5. Das Abschlussexperiment

5.1 Märchen und Zaubertintenexperiment

Zu Beginn der letzten Doppelstunde der Unterrichtsreihe wird im Sitzkreis ein Märchen vorgelesen. In diesem Märchen ist das Herstellen von Zaubertinte der Schlüssel für die Erlösung. (Die gesamte Erzählung: "Das Märchen der Prinzessin Leila".)
Danach erfolgt die praktische Übertragung der Zaubertintenherstellung in Form von Schülerexperimenten im Unterricht. Das heißt, die Schüler stellen selbst eine Zaubertinte durch Zitronensaft her und schreiben sich gegenseitig kurze Nachrichten, die dann mit Hilfe eines Bügeleisens sichtbar gemacht werden.
Der Versuchsaufbau und das Ergebnis werden als letzte Seiten in dem Chemiebuch festgehalten.
Am Schluss findet eine Reflexion mit den Schülern über die gesamte Unterrichtsreihe statt.

5.1.1 Sachinformationen zum Zaubertintenexperiment
Unsichtbare Tinte wird aus farblosen Chemikalien hergestellt, die bei der Verbrennung oder Behandlung mit anderen Chemikalien reagieren und sichtbar werden. (Es gibt verschiedene Chemikalien, aus denen eine Zaubertinte hergestellt und durch Hitze sichtbar gemacht werden kann, wie z. B. Zwiebelsaft, Essigessenz, Milch, Zuckerwasser. Mit anderen Chemikalien können auch Geheimtinten entwickelt werden, die wiederum nur durch weitere Chemikalien sichtbar gemacht werden können. Auf diese wird hier nicht näher eingegangen. (siehe hierzu MOISL 1983, 100f.))
Durch das Auspressen von Zitronen kann auf einfache Weise eine Zaubertinte hergestellt werden. Mit dem Zitronensaft können Nachrichten auf Papier verfasst werden, die, nachdem sie getrocknet sind, nicht mehr zu sehen sind.
Um die Nachricht wieder sichtbar zu machen, muss der Zitronensaft auf dem Papier erhitzt werden. Am besten eignet sich dafür die Wärme des Bügeleisens, um einen eventuellen Papierbrand zu verhindern.
Der Zitronensaft enthält Kohlenstoff, der sich in der Hitze aus seiner Verbindung löst und sich durch die Verbrennung braun färbt. Die Buchstaben erscheinen somit als braune Zeichen des verbrannten Zitronensaftes auf dem Papier.

5.1.2 Lernziel des Zaubertintenexperimentes
Das Lernziel der letzten Stunde ist die Erkenntnis, dass durch chemische Phänomene Unsichtbares sichtbar gemacht werden kann.

5.1.3 Lernvoraussetzungen für das Zaubertintenexperiment
Das Vortragen des Märchens unterbricht die Lehrperson des öfteren, um den Schülern für Äußerungen und Fragen Raum zu lassen. Von den Schülern wird dann verlangt, dass sie sich in die Lage der agierenden Personen des Märchens versetzen. Die Kinder sollen selbst Strategien entwickeln und Lösungen finden, um sich somit auf die praktische Umsetzung des Märchens vorzubereiten.
In dem darauf folgenden Schülerexperiment sollen die Kinder die Lösung, die das Märchen vorgibt, in eine praktische Tätigkeit übertragen. Das heißt, sie stellen eigentätig Zaubertinte aus Zitronensaft her. Im Haushaltsbereich der Küche haben die Schüler schon beobachten können, dass Saft aus Zitronen gepresst werden kann. Dies kann für die Übertragung genutzt werden.
Da die Durchführung in Form von Partnerarbeit erfolgen soll, in der die Partner gezielt aufeinander eingehen müssen, wird von den Schülern ebenfalls soziales Verhalten vorausgesetzt.
Am Ende des Schülerexperimentes soll mit einem heißem Bügeleisen gearbeitet werden, deren Handhabung einigen Kindern jedoch nur durch Beobachtungen von zu Hause geläufig ist. In diesem Versuch wird von ihnen verlangt, eigentätig unter Hilfestellung der Lehrkraft mit dem heißen Gerät zu hantieren.

