfer(II)-sulfatlösung. Beim Kochen bildete sich gelbes bis rotes Kupfer(I)-oxid/hydroxid.
Besser war es, wenn man verhinderte, dass das Oxidationsmittel ausflockte. Das machte man durch Zusatz von Komplexbildnern.
Die Trommer-Probe wurde deshalb durch Fehling verfeinert. Bei seiner Methode bildete sich aufgrund des zugesetzten Chelatbildners Seignettesalz nicht der störende Niederschlag von Kupfer(II)-hydroxid. Auch Haine versuchte sich daran. Er nahm statt Natronlauge Kalilauge und als Chelatbildner Glycerin. Da die Lösungen aber sehr stark alkalisch waren und Augenschäden durch herausspritzende Lösungen vorkamen, erfand Benedict seine ungefährlichere Lösung, die er statt mit Natronlauge mit Soda alkalisch einstellte.

Aber auch die anderen Proben, die nicht auf der Reduktion von Kupfer(II) beruhen, haben Komplexierung der Oxidationsmittel zur Voraussetzung. Tollens oxidierte Glucose bei seinem Nachweis mit Diammin-Silber(I)-Komplexen. Nylander nahm Wismutsalze, die er mit Seignettesalz chelatierte.

Zuckerkrankheit erzeugt aber noch andere Stoffe im Körper, die man im Harn nachweisen kann. Bei Insulinmangel (und auch bei Hungerzuständen) bricht die Fettsäuresynthese auf der Ebene der b-Ketobuttersäure ab; diese (auch Acetessigsäure genannt) kann im Körper noch decarboxyliert werden. Dabei entsteht Aceton. Letzteres ist als Lösemittel nerventoxisch und führt zum Diabetes-Koma.

Acetessigsäure gibt mit Eisen(III)-chloridlösung einen tiefroten Komplex. Um den Nachweis von Aceton kümmerte sich Legal. Er gab zum Harn frische Nitroprussidnatrium-Lösung und tropfte dann etwas Natronlauge hinzu. Mit Aceton gab es eine rote Färbung; auch hier handelt es sich um einen Komplex.

Und last but not least: Die Tinte, mit der der Arzt Rezepte ausschrieb, war Eisen-Gallus-Tinte, hergestellt durch Kochen von Galläpfeln und Eisensalzlösungen.

Die klassischen Nachweismethoden sind heute alle durch Enzymtests ersetzt worden. Zucker zum Beispiel weist man mit der Glucose-Oxidase nach.


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Letzte Überarbeitung: 29. Oktober 2001, Dagmar Wiechoczek