Prof. Blumes Tipp des Monats Juni 2001 (Tipp-Nr. 48)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Bild 1: Spargel und Spargelpflanze in Blumes Garten
(Foto: Blume)


Warum stinkt Urin nach dem Essen von Spargel?

Im WDR 2 wird am ersten Mai über Spargel (Asparagus officinalis) berichtet. Man merkt an, dass die jungen, unterirdischen Sprossen der Pflanze, also der landläufige Spargel, nicht nur als Delikatesse beliebt sind, sondern auch im Rufe stehen, auch als Aphrodisiakum zu wirken. Man reflektiert dabei darüber, welche Inhaltsstoffe dafür verantwortlich sein könnten oder ob es wohl nur an der Form der Spargelstangen liegt. Dabei kommt auch zur Sprache, dass Spargel harntreibend wirkt. Die Redakteurin fragt in diesem Zusammenhang, warum der Urin nach Spargelgenuss so merkwürdig riecht. Antwort: "Im Spargel ist sehr viel Asparagin, und das will der Körper loswerden. Deshalb stinkt es so."
Und im ZDF-Praxis-Magazin "Gesundheit" wird gerühmt: "Der hohe Gehalt an Kalium und am Aromastoff Asparagin sorgen dafür, dass ein Zuviel von Wasser im Körper ausgeschieden wird. Das heißt, dass die Nieren zur Entwässerung angeregt werden. ... Spargel enthält nicht nur für die Förderung der Darmtätigkeit viele Ballaststoffe, er bringt auch gleich die zum Aufquellen notwendige Flüssigkeitsmenge mit, denn er besteht zu 94 % aus Wasser."
Kein Wunder also, dass man nach einem ausgiebigen Spargelessen auf die Toilette muss... Denn die Förderung der Nierentätigkeit und damit nachgesagte "Entschlackungen" sind auch einfach nur Folge des Verspeisens von Spargel, von dem man als Essensportion für eine Person 500 g einkalkuliert. Denn wenn man viel Wasser und darin gelöste Salze und andere Stoffe zu sich nimmt, muss man sie notwendigerweise auch wieder ausscheiden. Jedoch ist am Kalium als treibendes Agens etwas dran.

Zur Lösung unseres Problems, weshalb Urin nach dem Spargelgenuss riecht, gibt es viele Spekulationen.


Asparagin ist geruchlos
Aber wie ist das mit dem stinkenden Urin und vor allem mit dem Aromastoff Asparagin? Dass Spargel sehr viel Asparagin enthält, stimmt. Asparagin stinkt aber nicht, denn das ist eine Aminosäure, die sehr polar (sogar ionisch) ist und nicht verdampft. Ein Stoff, der nicht verdampft, kann nicht duften. Davon kann man sich anhand einer Probe aus dem Chemikalienschrank leicht überzeugen.

Asparagin


Spargel ist gar nicht so gesund
Das Wort officinalis im Namen des Spargels bedeutet übrigens "für medizinische Zwecke nutzbar, eingesetzt".
Kümmern wir uns also um die Inhaltsstoffe des Spargels. Bei der Internet-Recherche machen wir eine erstaunliche Entdeckung: Spargel zählt zu den Giftpflanzen. Dafür sind bestimmte Substanzen verantwortlich, die vor allem in den roten Beeren vorkommen. Mögliche Symptome sind nach Verzehr größerer Mengen (ab 5-7) der reifen Beeren jedoch allenfalls Erbrechen und Bauchschmerzen.
Gelegentlich treten bei prädisponierten Personen nach Spargelschälen oder Berührung mit dem Spargelsaft allergische Reaktionen mit Reizung der Haut, der Augen und allergischem Schnupfen auf. Asthmaanfälle sind vereinzelt beschrieben worden. Und jetzt kommt der erste Hinweis, was es mit dem Geruch des Spargels auf sich haben könnte: In den Sprossachsen (also in unseren heißgeliebten Spargelstangen) wurden nämlich Schwefel-haltige Verbindungen nachgewiesen, die für die gelegentlich vorkommenden Hautreaktionen mitverantwortlich gemacht werden. Und es ist zu vermuten, dass diese Verbindungen bzw. ihre Abbauprodukte stinken. Denken wir nur an die Schwefel-haltigen Ausscheidungen von Kater, Marder oder (als Krönung) vom Stinktier. Mich erinnert der "Duft" von Spargel-Urin an den Geruch von erhitztem (aber nicht brennendem) Gummi. Das enthält bekanntlich sehr viel Schwefel.


Manche Liliengewächse stinken
Spargel gehört zu den Liliengewächsen, genau zu den Asparagales. Zu den Liliengewächsen gehören auch Zwiebel (Allium cepa), Schnittlauch oder Knoblauch (Allium sativum). Diese zeichnet bekanntlich ein reiches Spektrum an Schwefel-haltigen Geruchsstoffen aus. Bei Zwiebel und Knoblauch handelt es sich um substituierte Cysteinsulfoxide. Knoblauch enthält außerdem das S-Allyl-cystein-sulfoxid. Beim Anschneiden der Zwiebel wird daraus unter Mitwirkung des Enzyms Alliinase der Geruchsstoff Allicin synthetisiert. (Jetzt wissen wir auch endlich, woher die Bezeichnung "Allyl-Rest" für den Propen-Rest stammt.)