5.1.4 Materialliste für das Zaubertintenexperiment

5.1.5 Didaktischer Kommentar zum Zaubertintenexperiment
Das Schülerexperiment, das den Abschluss der Unterrichtsreihe bildet, sollte sehr überlegt ausgewählt werden. Es sollte einen spektakulären Charakter besitzen, damit ein mitreißender Ausklang die positive Einstellung gegenüber der Chemie noch forciert.
Das Abschlussexperiment, wie jedes der Schülerexperimente, sollte zu Hause durchführbar sein, damit es in der Lebenswirklichkeit der Kinder eine Bedeutung erhalten kann.
Alle Materialien, die für das Schülerexperiment zur Zaubertinte benötigt werden, lassen sich im Haushaltsbereich finden. Zitronen, Presse, Pinsel und Papier sind den Schülern vertraute Gegenstände. Mit dem Gebrauch des Bügeleisens sollte jedoch vorher geübt und eine besondere Vorsicht entwickelt werden.
Das Zaubertintenexperiment kann zudem einen Platz in der Spielwelt der Kinder einnehmen. Dieser letzte Versuch kann von den Schülern als "Zaubertrick" benutzt werden, deren Lösung nur sie kennen. Kinder hegen oft den Wunsch, nur einem Eingeweihten eine Nachricht zu übermitteln. Sie haben von gewissen Geheimschriften meist schon aus Detektiv- oder Hexengeschichten gehört. In dem Märchen der Prinzessin Leila hilft die Zaubertinte, aus einer ausweglosen Situation zu entkommen.
Ob solche Zaubertinten auch real herstellbar sind, soll in dem letzten Schülerexperiment erforscht werden.

5.1.6 Methodische Überlegungen zum Zaubertintenexperiment
Um dem Schülerexperiment mit der Zaubertinte das richtige Ambiente zu geben, wird zuerst ein Märchen vorgelesen.
Durch das Märchen wird die Phantasie der Schüler angeregt. Sie sollen Strategien entwickeln, wie sie sich in der Lage der agierenden Personen in dem Märchen verhalten würden. Dadurch wird die Motivation für die praktische Umsetzung gesteigert.
Obwohl es der Motivation durch die Märchenerzählung nicht bedurft hätte –das Phänomen der Geheimschrift enthält genügend spektakuläre Elemente-, kann durch das Märchen, besonders für Kinder der ersten Klasse, eine interessante Atmosphäre geschaffen werden, die letztlich zu einem gesteigerten Erinnerungsvermögen an den Versuch führen kann.
In der Methode der Partnerarbeit können die Schüler sich gegenseitig geheime Botschaften mit dem Zitronensaft übermitteln. Hier findet wieder das soziale Lernen Berücksichtigung.
Das Austauschen der Botschaften birgt zudem ein Überraschungsmoment in sich, da der Partner nicht weiß, welche Nachricht durch das Bügeln sichtbar wird.
In der Abschlussreflexion am Ende der Stunde können die Schüler über ihre Erfahrungen sprechen und Meinungen äußern.

5.1.7 Mögliche Probleme und Schwierigkeiten des Zaubertintenexperimentes
In der Methode der Partnerarbeit zeigt sich, dass einige Schüler nicht bereit sind, ihre selbstverfasste Nachricht mit dem Partner auszutauschen. Sie wollen ihre eigene Botschaft behalten und sie für sich sichtbar machen. Der "Egoismus" der Schüler im ersten Schuljahr darf nicht unterschätzt werden.
Um die mit Zitronensaft geschriebenen Nachrichten wieder sichtbar zu machen, bedarf es einer großen Hitze. Die ungefährlichste Form -im Gegensatz zum Gebrauch einer Kerze- ist das Erwärmen des Papiers mit einem Bügeleisen. Doch auch das eigentätige Bügeln kann zu Verbrennungen führen. Die Lehrperson sollte diese Tätigkeit sorgfältig vorbereiten und überwachen, um gegebenenfalls schnell eingreifen zu können. Für die anderen Schüler ergeben sich daraus dann allerdings gewisse Wartezeiten.

5.1.8 Durchführung des Zaubertintenexperimentes im Unterricht
Zu Beginn der letzten Doppelstunde wird ein Sitzkreis gebildet, um das Märchen der Prinzessin Leila in einem gemütlichen Rahmen vorzutragen.
Das Märchen handelt von einer Prinzessin namens Leila, die von einem bösen Grafen entführt wird. Er hält sie in einem Turm gefangen und bringt ihr täglich nur eine Scheibe Brot und eine Tasse Tee mit einem Stück Zitrone. Der Graf verlangt von der Prinzessin, dass sie einen Brief an ihren Vater schreibe, indem sie ihm mitteile, dass sie den Grafen heiraten wolle, obwohl sie dies nicht möchte. Was kann die Prinzessin nun unternehmen, um befreit zu werden?
Die Schüler entwickeln viele verschiedene Strategien, wie beispielsweise einen Papierflieger mit einer Nachricht aus dem Turmfenster zu werfen oder einfach "nein" zu sagen. Eine weitere Strategie wäre, dass Leila unter den Brief an ihren Vater eine kleine Nachricht schreibt, in der steht, dass sie gefangengehalten werde. Diese könnte dann jedoch ebenfalls von dem Grafen entdeckt werden. Eine geheime Botschaft müsste folglich auf den Brief gelangen. Aber wie?
Nachdem in dem Märchen noch einmal auf das Stück Zitrone hingewiesen wird, erfolgt die Frage: War das die Lösung?
Ein Schüler weiß die Antwort sofort: "Man kann mit Zitronensaft unsichtbar schreiben und die Geheimschrift mit Wärme wieder sichtbar machen." Das bestätigt eine andere Schülerin, die von so etwas Außergewöhnlichem schon einmal aus einem Detektivbuch gehört hat. Das Papier mit der geheimen Botschaft muss nachher nur an eine Kerze gehalten werden, dann wird die Zitronenschrift wieder sichtbar.
Die anderen Schüler sind von der Idee begeistert, und die Lehrperson ist erfreut, dass die Schüler die Lösung des Märchens selbständig entwickeln konnten.
In dem weiteren Gespräch folgt der Einwurf, dass es doch viel zu gefährlich sei, Papier über eine Kerze zu halten. Daraufhin tragen die Schüler andere Möglichkeiten der Erwärmung zusammen. Einige Überlegungen beinhalten beispielsweise die Vorschläge, das Papier an eine Lampe zu halten oder in den Backofen zu legen.
Für den folgenden Schülerversuch wird dafür dann als effektivste und ungefährlichste Methode ein Bügeleisen benutzt.
In der zweiten Stunde wird dann das Zaubertintenexperiment durchgeführt.

