Prof. Blumes Tipp des Monats Februar 2001 (Tipp-Nr. 44)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


(Foto: Daggi)


Rechtzeitig zum Karneval: Gibt es den Blutalkohol-Killer?

Von Katrin erreichte uns vor Silvester die folgende Anfrage:

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bin über eine Internet-Suchmaschine auf Ihre Seite gekommen und möchte Ihnen gerne eine Frage stellen, die mir bis jetzt noch niemand beantworten konnte.
"Stimmt es, dass Fruchtzucker den Alkohol-Abbau beschleunigt?"
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir antworten würden.
Vielen Dank im Voraus.

Es muss etwas daran sein. Denn es stand sogar in der Zeitung:

Fruchtzucker hilft gegen Kater
Wer viel getrunken hat, sollte vor dem Zubettgehen mindestens 30 g Fruchtzucker essen. Das würde den Abbau des Alkohols um ein Drittel beschleunigen - so steht es zumindest in der Verbraucherzeitschrift Öko-Test.

Das ist ein Fall für das DC2-Team!

Gleich vorneweg: Die Antwort ist ein klares Jein! Es stimmt, dass Fructose den Alkoholabbau fördert. (Vorausgesetzt, man bekommt diese Menge an Zucker überhaupt runter...) Es gibt vordergründige Argumente dafür und gute Argumente dagegen.
Dahinter versteckt sich eine Besonderheit des Abbau-Stoffwechsels der Fructose. Die Besonderheit arbeiten wir am besten heraus, wenn wir die Stoffwechselwege von Fructose und Glucose vergleichen.
Beim Start des Abbaus ihrer Moleküle werden beide Zucker unter Mitwirkung von ATP mit einer Phosphorsäure verestert ("phosphoryliert"). Den Phosphorsäurerest kürzen wir wie üblich in den Namen mit P ab.

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Bild 1: Stoffwechsel der Glucose


1 Glucose-Abbau
Glucose wird als Blutzucker von allen Körperzellen unter der Mitwirkung von Insulin aufgenommen. Dabei wird die Glucose am C-6 phosphoryliert. Das Enzym ist die Hexokinase.
Es folgt die klassische Glykolyse: Glucose-6-P wird zu Fructose-6-P isomerisiert. Letztere wird erneut phosphoryliert; es entsteht Fructose-1,6-DiP. Dieses wird durch ein Enzym (Fructodiphosphat-Aldolase) in zwei Bruchstücke gespalten, Dihydroxyaceton-P und Glycerinaldehyd-3-P. Beide stehen miteinander im Bildungsgleichgewicht, aus dem heraus Glycerinaldehyd-3-P oxidativ über einige Zwischenstufen zu Pyruvat umgebaut wird.

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Bild 2: Abbau von Fructose


2 Fructose-Abbau
Fructose wird erstaunlich schnell aus dem Blut entfernt und abgebaut.
Und das, obwohl bei der Fructose der allgemeine Hexokinase-Weg zu Fructose-6-P keine besondere Bedeutung hat.
Ausschlaggebend sind die Reaktionen in der Leber. Hier wird die Fructose durch die hochaktive Fructokinase in einer sehr raschen spezifischen Reaktion in Fructose-1-P umgewandelt. (Die Fructokinase reagiert 10mal schneller als die Hexokinase.)
Anders als bei der Glucose muss die Fructose in der Leber nicht zweifach phosphoryliert werden. Bei der anschließenden Fructomonophosphat-Aldolase-Reaktion wird Fructose-1-P in Dihydroxyaceton-P und Glycerinaldehyd gespalten.

Ersteres geht in die normale Glykolyse ein.


Der nicht phosphorylierte Glycerinaldehyd dagegen kann drei Wege einschlagen
1 Er kann phosphoryliert und wie beim Glucoseabbau über die Glykolysewege oxidativ in Pyruvat umgewandelt werden.
2 Eine Aldehyddehydrogenase (AlDH) oxidiert ihn zur Glycerinsäure. Diese wird phosphoryliert und zu Pyruvat umgewandelt.
3 Der größte Teil des Glycerinaldehyds wird jedoch durch die bekannte Alkoholdehydrogenase (ADH) zu Glycerin reduziert. Deren Konzentration steigt mit dem Angebot an Glycerinaldehyd.


