Wie der Alkohol über die Menschheit kam

Am Anfang standen natürliche Prozesse
Der Alkohol kam über die Menschheit wie das Feuer. Letzteres entstand wohl durch den Einschlag eines Blitzes oder durch einen Buschbrand aufgrund eines glitzernden Wassertropfens, der als Linse wirkte. Oder bei einem umweltschädigenden Vulkanausbruch.

Bald lernten die Menschen, wie man selber Feuer machen kann. Diese neue Methode war zwar nicht so elegant und eindrucksvoll wie mit einem echten Blitz, aber letztlich genauso wirksam. Auch den lichtbrechenden Wassertropfen ahmte man nach: Mit einer Linse kann man auch viel Licht auf ein Stück Holz oder Gras fokussieren, dass es beginnt zu brennen.

Die Rolle der feuerstiftenden, lichtbrechenden Wassertropfen haben heute die Glasscherben übernommen, die Leute in Wald und Flur herumliegen lassen. Dabei handelt es sich meistens um Gefäße für Getränke, vor allem für Alkoholverdünnungen. Da sind wir schon beim nächsten Thema.


Die alkoholische Gärung wurde wohl von sparsamen Leuten erfunden
Die bewahrten schon damals alles Mögliche und Unmögliche auf. So begannen zulange gespeicherte Früchte oder deren Säfte an zu gären. Die Leute haben es trotzdem getrunken. Einige haben überlebt und sich sogar selig beschwingt gefühlt.

Irgendwann haben die Menschen mal kapiert, woher der Lustigmacher kam. So wurde die alkoholische Gärung als erstes biotechnologisches Verfahren entwickelt.

Dem schloss dann sicherlich auch die Essigsäuregewinnung als zweites bedeutendes biotechnologisches Verfahren an. Denn die gleichen sparsamen Hausfrauen, die uns den Alkohol bescherten, bewahrten sogar dessen Reste noch auf und ließen ihn durch fleißige Bakterien in Essig verwandeln.

Natürlich gilt dies auch für vergammelnden Kohl (der wurde zu "Sauerkraut") oder für verfaulende Milch - letztere wird "Joghurt" oder "Käse" genannt. (Chinesen schütteln sich, wenn sie an unseren Käsegeruch denken - für die ist das der penetrante Geruch nach Milchsäure, der sogar uns "Käseessern" anhaften soll. Sie bleiben lieber bei ihren lang gelagerten und somit gereiften x-Tage-Eiern...) Die vergorene Milch gibt es übrigens auch mit Alkohol; dann heißt sie "Kefir". Den verkauft jeder Bioladen, der etwas auf sich hält... Zur Erinnerung: Alkohol ist ein Gift. Das in einem Bioladen! Da gibt es auch gegorenen und deshalb alkoholhaltigen Honig - Met genannt.

Wir sehen also: Biotechnologie ist wohl nichts Böses. Wenigstens, wenn es schmeckt. Selbst die technisch völlig ungebildeten Naturburschen der Steinzeit als Vorgänger der Grünen und Ökos haben sich deren schon bedient - und tun es heute noch mit wachsendem Behagen. Denn Sauerkraut und alkoholisches Selbstgebrautes sind "in". Aktien steigen, wenn auf ihnen das Wort "Bio" vermerkt ist.

Wir können das alles weiterspinnen. Die Sumerer, Babylonier und Assyrer tranken wie die Ägypter und andere Völker um die Wette.

Die Ägypter erfanden übrigens die Jahrgangsbezeichnungen für Wein. Das diente aber eher den Abrechnungen durch die Steuerbehörden.


Vom gepflegten Wein
Heute ist das ganze Jahrgangsgerede verkommen als Beschäftigung für Wichtigtuer. Wer die deutsche/europäische Weingesetzgebung kennt und weiß, wie man Weine chemisch behandeln, mit anderen mischen und sonst wie kann, dann verliert man rasch die Hochachtung vor den "Weinschlotzern"...

Wir besuchten solch einen Weinkenner. Dem brachten wir eine Flasche wirklich guten Weins mit. Wenigstens war der teuer gewesen, stammte aus dem besten Weingeschäft Tübingens und war dazu von uns liebevoll vorgekühlt. Leider hatten wir ihn im Auto transportiert. "Der muss erst ausruhen", wurden wir vorwurfsvoll belehrt: "Nach den Schüttelfahrt darf man den doch nicht trinken!"
Wir haben mit dem Mann gewettet, dass er einen geschüttelten Wein nicht von einem "ausgeruhtem" unterscheiden könnte. Dazu haben wir noch sechs Flaschen vom gleichen erstklassigen Wein gekauft. Als Chemiker hatten wir im Labor Schüttelmaschinen (siehe folgendes Bild), mit dem man Mischungen durchrüttelt. Darauf haben wir drei Flaschen, die wir zuvor gekennzeichnet haben, geschnallt und drei Tage lang ununterbrochen durchschütteln lassen.

