Warum Napoleon Zinn verfluchte

Experimente:
Versuch: Zinngeschrei und Schwefelknistern

Napoleon führte Krieg gegen fast alle europäischen Großmächte und besiegte dabei die meisten von ihnen. Doch der Winter 1812 brachte den Wendepunkt seiner bis dahin steilen Karriere. Der Abstieg wurde nicht zuletzt durch das fünfzigste Element des Periodensystems verursacht.

Beim Verbiegen einer Zinnstange kannst du hören, dass Zinn aus Kristallen aufgebaut ist. Du hörst ein knirschendes Geräusch. Diese Erscheinung wird Zinngeschrei genannt und rührt her von der gegenseitigen Reibung der Kristalle (-> Versuch).

Zinn gehört zu den Substanzen, die bei unterschiedlichen Temperaturen verschiedene Modifikationen aufweisen. Das uns bekannte, weiß-metallische ß-Zinn kristallisiert mit tetragonaler Struktur. Die andere Form, das unansehnlich graue a-Zinn, kristallisiert in der kubischen Diamantstruktur. Ihre Umwandlung beruht auf einem chemischen Gleichgewicht:

Die Bildung von a-Zinn ist exotherm. Deshalb wird nach dem Prinzip von Lechatelier die Reaktion durch tiefe Temperaturen beschleunigt. Sie macht sich erst ab 13,2 °C bemerkbar, nimmt dann aber kräftig zu. Da der Prozess durch Keime von a-Zinn beschleunigt wird, haben wir es hier mit einer Autokatalyse zu tun. Außerdem ist der Prozess auch durch Protonen bzw. Säuren katalysierbar. (Im Schulexperiment ist ein Versuch zur Demonstration der Zinnpest leider nicht erfolgreich.)
Das Volumen von a-Zinn ist um 26 % größer als das von ß-Zinn. Deshalb kommt es zu einem Zerfall des Kristallgefüges, erkenntlich an der grauen Farbe und am Zerbröseln des Metallstücks. Wir verstehen, warum dieses Phänomen Zinnpest genannt wird.
Die Rückbildung von ß-Zinn ist dagegen stark gehemmt, so dass der Zerfall auch durch vorsichtiges Erwärmen nicht reversibel ist - es sei denn, man schmilzt das a-Zinn ein. Beim Abkühlen bildet sich dann zunächst ß-Zinn.

Die Zinnpest ist eine "Krankheit", die viele ungeheizte Heimatmuseen um manch schöne alte Zinnkannen oder prunkvolle Zinnteller gebracht hat.

Die Zinnpest machte auch 1812 der in Moskau stationierten Armee Napoleons schwer zu schaffen.
Bei klirrender Kälte und fehlender Versorgung zerfielen den Soldaten Napoleons auch noch die aus Zinn gefertigten Uniformknöpfe. Auch dies trug dazu bei, dass sich die einst so siegreiche Armee von 600 000 Mann auf armselige 20 000 Soldaten dezimierte.
Heute weiß man: Hätte man bei der Herstellung der Knöpfe dem Zinn geringe Mengen von Elementen wie z. B. Arsen, Blei, Antimon oder Bismut zugesetzt, wäre die Zinnpest nicht aufgetreten!


Weitere Texte zum Thema „Kristalle“


Diese Seite ist Teil eines großen Webseitenangebots mit weiteren Texten und Experimentiervorschriften auf Prof. Blumes Bildungsserver für Chemie.
Letzte Überarbeitung: 26. Februar 2007, Dagmar Wiechoczek