Für die Versuchsdurchführung werden Zweiergruppen gebildet. Jede Zweiergruppe erhält zunächst eine halbierte Zitrone, eine Zitronenpresse und ein Becherglas.
Mit viel Kraft wird die Zitronenhälfte auf der Presse ausgedrückt. Der Saft wird dann in das Becherglas umgefüllt.

Versuchsaufbau des Zaubertintenexperimentes:

Jede Gruppe bekommt Pinsel und Papier, damit die geheimen Botschaften verfasst werden können.

Versuchsdurchführung des Zaubertintenexperimentes:
Da die Schrift mit dem Zitronensaft beim Schreiben schwer zu erkennen ist, und es sich in dieser Unterrichtsreihe um eine erste Klasse handelt, die das Schreiben gerade erst erlernt, ist ein Wort oder eine Zeichnung als Nachricht ausreichend.
Danach ist es wichtig, die fertige Botschaft zum Trocknen an die Seite zu legen. Denn wird eine Nachricht, die noch nicht ganz trocken ist, zu früh erwärmt, so verwischt der Zitronensaft beim Bügeln, und die Nachricht ist nicht mehr erkennbar. Am schnellsten trocknen die fertigen Papiere auf der Heizung im Klassenzimmer.
Anschließend werden die getrockneten Nachrichten ausgetauscht; der Zitronensaft ist nicht mehr sichtbar. Die Proben werden jetzt gebügelt und für denjenigen, der eine Botschaft seines Partners erhalten hat, kommt zu der Entdeckung der Schrift oder des Bildes noch der Überraschungseffekt hinzu.
Einige Kinder tauschen ihre Zettel jedoch nicht aus, weil sie ihr eigenes Ergebnis sichtbar machen wollen.
Da die Lehrperson die sorgfältige Aufsicht über das Bügeln übernehmen muss, ergeben sich Wartezeiten für die anderen Schüler, da nur jeweils ein Schüler bügeln kann. Sobald jedoch die ersten Ergebnisse sichtbar sind, werden sie stolz herumgezeigt; somit haben auch die anderen Schüler eine Beschäftigung, und der Austausch von Beobachtungsergebnissen beginnt.


Beispiel einer gebügelten Geheimbotschaft

Beobachtungen des Zaubertintenexperimentes:
Die fertigen Proben geben die verfassten Botschaften originalgetreu wieder, so als ob man sie mit einem richtigen Stift geschrieben hätte.
Die Schüler entdecken, dass die geheimen Botschaften nach dem Bügeln bei jeder Probe von gleicher Farbe sind. Die Zitronenschrift ist nun braungelb. Dass das Papier ein bisschen verbrannt riecht, nach dem es erhitzt wurde, ist eine weitere Beobachtung der Kinder.

Deutung des Zaubertintenexperimentes:
Die Schüler haben eigentätig festgestellt, dass die Erzählungen aus den Detektivbüchern und aus dem Märchen der Prinzessin Leila der Wahrheit entsprechen.
Während des Bügelns wird ein leichter Verbrennungsgeruch wahrgenommen, und da der Zitronensaft nach dem Erwärmen eine braune Färbung angenommen hat, wird von den Schülern herausgefunden, dass der Zitronensaft unter dem Bügeleisen verbrannt ist.
Da der Vorgang der Verbrennung -wie schon die vorherigen Schülerexperimente ergeben haben- mit der Chemie in Verbindung steht, gehört auch dieses Phänomen in den Bereich der Chemiker. "Chemiker können Unsichtbares sichtbar machen" stellt dann der Ergebnissatz dar.