Bild 1 (Foto: Daggi)


Danach haben wir den Weinkenner zum Probieren ins Labor eingeladen. Wir haben ihm alle sechs Flaschen hingestellt, sie ihn sogar selbst öffnen lassen. Andächtig schlotzte er, biss den Wein und dachte angestrengt nach. Machen wir es kurz: Er lag bei allen Weinen daneben! Er hat nicht unterscheiden können, welcher geschüttelt war und welcher "ausruhen durfte"...

Eine Zeitlang war die Weinpflege sogar mit Bleizucker erlaubt... Daran soll sogar Beethoven, der seinen abendlichen Rotsporn liebte, eingegangen sein. Wir denken auch an den Skandal ums Glykol, mit dem vor allem die guten österreichischen Weine verfeinert wurden.

Ohne Zweifel hat die "Weinologie" auch zur anständigen chemischen Forschung viel beigetragen. Aus Wein wurde Weinbrand. So wurde die Destillation verfeinert, dabei wurde auch die Kolonne erfunden.

Bild 2: Destillationsapparatur mit Kolonne
(Foto: Daggi)


Trotzdem sehen Destillen in manchen dunklen Destillierstuben immer noch so aus wie früher bei den Alchimisten. Ein hoher Gehalt an Methanol oder Fuselölen ist so vorprogrammiert.

Bild 3: Alchimistenlabor im Schloss Brake bei Lemgo
(Foto: Blume)


Noch eine Anmerkung zum Weingenuss und zu den in den Medien gefeierten Weinmärkten: Alkohol ist eine gesundheitsschädigende Droge. Und sie ist teuflisch: Trinkst du zu wenig oder gar nichts, drängt man dich, "kein Spielverderber zu sein". Trinkst du zuviel, bist du gesellschaftlich sofort geächtet. Also Vorsicht vor Genießern...


Die Geburtsstunde der Enzymforschung
Machen wir einen riesigen Zeitsprung. Denn auch für die Wissenschaftsgeschichte erwies sich die alkoholische Gärung als wichtig.

Lange Zeit glaubte man, die alkoholische Gärung sei nur ein Prozess, an dem lebende Zellen beteiligt sind. Louis Pasteur zum Beispiel meinte, dass nur lebende Zellen fähig sind, den Gärvorgang auszulösen. Dazu machte er Experimente, in denen er feststellen konnte, dass sterile (von ihm persönlich "pasteurisierte") Zuckerlösungen nicht gären.

1897 stellten die Chemikerbrüder Hans und Eduard Buchner aus der Bierstadt München einen vollkommen zellfreien Hefepresssaft her, indem sie Hefezellen zwischen Quarzsand zerrieben und abfiltrierten. Sie bemerkten, dass auch dieser Zellsaft eine Gärung auslöst.

Den neuen Stoff, der einen sehr komplizierten biochemischen Vorgang außerhalb der Zelle ermöglichte, nannten die Brüder Zymase (vom griechischen zyme, Sauerteig). Später fand man heraus, dass es sich um ein Gemisch verschiedener Enzyme, also um "im Sauerteig" befindliche Biokatalysatoren, handelt. Heute wissen wir: Für den komplizierten Vorgang des Abbaus von Traubenzucker zu Ethanol sind mehrere Enzyme nötig. Die Reaktion verläuft dazu über viele Zwischenstufen.

Mit dieser Leistung bahnte Eduard Buchner den Weg für einen neuen Wissenschaftszweig - der Enzymologie. 1907 erhielt er sogar den Nobelpreis für Chemie "für die Entdeckung der zellfreien Gärung". Denn ihm war es gelungen, biologische und enzymatische Aktivität voneinander zu trennen, was für die Erkenntnis der Reaktionsabläufe biochemischer Prozesse eine fundamentale Beobachtung war. (Bleibt die Frage: Was hat eigentlich sein Bruder Hans zur Nobelpreisverleihung an Eduard gesagt?)


Zum Schluss
Tolle Einblicke, wie Feuer durch Wassertropfen entsteht und wie die alkoholische Gärung auch ohne Gärbottich ablaufen kann, gibt der Film "Die lustige Welt der Tiere". Ein absolutes "Muss" für alle Schüler!


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Letzte Überarbeitung: 10. Oktober 2006, Dagmar Wiechoczek