9 Massenveränderung bei chemischen Reaktionen

Viele Menschen verbinden mit dem Stichwort "Verbrennen" vor allem die Beseitigung von Stoffen im Sinne von stofflichem Verschwinden, Auflösen ins Nichts. Ähnliches gilt auch für das Einleiten von Schmutz in die Flüsse ("Vorfluter"). Klare Luft und klare wässrige Lösungen werden als leer und deshalb als sauber empfunden: "Aus dem Auge, aus dem Sinn". Eine wesentliche Erkenntnis der Chemie lautet jedoch: Bei einer chemischen Reaktion geht keine Masse verloren.

Verbrennt man z. B. 1 t Aluminiumschrott, so bindet man 0,89 t Sauerstoff und erhält 1,89 t zu entsorgendes Aluminiumoxid ("Asche"):

2 Al + 1½ O2 ————> Al2O3 + Energie

Berechnung: 2 Mol Al reagieren mit 1½ Mol O2. Die Molmassen sind Al: 27, O2 : 32. Es gilt folgendes Verhältnis:

1 t Al / 2 · 27 g mol¯1 = x t O2 / 1½ · 32 g mol¯1

Die Masse hat also beim Verbrennen um 0,889 t zugenommen. Außerdem ist eine beträchtliche Menge an Wärmemüll entstanden.

Nach Verbrennen von organischem Material wie Holz oder Papier findet man minimale Mengen an sauberer, mineralischer Asche. Im günstigsten Fall sind die anderen Verbrennungsprodukte gasförmig, nicht zu riechen und unsichtbar.

Zur Berechnung der Massenveränderung wählen wir als Modellsubstanz für Cellulose dessen Monomer Traubenzucker (Molmasse = 180):

C6H12O6 + 6 O2 ————> 6 CO2 + 6 H2O + Energie

Die Verbrennungsprodukte sind beim molaren Umsatz um die Masse von 6 Sauerstoffmolekülen (6 x 32 = 192) schwerer als Glucose. Die Massenzunahme bei der Müllverbrennung beträgt bei organischem Material also über 100 %. Auch hier ist der Wärmemüll beträchtlich.

Die Reaktionsprodukte CO2 und H2O sind zwar ökologisch weniger bedenklich. Man sollte aber daran denken, dass Verbrennungen von organischem Material im Allgemeinen nicht so sauber wie angenommen ablaufen. Viele atmosphärische Schadstoffe wie CO, Aldehyde, Kohlenwasserstoffe, SO2 oder Stickoxide entstehen hierbei. So riecht brennender Zucker oder siedendes Fett bei höheren Temperaturen stechend nach Acrolein (-> 16.2), das auch im Photosmog enthalten ist.

In diesem Zusammenhang sei an das Stichwort Pyrolyse erinnert. Darunter versteht man Hocherhitzen von Materie ohne Sauerstoffzufuhr. Damit bleibt die Massenzunahme zwar gering, jedoch ist die Bildung von Schadstoffen (wie ungesättigte Verbindungen, Aromaten, Aldehyde und belastetem Ruß) möglicherweise recht hoch, vor allem dann, wenn die Anlagen fehlerhaft laufen.

Bekanntlich kann man Schadstoffe abfangen. Beispielsweise entstehen bei der Verbrennung von PVC große Mengen von Chlor und HCl-Gas, die im Allgemeinen mit Natronlauge gebunden werden. Der Abfall von gebildetem NaCl, der zu entsorgen ist, wiegt mengenmäßig fast soviel wie das verbrannte PVC. Hinzu kommt, dass man die NaOH vorher mühsam und energieaufwendig durch Elektrolyse aus NaCl gewinnen muss. Das dabei gebildete Chlor wird wiederum zur Herstellung von weiterem PVC eingesetzt.

Verbrennen verlagert also die Müllproblematik in die weitere Umwelt, vor allem in die Atmosphäre und die Hydrosphäre. Diese wird mit Schadstoffen und Treibhausgasen angereichert und mit Wärmemüll aufgeheizt. Dabei wird mehr Müllmasse in die Atmosphäre gebracht als auf eine Deponie.

Man weiß zwar, dass die feste Oberfläche der Erde endlich ist und das Anlegen von Mülldeponien vermieden werden muss. Jedoch läuft man Gefahr, in kurzschlüssigem Allmende-Denken anzunehmen, dass der Transfer des Mülls in die Atmosphäre unsere Entsorgungsprobleme beseitige. Dass aber auch die Atmosphäre endlich ist und sich zunehmend mit Schadstoffen anreichert, die uns letztlich irgendwie wieder gesundheitlich tangieren, kalkulieren wir zugunsten kurzfristiger ökonomischer Überlegungen nicht ein. Mittlerweile sind wir schon so weit, dass wir unsere Abfälle essen, trinken und einatmen.

Man sollte einmal die Verbrennungsabläufe bei Osterfeuern oder in MVA mit den chemischen Reaktionen in einer Kompostierungsanlage vergleichen. Hier wird die Biomasse langsam und dabei isotherm, d. h. ohne nennenswerte Energieverluste, umgesetzt. Ein großer Teil der in den zu oxidierenden Substanzen gespeicherten chemischen Energie dient als wertvolle "Freie Energie" (-> 8) zum Aufbau von neuer Biomasse. CO2 wird bei langsamer mikrobieller Freisetzung von den Pflanzen der Umgebung assimiliert und nicht, wie bei der Müllverbrennung, in die Atmosphäre geblasen.

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Letzte Überarbeitung: 05. März 2001, Dagmar Wiechoczek