Prof. Blumes Tipp des Monats März 2011 (Tipp-Nr. 165)


Weiße Winterpelze auf hartem Holz: Kamm-Eis (Haar-Eis)

Vorbemerkung
Diesmal bringen wir einen Tipp ohne praktische Chemie-Highlights. Es geht um Möglichkeiten, über das „Kleine Auffällige“ am Wegrand zu sprechen, also Phänomene der Natur zum Anlass zu nehmen, naturwissenschaftliches Denken anzuregen. Selbst mir ist das, worüber ich hier berichte, bis jetzt nicht aufgefallen. Spezialisten kennen das Ganze natürlich - unter den Begriffen Kamm-Eis oder Haar-Eis.


Nun die Story:
Bei Winterwanderungen sehen aufmerksame Beobachter an Frosttagen am schnee- und raureiffreien Wegesrand oder mitten im Wald manchmal Merkwürdiges: Da liegen - wenn auch nicht gerade häufig - einige Äste herum, die pelzartig mit weißen, mehreren Zentimeter langen weißen Fäden überzogen sind. Sind das Pilzspuren? Kaum - bei dieser Kälte wächst kein Pilz.

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Bild 1: Haar-Eis auf Buchenholz im schneefreien Wald
(Foto: Blume)


Die Pelze können zum Beispiel wie Flaschenbürsten aussehen. Hier ist das Bild von einem anderen Holzstück:

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Bild 2: Haar-Eis auf einem 30 cm langem Holz
(Foto: Blume)


Besonders hübsch ist auch dieser Winterpelz:

Bild 3: Aststück (Länge 15 cm) mit Haar-Eis
(Foto: Blume)


Worum handelt es sich?
Bei kleineren, herumliegenden Stücken denkt man zunächst an Tretminen, also an Hundekot, den freundliche Hundebesitzer von ihren Lieblingen in der Gegend verteilen lassen. Hunde- oder Katzendreck ist ja manchmal pelzartig mit Schimmelpilzen überzogen. Aber Schimmel sieht anders aus.

Naturwissenschaftler werden nun neugierig: Wenn sie sich vorsichtig überzeugt haben, dass die Sache nicht stinkt, und wenn sie nun genauer hinsehen, erkennen sie rasch, dass es sich um Holzstücke handelt, die mit einem Pelz von zentimeterlangen Kristallen überzogen sind. Das Ganze sieht richtig asbestartig aus. Es erinnert einen nicht nur an Flaschenbürsten, sondern auch an die weißen Straußenfedern („Boa-Federn“) an einem Hut für ältere Damen oder an den sparsamen Umhang für Varieté-Girls…

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Bild 4: Federartige Haar-Eiskristalle (Holzstück 15 cm)
(Foto: Blume)


Klopft man auf den Pelz tragenden Stock, so bröseln brüchige Kristalle ab, und wenn man ihn anhaucht, schmilzt der Pelz. Es handelt sich also eindeutig um Wasser-Eis.

Zur Bildung dieser Eispelze muss es sehr kalt sein. Dazu muss gar kein Schnee liegen oder sich an den umliegenden Bäumen und Hecken Raureif gebildet haben. Der Eispelz bildet sich trotzdem - und das in einer Nacht. Es ist folglich keine Raureifbildung, die auf dem Ausfrieren von Luftfeuchtigkeit beruht. Die Ursache muss im Holz liegen!

Es fällt auf, dass alle Hölzer, die diesen Eispelz tragen, Harthölzer wie zum Beispiel von Buchen sind und durch Pilzbefall mehr oder weniger verrottet sind. Das erkennt man besonders gut auf dem nächsten Bild, das einen dicken Ast zeigt, dessen schützende Rinde durch Pilzbefall aufgeplatzt ist. Ausgerechnet im Riss ist der Eiskristallpelz gewachsen.

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Bild 5: Haar-Eis in einem von Pilzen befallenen dicken Buchenast (Holzdurchmesser ca. 20 cm)
(Foto: Blume)


Nun können wir das Phänomen auch erklären:
Pilze zersetzen das Holz und machen es porös. Dadurch kommt es zur schwammartigen Aufweichung des Holzes, verbunden mit der Einlagerung von viel Wasser. (Ofenbesitzer wissen das: Die verheizen deshalb nicht gerne von Pilzen befallenes Holz.)

Wird es nun sehr kalt, gefriert das Wasser im Holz. Das Gefrieren beginnt natürlich an der Oberfläche, es bildet sich zunächst sozusagen ein „Eispickel“. Die Kälte „wandert“ weiter nach innen ins Holz. Das innen ständig neu gebildete Eis hat bekanntlich ein größeres Volumen als Flüssigwasser und schiebt deshalb die fertigen, äußeren Kristalle vor sich her. Letztlich wirkt sich das so aus, dass fadenförmige Eiskristalle durch die Poren nach außen wachsen. Ein Pelz aus Eiskristallen entsteht.

In der Literatur wird die Ausdehnung des Wassers nicht mehr als ausreichende Erklärung betrachtet. Es gibt demnach auch Hinweise darauf, dass das Kammeis durch winteraktive Pilze hervorgerufen wird. Diese geben atmungsbedingt CO2 ab, welches das gefrorene Wasser aus dem Holz treibt.

Dieser „Raureif“ ist (anders als der klassische Raureif) somit ohne atmosphärische Luftfeuchtigkeit entstanden. Das ist auch der Grund, weshalb man solche Stücke auch im schnee- und raureiffreien Wald herumliegen sieht. Nur richtig kalt muss es sein, und das Holz muss von Pilzen befallen sein.

Wir haben uns übrigens aus dem Wald das Holzstück aus Bild 2 mitgenommen und so in den Garten gelegt, dass wir es vom Küchenfenster aus sehen können. Es dient in unserem Garten quasi als untrüglicher „Frost-Finder“.

Bild 6: Haar-Eis auf unserem „Garten-Winterthermometer“ (Holzlänge ca. 30 cm)
(Foto: Blume)


Im Sommer gibt es Tiere, die aussehen, als wären sie mit Kamm-Eis überzogen. Das sind die Wollläuse, die an fliegende Wollbällchen erinnern.

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Bild 7: Wolllaus
(Foto: Blume)


Rüdiger Blume


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Letzte Überarbeitung: 28. November 2013, Dagmar Wiechoczek