Der Versuch wird zum Schluss in Wort und Bild als weitere Seite im Chemiebuch festgehalten, damit ein späteres Nachmachen möglich ist. Die letzte Seite des Chemiebuches zeigt dann die sichtbar gemachte, geheime Botschaft des Zitronensaftes. (Chemiebuchseiten siehe Anhang.)
Im Laufe der Unterrichtsreihe ist so für die Schüler ein wertvolles, kleines Experimentierbuch entstanden, das ihnen ermöglicht, auch zu Hause und zu späteren Zeitpunkten ihre Experimente aus der ersten Klasse zu wiederholen.

5.1.9 Reflexion des Zaubertintenexperimentes
Das Märchen zu Beginn der Stunde zeigt ein sehr emphatisches Verhalten der Schüler. Sie können sich gut in die agierenden Personen hineinversetzen und einfallsreiche Lösungsstrategien entwickeln.
Erstaunlich bleibt die Tatsache, dass die Schüler selbständig die richtige Lösung des Märchens gefunden haben.
Hier zeigt sich wieder die theoretische Annahme eines vor- und außerschulischen Interesses der Kinder an chemischen Phänomenen in der Praxis bestätigt.
In Detektiv- und Zauberbüchern sind Kinder schon früh einigen naturwissenschaftlichen Phänomenen auf der Spur.
Die Einfachheit der Herstellung einer Zaubertinte ermöglicht eine direkte Verbindung zu ihrer Lebenswirklichkeit. Da die benötigten Materialien in jedem Haushalt zu finden sind, kann eine außerschulische Verwirklichung jederzeit stattfinden. Wie bereits erwähnt, sollte in Bezug auf das Bügeleisen allerdings zu besonderer Vorsicht angehalten werden.
Die Einsicht in den Gesamtzusammenhang der Versuchsdurchführung scheint nicht bei allen Schülern vorzuliegen. Als die Schüler ihre Botschaften untereinander austauschen sollen, ist entweder einigen nicht deutlich geworden, welchen Sinn dieser Austausch hat oder sie möchten ihre Botschaften einfach nicht aus der Hand geben. Somit bleibt der Überraschungseffekt in einigen Gruppen aus. Es zeigt sich jedoch, dass, obwohl sie ihre eigene Nachricht sichtbar machen, sie von der Durchführung und dem Ergebnis dennoch erstaunt und begeistert sind.

Reflexion der Unterrichtsreihe mit den Schülern:
Nachdem das letzte Schülerexperiment beendet ist, gibt es eine Überraschung für die Lehrperson. Die Klasse führt ein Klassentagebuch. Jede Woche nimmt ein Schüler der Klasse das Buch mit nach Hause und schreibt auf einer Seite, was ihm in dieser Woche besonders gefallen hat, was im Gedächtnis geblieben ist oder was von ihm als bemerkenswert erachtet wird. Eine Seite des Tagebuches hat ein Schüler dem Versuch mit der Papierchromatographie gewidmet. Er hat die Versuchsdurchführung in eigenen Worten wiedergegeben und den Versuchsaufbau mit einer unglaublich genauen Zeichnung dargestellt.

Diese Seite wird nun von ihm vorgelesen:

Der Schüler hat das Experiment beeindruckend genau beschrieben und in einer Zeichnung wiedergegeben.
Eine Schülerin berichtet daraufhin, dass sie an diesem Experimentiertag krank war und deshalb den Versuch zu Hause durchgeführt habe. Bei ihr sei das Experiment jedoch nicht gelungen. Sie erzählt, dass der Filzstiftstrich sich nicht verfärbt hat, sondern dass die Farbe im Wasser schwamm.
Die Lehrperson lässt die Schüler, die das Experiment im Unterricht durchgeführt haben, Vermutungen darüber anstellen, was diese Schülerin zu Hause falsch gemacht haben könnte.
Der Verdacht, dass die Schülerin den Löschpapierstreifen zu tief in das Wasser gehängt hat, so dass ebenfalls der Farbstrich im Wasser hing und sich in diesem auflöste, wird von der Schülerin bestätigt. Nachdem sie aufgeklärt wurde, was sie falsch gemacht hat, möchte sie es unbedingt noch einmal zu Hause ausprobieren.
Auch viele andere Schüler erzählen, dass sie die Experimente dieser Unterrichtsreihe zu Hause vorgeführt hätten. Es hätte immer alles geklappt und Erstaunen und Begeisterung in ihren Familien ausgelöst.


Literatur


Diese Seite ist Teil eines großen Webseitenangebots mit weiteren Texten und Experimentiervorschriften auf Prof. Blumes Bildungsserver für Chemie.
Letzte Überarbeitung: 30. August 2010, Dagmar Wiechoczek