Darüber, ob diese Stoffe erst durch Substanzen des menschlichen Sexualhormon-Stoffwechsels zusammen die Geruchsnote des Knoblauchs ergeben, gibt es konträre Ansichten. Das ist aber für unser Thema unerheblich.


Die Aromastoffe des Spargels
Hierzu lassen wir uns vom "Römpp-Lexikon Lebensmittelchemie" beraten [1]:
Unter den zahlreich nachgewiesenen Aromastoffen dominieren Schwefel-haltige Verbindungen, z. B. 1,2-Dithiol (I) und 1,2-Dithiolan-4-carbonsäuremethylester (II) mit ausgesprochenem Spargelaroma. Mengenmäßig überwiegen der Ester (II) sowie die zugehörige 1,2-Dithiolan-4-carbonsäure (III).

Letztere heißt Asparagusinsäure (auch Asparagussäure). Daher kommt vielleicht die falsche Meinung in vielen populär-wissenschaftlichen Darstellungen, der Aromastoff des Spargels sei das Asparagin.

Versuch: Nachweis von Schwefel in Spargel
Einige Stücke frischen Spargels werden in ein Reagenzglas gegeben. Man feuchtet ein Blei-acetat-Papier gut an und klemmt es mit der Reagenzglasklammer über der Öffnung des Glases fest. Nun erhitzt man kräftig, bis weiße Dämpfe austreten und der Spargel verkohlt. Das Blei-acetat-Papier überzieht sich mit metallischgrau glänzenden Kristallen von Bleisulfid.


Wonach der Urin stinkt
Der nach dem Verzehr von Spargel eintretende typische Geruch des Urins ist auf Abbauprodukte wie S-Methyl-thioacrylat (IV) sowie auf dessen Methanthiol-Additionsprodukt S-Methyl-3-(methylthio)thioproponiat (V) zurückzuführen [2].

Weiterer Abbau der S-Methylthioester IV oder V führt zu stinkenden Substanzen, die auch einem Stinktier zur Ehre gereichen würden, wie Methanthiol (VI), Dimethylsulfid (VII) und Dimethyldisulfid (VIII).

Der Abbau geht noch weiter. Letztlich entstehen dadurch geruchslose Oxidationsprodukte wie Dimethylsulfoxid (IX) und Dimethylsulfon (X), in kleineren Mengen ungiftige Substanzen, die in unserem Organismus nicht ungewöhnlich sind.

Diese ringöffnenden Reaktionen laufen in unserem Körper ab. Das sind keineswegs exotische Reaktionen. Denn den Dithiolan-Ring finden wir auch in einer biochemisch wirksamen Substanz wieder, in der Liponsäure, die bei den oxidativen Decarboxylierungsreaktionen eine wichtige Rolle spielt.

Brenztraubensäure ———> Acetaldehyd

a-Ketoglutarsäure ———> Bernsteinsäure

Liponsäure

Die Liponsäure wird (wie auch die Spargelinhaltsstoffe) aus Cystein aufgebaut. Im Metabolismus von Liponsäure finden wir vielleicht die Erklärung, dass bei der Mehrzahl der Menschen der Urin nach Spargelgenuss nicht riecht, weil sie genetisch bedingt keine Enzyme zur Metabolisierung der Spargelaromastoffe haben und somit die Geruchsstoffe IV und V nicht herstellen können.
Spargel wirkt also nicht "entschlackend", was immer das auch sei. Es werden nur diejenigen Stoffe ausgeschieden, die durch ihn in den Körper hineingelangen. Der für Spargelgenuss typische Uringeruch stellt sich nämlich auch ein, wenn man statt Spargel nur technisch hergestellte Asparagusinsäure aus dem Chemikalientopf zu sich nimmt.


Bild 2: Lilienhähnchen (Foto: Blume)


Nicht nur Menschen mögen Spargel
Berüchtigt sind die auf Lilien spezialisierten lackroten Käfer, die von diesen Pflanzen geradezu magisch angezogen werden (siehe Bild oben) und Lilien bis auf den Stiel abfressen. Sie heißen auch Lilienhähnchen (Lilioceris lilii), weil sie zirpen, wenn man sie ärgert, indem man sie beispielsweise in der hohlen Hand vorm Ohr schüttelt. Sie werden offenbar durch die Duftstoffe der Lilien angelockt. Kein Wunder deshalb, dass es auch Spargelhähnchen gibt (siehe Bild unten)! Davon gibt es sogar zwei Arten: Der eine ist das sechsfach gepunktete schwarz-weiße Spargelhähnchen (Crioceris asparagi) und der andere, der zwölfgepunktete Spargelkäfer (Crioceris duodecimpunctata). Diese Käfer versuchen zurzeit zusammen mit ihren Larven, die Spargelpflanzen in unserem Garten kahlzufressen.


Bild 3: Links: Spargelhähnchen (Crioceris asparagi)
Rechts Spargelkäfer (Crioceris duodecimpunctata)
(Fotos: Daggi und Blume)


Rüdiger Blume


Weitere Tipps des Monats


Literatur
1 Römpp-Lexikon, Band Lebensmittelchemie, Thieme-Verlag Stuttgart 1995.
2 R. H. White, Occurence of S-Methyl Thioesters in Urines of Humans After They Have Eaten Asparagus, Science 189, 810-811 (1975).


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Letzte Überarbeitung: 03. Januar 2012, Dagmar Wiechoczek