Prof. Blumes Tipp des Monats Juli 1999 (Tipp-Nr. 25)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Bild 1 (Foto: Blume)

Wohlgerüche aus der Retorte

Es ist Grillzeit und von überall her strömen Düfte nach gebratenem Fleisch zu dir herüber. Weißt du, dass du diese Gerüche selbst zaubern kannst?
Dazu benötigst du nur einige Aminosäuren und Glucose. Gibst du z. B. Cystein und Glucose zusammen und erwärmst die Mischung, riechst du plötzlich ein leckeres, gebratenes Steak. Nimmst du dagegen Glycin und Glucose, riecht es nach Karamelpudding. Hinter dem Geruch nach frischem Brot steckt eine erhitzte Mischung von Prolin und Glucose. Steuern kannst du das ganze noch, indem du die Mischungen leicht oder stärker erwärmst. Erhitzt du die Mischung aus Cystein und Glucose stärker, riecht es statt nach Fleischbraten nach gebratenen Zwiebeln.
Diese Geruchsstoffe werden heute technisch in großem Umfang hergestellt und sind nach der Aromen-Verordnung zugelassene Lebensmittelzusätze mit eigenen E-Nummern. Man fasst sie unter der Bezeichnung "Reaktions-Aromastoffe" zusammen. Die Reaktionen werden nach dem Wissenschaftler, der sie zuerst beschrieben hat, benannt: Maillard-Reaktionen. Es handelt sich bei ihm um einen Franzosen, der 1912 mit solchen Mischungen experimentierte.

Hier aber zunächst einmal die Versuchsvorschrift:

Durchführung der Maillard-Reaktion
Mische in einem Reagenzglas je 100 mg der ausgewählten Aminosäure und Glucose. Tropfe etwas Wasser zu und erwärme die Mischung zunächst vorsichtig, dann etwas stärker. Mache ab und zu die Geruchsprobe. Wenn du meinst, dass der optimale Geruch erreicht ist, beende das Erhitzen und verschließe das Reagenzglas.

Ergebnisse
Im einzelnen kannst du folgende Geruchsnoten feststellen:

Cystein
- kurzzeitiges Erwärmen: Geruch nach gebratenem Fleisch
- langzeitiges Erwärmen: Geruch nach Zwiebeln

Methionin
- kurzzeitiges Erwärmen: Geruch nach Pellkartoffeln

Prolin
- kurzzeitiges Erwärmen: Geruch nach frischem Brot

Glycin
- kurzzeitiges Erwärmen: Geruch nach Karamel

Bild 2 (Foto: Daggi)

Wenn du alle Reagenzgläser zugleich öffnest, riecht es im ganzen Klassenraum bald wie in einem guten Restaurant zur Mittagszeit...

Sind die Reagenzien nicht zu teuer? Kaum, denn Aminosäuren sind erstaunlich billig. Außerdem benötigst du nur die niedrigste Reinheitsstufe, nämlich "zur Synthese". Kaufe jeweils 25 g; damit kannst du 250 Versuche machen. Hier ein Blick in den Merck-Katalog von 1999:

L-Cystein (auch: (R)-(+)-Cystein) DM 20,80
L-Methionin (auch: (S)-(+)-Methionin) DM 19,60
L-Prolin (auch: (S)-(-)-Prolin) DM 28,30

Was steckt chemisch dahinter?
Maillard-Reaktionen laufen natürlich nicht nur im Reagenzglas ab. Sie sind entscheidend für die Aromabildung bei der Zubereitung von Speisen, die gebraten, geröstet oder gekocht werden. Zu nennen sind also Fleisch, Zwiebeln, Brot, Kaffee, Kakao, Popcorn, Zuckercouleur (usw.). Denn die Lebensmittel enthalten genügend Aminosäuren und Glucose.
Die chemischen Vorgänge sind recht kompliziert. Ein einleitender typischer Schritt ist eine Substitution des halbacetalischen Hydroxyls am C-Atom 1 der Glucose.

Dann kommt es fast immer zu Ringbildungen. Viele der so entstandenen Verbindungen gehören zu den Heterocyclen wie den Pyrazinen. Hier ein Beispiel:

Dieser Stoff riecht nach gebackenen Kartoffeln.
Aber auch Abkömmlinge der Furane, Cyclopentane und Pyrane werden als charakteristisch duftende Maillardprodukte gefunden. Diese entstehen direkt durch Wasserabspaltung beim Erhitzen von Zuckern und haben einen deutlich karamelartigen Geruch. Ein bekanntes Beispiel ist das im Zuckercouleur enthaltene Maltol (rechts).

In den weitaus meisten Fällen entsteht das Aroma eines Lebensmittels allerdings aus mehreren hundert Komponenten, wovon die einzelnen Stoffe ganz andere Eindrücke hervorrufen können als die Mischung.

Einen sehr guten Überblick über die Maillard-Reaktions-Aromastoffe findest du in dem Buch von W. Baltes [2]. Dieses Werk ist übrigens eine für Schulzwecke und Privatgebrauch sehr empfehlenswerte, kurze und prägnante Einführung in die Lebensmittelchemie.

Zu den genauen chemischen Hintergründen der Maillard-Reaktionen klicke hier.


Rüdiger Blume


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Literatur

[1] Herbert Sommerfeld, Dissertation 1993, Universität Bielefeld
[2] W. Baltes: Lebensmittelchemie, Springer-Lehrbuch, Berlin-Heidelberg-New York (neueste Auflage)


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Letzte Überarbeitung: 18. August 2014, Dagmar Wiechoczek