Prof. Blumes Tipp des Monats August 1999 (Tipp-Nr. 26)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Schallmauer oder doch bloß nur Nebel?

Etwas aus der Physikalischen Chemie

Vor einigen Tagen tauchten Bilder in der Presse [1] auf, bei denen man ein Flugzeug sieht, das angeblich die Schallmauer durchbricht. Diese Schallmauer ist eine nebelwandartige kleine Wolke. So etwas sieht man öfter bei Airshows, wie das folgende Bild eines B-1-Bombers zeigt.

Bild 1 (Foto: Blume)


Das mit der Schallmauer stimmt natürlich nicht. Denn Schallmauern sieht man nicht. Man kann sie nur als lauten Doppelknall hören. Und wer schon einmal Jets gesehen hat, die diese Nebelwand produzieren, weiß, dass man außer dem üblichen Düsenlärm nichts hört. Aufmerksame Vielflieger, die gerade aus dem Urlaub kommen oder bald hinein starten, kennen das Phänomen schon lange. Bei dem Nebel handelt es sich um einen häufigen Effekt. Zwar ist er nicht immer so spektakulär wie auf dem Foto.

Flugzeuge fliegen bekanntlich, weil ihre Oberseite durch Strömungsprozesse einen Unterdruck erzeugt, die Unterseite Überdruck. (Diese Strömungen könnt ihr erkennen, wenn ihr bei einem fliegenden Flugzeug von hinten über den Flügel hinweg direkt über die vordere Flügelkante schaut. Hier scheint in einer wenigen Zentimeter dicken Schicht die Luft zu fließen. Sie verzerrt dabei die dahinter liegenden Bilder.)

Die Bildung von Unterdruck ist stets mit Abkühlung verbunden. Kalte Luft kann weniger Wasserdampf speichern als warme. (Das wisst ihr von der Wolkenbildung.) Deshalb kondensiert der überschüssige Wasserdampf zu Nebel. Und das ist es auch, was das obige Bild zeigt!

Dieses Phänomen könnt ihr selber nachmachen. Zunächst braucht ihr eine Sprudelflasche, z. B. von Gerolsteiner(R) (nicht die grüne Flasche nehmen!).

Versuch 1: Nebel in der Sprudelflasche
Nehmt eine neue Sprudelflasche, die unter Kohlenstoffdioxiddruck steht. Wenn ihr die mit einem Ruck aufdreht, beobachtet ihr Nebelbildung im Dampfraum über der Flüssigkeit.

Der Grund: Der Überdruck in der Flasche, der mehrere bar beträgt, wird auf den äußeren Luftdruck von einem bar entlastet. Das Flascheninnere kühlt sich ab und der bislang unsichtbare Wasserdampf kondensiert zu Nebel.

Im Schullabor könnt ihr das Phänomen auch mit Lösemitteln wie Ether nachvollziehen.

Versuch 2: Ethernebel (Schutzbrille tragen!)
Baut die luftdichte Apparatur wie im nächsten Bild gezeigt auf. Die Gefäße müssen absolut sprungfrei sein. In den möglichst kleinen Rundkolben (100 ml) gebt ihr 5 Tropfen Diethylether (F+). Der Hahn über dem Kolben bleibt zunächst geschlossen. Mit Hilfe der Wasserstrahlpumpe evakuiert ihr die restliche Apparatur. Wenn maximaler Unterdruck erzielt ist, öffnet ihr rasch den Hahn. Ihr beobachtet eine deutliche, aber kurzfristige Nebelbildung. Zur besseren Beobachtbarkeit stellt ihr hinter den Kolben schwarze Pappe.
Wenn ihr den Versuch wiederholen wollt, müsst ihr erfahrungsgemäß unbedingt einen neuen Kolben nehmen, da der eben genutzte sich dabei stark abgekühlt hat und erst wieder temperiert werden muss.

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Bild 2: Versuchsaufbau

Diese Nebelbildung tritt besonders spektakulär bei ruckartigen Flugbewegungen auf und wird von Piloten gern zur Verfeinerung ihrer Demonstration in die Show eingebaut. Vor allem, wenn z. B. ein langsam fliegender Düsenjäger "aus dem Stand" stark beschleunigt oder plötzlich steil hochzieht, kommt es zur Nebelbildung. Ersteres zeigt das untere Bild. Typisch sind auch die zwei Nebelstreifen an den Flügelwurzeln der F-16, die du auf dem folgenden Bild erkennen kannst.

