Ein Experiment für kalte Jahreszeiten: Bei der Neutralisationsreaktion wird die
chemische Reaktionsenergie in der Form von Wärme freigesetzt.
H+(aq) + OH-(aq) > H2O
/exotherm
Diese Energieumwandlung können wir im Chemieunterricht vielfach ausnutzen.
1 Endpunktsbestimmung bei Titrationen
Titriert man eine Säure mit einer Lauge ohne Zusatz eines Indikators, so ist der
einzige Hinweis, dass bei einer Neutralisation eine chemische Reaktion abläuft, die
simultane Wärmeentwicklung. Diese findet aber nur so lange statt, wie die chemische
Reaktion abläuft. Ist sie beendet, hört auch die Wärmefreisetzung auf. Verfolgen wir
deshalb die Temperatur beim Titrieren, sollten wir daraus den Endpunkt der Titration,
also den Äquivalenzpunkt ermitteln können. Man bezeichnet das Verfahren treffend
als Thermometrische Titration.
Versuch: Thermometrische Titration von Salzsäure
Durchführung
Man legt 50 ml Salzsäure (c = 5 mol/l; C) vor und titriert mit Natronlauge (c = 5 mol/l;
C). Man fügt noch Phenolphthalein hinzu, obwohl der Indikator nicht notwendig ist. Er
dient nur zum Visualisieren des Ablaufens der Titration.
Messinstrument ist ein Thermometer mit guter Ablesbarkeit im Bereich zwischen 20
und 80 °C. Am besten benutzt man einen Thermofühler. Man ermittelt die Temperatur
zu Beginn der Titration und jeweils nach jeder Zugabe von Natronlauge. Die Zugabe
erfolgt in Schritten von 5 ml, danach gut umrühren und rasch messen. Nicht zu
langsam titrieren. Damit der Wärmeverlust nicht zu groß ist, sollte man eine
Thermoskanne nehmen. Man kann aber auch in einem offenen Becherglas titrieren,
und zwar bis zur Gesamtzugabe von 75 ml.
Man trägt in einem Diagramm die gemessene Temperatur gegen die ml-Zahl an
Natronlauge auf.
Ergebnis
Man erhält eine Kurve mit einem Maximum bzw. einem Knickpunkt an der Stelle, wo
die Titrationsäquivalenz erreicht ist.
|