Wie der Alkohol abgebaut wird
Nun müssen wir uns darüber informieren, wie das Zellgift Ethanol im Körper abgebaut wird. Das geschieht in der Leber in zwei Schritten:

Oxidationsmittel ist beide Male NAD+. Katalysiert wird mit den uns schon bekannten Enzymen ADH sowie AlDH. Die ADH wirkt hier aber oxidierend.


Wie Fructose- und Alkoholabbau zusammenwirken

1 Die Gabe von großen Mengen an Fructose stimuliert zunächst die Bildung der ADH
Dieses Enzym katalysiert umgekehrt aber auch die Oxidation des Zellgifts Ethanol. Deshalb baut sich Ethanol schneller ab, wenn Fructose im Spiel ist. Diese gegenläufige Doppelfunktion eines Enzyms ist nichts Ungewöhnliches. Das liegt an den äußerst geringen Aktivierungsenergien für Hin- und Rückreaktion.

2 Die Bildung von AlDH wird durch Glycerinaldehyd und somit letztlich durch Fructose stimuliert
Der bei der Oxidation von Ethanol entstehende Acetaldehyd ist aber ebenfalls ein Zellgift. Von dem rührt das eigentliche Katergefühl her.
Acetaldehyd wird mit Hilfe der AlDH zu Essigsäure weiteroxidiert. Das ist ein Stoff, der weiter im Stoffwechsel verwendet werden kann. Ein Beispiel ist der Aufbau von Fetten.

Mit diesen beiden durch große Mengen an Fructose unterstützten Enzymreaktionen sollte das Katergefühl also rasch verschwinden.


Also ist Fructose das Allheilmittel gegen Kater?
Wohl kaum, denn (wie sagt Mike Krüger so schön?): Irgend etwas ist ja immer! Es kann beispielsweise durch Gabe von zuviel Fructose zum Ausbruch von versteckten Krankheiten kommen, zu denen die angeborene Fructose-Intoleranz gehört. Dabei werden durch Fructose-1-P Leberenzyme (vor allem die glykogenabbauenden Phosphorylasen) gehemmt. Das wirkt sich wie eine schwere Hypoglykämie aus, die zum Schockzustand und sogar zum Tod führen kann.


Was also können wir gegen den Kater tun?
Mal abgesehen von der Möglichkeit der Einschränkung des Alkoholkonsums: Das eigentliche Problem beim Katergefühl ist der Mangel an Oxidationsmittel NAD+, das nach reichlichem Alkoholgenuss und erst recht durch Genuss von reichlichen Mengen an Fructose in reduzierter Form als NADH/H+ vorliegt. Die Menge an NAD+ in den Zellen ist begrenzt, es muss ständig regeneriert werden. Hierzu gibt es das System der Gärung. Dann übernehmen vom NADH andere Stoffe als Sauerstoff den Wasserstoff. Ein Beispiel ist der Glycerinaldehyd aus der Fructose. Nun kann man sagen, dass damit das Problem gelöst ist: Aber pro Mol Ethanol werden zwei NADH freigesetzt. Also noch mehr Fructose essen? Aber auch Pyruvat aus der Fructose bildet Milchsäure. Dann schmerzen zum Kater noch Muskeln und Kopf. Pyruvat setzt übrigens bei seiner Bildung aber auch NADH frei. Man sieht, die Rechnung ist sehr schwierig, weist aber eine positive Bilanz für NADH auf.
Einzig helfen kann da die Atmungskette. Die sorgt für eine kontinuierliche Rückbildung von NAD+ unter ständiger Zufuhr von ausreichend Sauerstoff. Dabei bildet sich allerdings ATP, das auch zu ADP/P zurück reagieren muss, damit die Atmungskette läuft. Deshalb müssen wir ständig Energie verbrauchen.
Das alles gibt es nur bei einem flotten Spaziergang oder Joggen an frischer Luft!


Bleibt zum Schluss nur das Wort des Philosophen:

Für einen klugen Mann ist Wasser das einzige Getränk.

Das sagte der amerikanische Philosoph und Schriftsteller Henry David Thoreau (englisch ausgesprochen: Zorró mit z = ti-ätsch) zum Thema. Er war wohl ein rechter Trauerkloß. Und lange gelebt hat er auch nicht, nur von 1817 bis 1862.


Rüdiger Blume


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Letzte Überarbeitung: 12. August 2008, Dagmar Wiechoczek