Bild 3: F-16 im Extremflug (Foto: Blume)

Voraussetzung für dieses Phänomen ist nicht nur eine extreme Fluglage, sondern auch eine ausreichend mit Wasserdampf gesättigte Atmosphäre. Deshalb könnt ihr die Nebelbildung vor allem auch bei in südlichen Gefilden startenden Urlauber-Jets beobachten: Setzt euch im Flugzeug so hin, dass ihr beim Startvorgang in die Triebwerksöffnung schauen könnt. In dem Moment, wenn der Pilot kurz vorm Rollen des Flugzeugs die Turbinen schlagartig stark hochdreht, seht ihr ganz besonders bei feuchtwarmem Wetter die Bildung von Nebel vor und in den Triebwerksöffnungen. Das plötzliche Hochdrehen der Turbinen erzeugt nämlich einen starken Unterdruck vor dem Flugzeug. Denn ein Triebwerk schaufelt dann über 100 m3 Luft in einer Sekunde ein! Die damit verbundene Abkühlung führt oftmals zu so starker Nebelbildung, dass manche ängstliche Leute meinen, dass die Triebwerke qualmen!

Bei schlechtem Wetter landende Jets ziehen oftmals an den Flügelspitzen spiralartige Nebelstreifen nach. Diese sind nicht mit den Kondensstreifen, die ein hochfliegendes Flugzeug zieht, zu verwechseln. Letztere beruhen in diesem Fall vor allem auf dem Wasserdampf aus der Atmosphäre, der bei der Verbrennung des Treibstoffs (Kerosin) aufgrund freigesetzter Schwefelsäure kondensiert. Hier ist wieder ein Unterdruckphänomen im Spiel: An den Flügelspitzen bilden sich aufgrund des Druckausgleichs zwischen Ober- und Unterseite Wirbelschleppen, in denen Unterdruck herrscht. Das bedeutet Abkühlung und folglich Kondensation des Wasserdampfs der Luft.


Was physikalisch dahinter steckt
1 Dass durch Strömung Unterdruck entsteht, beschreibt das Gesetz von Bernoulli. Ihr wendet diesen Sachverhalt im zweiten Versuch beim Betreiben der Wasserstrahlpumpe praktisch an!
2 Es handelt sich bei der Nebelbildung um ein so genanntes adiabatisches Phänomen. Es wird hier Arbeit von dem System geleistet (Volumenarbeit), ohne dass ein gleichzeitiger Wärmeaustausch stattfinden kann. Das führt in diesem Fall zur Abkühlung. Das gegenteilige Phänomen, nämlich Erwärmung bei Druckerhöhung (Zufuhr von Volumenarbeit), kennt ihr alle von der im Physikunterricht vieldiskutierten Fahrradpumpe.
Und nun versteht ihr auch, warum eine Schallmauer keine Nebelwand wie auf dem Foto produzieren kann. Denn die Schallmauer besteht aus hochkomprimierter, also erhitzter und nicht aus durch Expansion stark abgekühlter Luft.

Bleibt noch die Frage, warum ein Gas, das man expandiert, sich abkühlt. Zwischen Gasteilchen wirken Anziehungskräfte, die bei der Volumenvergrößerung überwunden werden müssen. Das geschieht auf Kosten der inneren Energie des Systems; die Teilchen werden langsamer. Da sie das Thermometer weniger stark bombardieren, misst man eine tiefere Temperatur. Das Gas kühlt sich also ab.
Umgekehrt werden die Gasteilchen bei Kompression näher zusammengedrückt. Die Energie, die hinter den Anziehungskräften steht, wird frei. Das Gas erwärmt sich also.
Dieses Phänomen hängt eng mit dem Namen van der Waals zusammen. Es hat aber auch technische Aspekte:

1 Beim Lindeverfahren nutzt man das auf Abkühlung beruhende Kondensationsphänomen zur Luftverflüssigung. Durch wechselndes Komprimieren und Evakuieren bei gleichzeitiger Kühlung/Wärmeabfuhr werden Gase verflüssigt.
2 Manchmal kann bei Unterdruck die Kondensation ausbleiben. Es bildet sich metastabiler Zustand aus: Es liegt unterkühlter Wasserdampf vor. Nebelbildung kann durch Kondensationskeime ausgelöst werden. Solche sind z. B. radioaktive Teilchen. Hierauf beruht die Wilsonsche Nebelkammer, mit der man bekanntlich radioaktive Strahlung sichtbar machen kann.


Ein kleiner Nachtrag
Übrigens ist auch im Film "Top Gun" die Bildung einer Nebelwand beim Hochgeschwindigkeitsflug einer F-14 zu sehen.

Sogar die französische Europhysics News [3] widmet diesem Phänomen ihr Titelbild, das sie einem Fachbuch über strömende Flüssigkeiten [4] entnommen hat. Dazu schreibt das Blatt: "A Hornet flying at slightly smaller speed than the sound velocity breaks the sound barrier at some places (of its wings). Water condensation occurs at these places of maximum pressure variations and takes a conical shape."


Rüdiger Blume


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Literatur
1. DER SPIEGEL 30/1999 und andere Zeitschriften
2. Klaus Hünnecke: Das Kampfflugzeug von heute; Motorbuch-Verlag Stuttgart 1989; S. 75-77
3. Europhysics News; 2006, Volume 37, Number 3: Titelbild
4. E. Gyon, J-P. Hulin und L. Petit: Ce que disent les fluides; Editions Belin, Paris 2005


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Letzte Überarbeitung 12. August 2008, Dagmar Wiechoczek