Senföle (Isothiocyanate): Das „Scharfe Prinzip“ der Rettiche

Rettiche schmecken bekanntlich scharf. Deshalb werden sie zum Beispiel in Bayern gern gegessen - gesalzen als Durstmacher beim Biertrinken. Hat das auch etwas mit extra-scharfen Senfzubereitungen zu tun?

Bayrische Marktfrau am Radistand
(Foto: Blume)


Das „Scharfe Prinzip“ haben Rettich und Senfpflanzen mit fast allen anderen Kreuzblütlern (Brassicaceae) gemeinsam, zu denen z. B. auch Radieschen, Meerrettich und Brunnenkresse gehören.

Für die Schärfe sind die Senföle verantwortlich. Die hat man nach den Stoffen, die sich im Samen des Schwarzen Senfs befinden, benannt. Es handelt sich chemisch um Isothiocyanate mit der folgenden allgemeinen Formel.


Die Pflanzen stellen diese Stoffe übrigens her, um Fressfeinde abzuschrecken. Deshalb setzen sie die Senföle auch erst dann aus einer nicht scharf schmeckenden und physiologisch unauffälligen Vorstufe, den Glucosinolaten, frei, wenn sie verletzt worden sind.

Die Bildung von Isothiocyanaten erfolgt enzymatisch. Die gesamte chemische Reaktion ist ziemlich kompliziert und umfasst nicht nur enzymatische Hydrolysereaktionen, sondern mindestens auch eine Umlagerung.


Es gibt sehr viele Kreuzblütlerarten, wie ein Blick in Bücher zur Pflanzenbestimmung wie z. B. von Kosmos [1] zeigt. Folglich gibt es auch eine Vielzahl von Senfölen, die sich nur im organischen Rest R unterscheiden. Eine sehr gute Übersicht gibt das Lehrbuch [2].

Bei Rettich und Radieschen handelt es sich speziell um diese Substanz:


(Zum Kennenlernen der Substanz, die dem Senf seine typische Würze verleiht, klicke hier.)

Auch wenn die chemischen Formeln der Isothiocyanate abenteuerlich aussehen und die Substanzen reizend auf Haut und Schleimhaut wirken, sind Senföle für uns in geringen Mengen nicht giftig.

Wenn man jedoch Unmengen von Senf oder Meerrettich isst, gibt es allerdings mit Erbrechen und Durchfall Probleme im Verdauungstrakt. Auch soll die extensive Arbeit mit Meerrettich Probleme in den Atemwegen verursachen. Naturheiler nutzen Senfumschläge - was bei empfindlichen Personen zur kräftigen Blasenbildung führen kann.

Zur Chemie der physiologischen Wirkung der Senföle sei nur so viel gesagt: Bei den Isothiocyanaten handelt es sich um ungesättigte Verbindungen mit hohem elektrophilen Potential. Sie addieren sich deshalb an Amino-, Thiol- und Hydroxygruppen biochemischer Substanzen.

Das alles erinnert an die Polyurethan-Synthese, bei der man von Di-isocyanaten und mehrwertigen Alkoholen ausgeht. Diese Kunststoffgruppe nennt man Polyaddukte.

Wichtig ist auch, dass Isothiocyanat-Ionen zu den Pseudohalogeniden gehören. Sie konkurrieren mit Iodid-Ionen um die Bindungsstellen in der Schilddrüse und können deshalb die Ursache für Kropfbildung sein.

Man darf Senföle übrigens nicht mit den Senfgasen verwechseln. Das sind wirklich schlimm giftige chemische Kampfstoffe.


Literatur
[1] M. Spohn, D. Aichele, M. Golte-Bechtle, R. Spohn: Was blüht denn da? Franckh-Kosmos Verlag, 58. Auflage, Stuttgart 2008.

[2] E. Teuscher, U. Lindequist: Biogene Gifte; Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 3. Auflage, Stuttgart 2010.


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Letzte Überarbeitung: 07. Februar 2014, Dagmar Wiechoczek