Bild 1: Thermometrische Titrationen von Salzsäure bei zwei verschiedenen
Konzentrationen
(1 c = 5 mol/l; 2 c = 2,5 mol/l)
Das Abbiegen der ansteigenden Kurve resultiert aus der abkühlenden Wirkung der
kalten Natronlauge. Nach dem Äquivalenzpunkt wird keine Wärme mehr frei, es wird durch die
Laugenzugabe nur noch abgekühlt. Insgesamt resultiert ein Maximum.
Die Temperaturdifferenz ist proportional zur Konzentration der Lösungen. Dies kann
mit anders konzentrierten Lösungen gezeigt werden. Wir wiederholen dazu die
Titration, indem wir mit 2,5-molaren Lösungen arbeiten. Die obige Graphik bestätigt
unsere Annahme. Dies ist auch ein schönes Beispiel für die Additivität von Wärmen. Es
handelt sich bei der Neutralisationswärme also um eine kolligative Eigenschaft, also
um eine Eigenschaft, die von der Menge der beteiligten Teilchen abhängt.
2 Berechnung der Neutralisationswärme
Mit den Daten aus der thermometrischen Titration lässt sich zumindest
näherungsweise die Neutralisationswärme ermitteln.
Eine beliebige Wärme berechnet man nach der folgenden Formel:
Q = m · c ·
DT
Die Wärmekapazität c ist eine Stoffkonstante; für Wasser ist ihr Wert c = 4,186 J/g
Grad. (Früher definierte man c als eine Kalorie/g Grad.) Wir nehmen vereinfachend
an, dass die Wärmekapazitäten der Elektrolytlösungen gleich groß sind wie die von
Wasser. (Real sind sie etwas kleiner.)
Mit DT = 56,8 - 21,6 = 35,2 °C
und m = 100 g folgt
Q = 100 g · 4,186 J/g Grad · 35,2 Grad
Q = 14,73 kJ
Die Molzahl der Säure in den vorgelegten 50 ml beträgt n = 5 mol · 50 ml/1000 ml =
0,25 mol. Bei der Titration dieser Säureportion entwickeln sich also 14,73 kJ an
Wärme. Die molare Neutralisationswärme ist folglich die vierfache Menge:
DH = - 58,9 kJ/mol
(Der Literaturwert beträgt - 55,87 kJ/mol.)
3 Bestimmung der Dissoziationsenergien schwacher Säuren
Bekanntlich sind schwache Säuren dadurch charakterisiert, dass sie nur unvollständig
dissoziiert sind. Die Dissoziation erfordert zusätzliche Energie. Titriert man deshalb
eine schwache Säure, so erhält man eine niedrigere Neutralisationswärme als bei
einer starken Säure wie der Salzsäure.
Ein konkretes Beispiel: Bei der Titration von reiner Blausäure (HCN) werden nur 12,2
kJ/mol frei, weil die Dissoziation der Blausäure in Protonen und Cyanid-Ionen 43,7
kJ/mol erfordert.
Wir wollen das am Beispiel der Essigsäure nachprüfen.
Versuch: Thermometrische Titration von Essigsäure
A Titration von verdünnter Essigsäure
Titriere 50 ml einer Essigsäure mit der Konzentration c = 5 mol/l (Xi) mit Natronlauge
(c = 5 mol/l; C).
B Titration von reiner Essigsäure
Gib in ein Gefäß (100 ml) 15 g reine Essigsäure (F, C). Das sind, wie du leicht
nachrechnen kannst, exakt 0,25 Mol der Säure. Titriere wie im vorigen Versuch
beschrieben mit Natronlauge (c = 5 mol/l; C) bis zu einer Zugabe von 75 ml.
C Auswertung
Zeichne die T/ml-Diagramme. Berechne wie im obigen Abschnitt
beschrieben die Werte der Neutralisationswärmen.
D Ergebnisse
1 |
Essigsäurelösung |
DT = 31,3 ° |
DH = - 52,4 kJ/mol |
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(c = 5 mol/l) |
|
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2 |
Reine Essigsäure |
DT = 45,9 °C |
DH = - 49,9 kJ/mol |
(Bei der Berechnung von DH beachten, dass statt 100 g nur 65 g vorliegen.)
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Die Neutralisationswärme von verdünnter Essigsäure erreicht nur 89 %, bezogen auf
die der starken Salzsäure. Bei reiner Essigsäure ist der Anteil sogar nur noch 85 %. Daraus
kann man die Dissoziationsenergie der Essigsäure berechnen.
DHDiss (HAc) =
DHNeutral (reine HAc) -
DHNeutral (HCl)
DHDiss (Hac) =
- 49,9 kJ/mol + 58,9 kJ/mol
DHDiss
(Hac) = 9 kJ/mol
Dieser Wert scheint, verglichen mit dem der Blausäure (43,7 kJ/mol), sehr klein zu sein.
Das liegt aber daran, dass die Essigsäure in wässriger Lösung wesentlich stärker wirkt als
die Blausäure und daher leichter dissoziiert. Das zeigen auch die pKs-Werte:
Essigsäure |
4,75 |
Blausäure |
8,68 |

Bild 2: Thermometrische Titrationen von Essigsäure bei zwei verschiedenen
Konzentrationen
(1 c = 5 mol/l; 2 c = 2,5 mol/l)

Bild 3: Thermometrische Titration von 0,25 Mol reiner Essigsäure mit
Natronlauge (c = 5 mol/l)
Rüdiger Blume
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