Der Mikrowellenofen – eine Sauna für Moleküle? Uwe Lüttgens
Entdeckt wurde die Wirkung wohl eher zufällig: Ein Amerikaner soll beim Experimentieren mit seinem Radargerät einen Schokoriegel rasch vom festen in den flüssigen Zustand überführt haben. Das war im Jahr 1945. Bild 1: Ein Schokoriegel vor und nach der Behandlung im Mikrowellenofen
Heute, mehr als 75 Jahre später, gehört der Mikrowellenofen fast selbstverständlich zur Ausstattung einer perfekt eingerichteten Küche. Denn die Vorzüge des elektrischen Küchengerätes liegen auf der Hand: Tiefgefrorenes wird schnell aufgetaut, Fertiggerichte und Reste vom Vortag können rasch erhitzt werden Dies halten viele Verbraucherinnen und Verbraucher für prima Eigenschaften, wenn´s beim Kochen schnell gehen soll. Bild 2: In mancher Chemiesammlung findet sich ein Mikrowellenofen. Wasser lässt sich dort rasch erhitzen.
Ein Bielefelder Grundschüler meinte, die Mikrowelle ebenfalls für seine kleinen naturwissenschaftlichen Experimente nutzen zu können. Der ´Lausbub´ setzte dabei Gott sei Dank nur die Mikrowelle in Brand und rief direkt die Feuerwehr, bevor Schlimmeres passierte [1]. Daher gleich zu Beginn unser Rat: Von jeder nicht seiner eigentlichen Bestimmung dienenden Nutzung eines Mikrowellenofens muss ausdrücklich abgeraten werden! Schauen wir uns mal genauer an, wie die Mikrowelle funktioniert. Was passiert, wenn eine Speise erwärmt wird? Warum wird das Essen warm, wo eigentlich gar kein Brennstoff im Spiel ist? Warum wird der Teller nicht warm? Hat die Erwärmung etwas mit dem Wasser in den Speisen zu tun? Wir gehen diesen Fragen genauer nach. Wir machen also eine Messung, einmal ohne und einmal mit einem Teelöffel, um zu sehen, ob sich das Wasser unterschiedlich schnell erwärmt und was es mit dem Siedeverzug auf sich hat. Übrigens: Ein Siedeverzug kann dazu führen, dass das Wasser und auch andere Flüssigkeiten unkontrolliert umherspritzen, wenn sie schlagartig anfangen zu kochen. Versuch 1: Erhitzen von Wasser im Mikrowellenofen - Messung des Temperaturverlaufs Geräte und Chemikalien: Zwei Gläser oder Bechergläser, Leitungswasser (je 200 ml), Teelöffel aus Metall, Mikrowellenofen, Elektronisches Thermometer (z. B. Pt-100) Durchführung: Beide Gläser werden mit Wasser gefüllt und im Mikrowellenofen auf einer unteren Leistungsstufe erhitzt. In regelmäßigen Abständen wird die Temperatur des Wassers mittig im Glas bestimmt. Hinweis: Es sollte auf keinen Fall für Temperaturmessungen im Garraum der Mikrowelle ein Flüssigkeitsthermometer verwendet werden. Es besteht Explosionsgefahr! Das Wasser sollte nicht auf einer hohen Leistungsstufe erhitzt werden. Es besteht die Gefahr eines Siedeverzuges. Bild 3: Beide mit Wasser gefüllten Gläser werden erhitzt. Im zweiten Glas befindet sich ein Löffel, der einen Siedeverzug vermeiden soll. Gut zu sehen sind feine Gasblasen. Sie bilden sich ab ca. 50° C. Die zunehmend größer werdenden Blasen bestehen aus zuvor im Wasser gelöster Luft und Wasserdampf.
Ergebnis: In beiden Gläsern erwärmt sich das Wasser gleichmäßig schnell. Je höher die Temperatur des Wassers wird, desto weniger schnell erhitzt sich das Wasser. Am Löffel bilden sich erst kleine, dann größer werdende Gasblasen. Ein Siedeverzug kann nicht beobachtet werden. Grafik 1: Temperaturänderung von 200 ml Wasser in der Mikrowelle (Stufe 5), Die Starttemperatur beträgt 20° C (x-Achse: 1min), Nach12 Minuten wird die Messung beendet (x-Achse: 13 min).
Bild 4: Das Typenschild der verwendeten Mikrowelle: Der Ofen hat eine Leistung von 1200 Watt. Die Abkürzung HF steht für Hochfrequenz
Als Leistung P wird die in einer bestimmten Zeitspanne Δt umgesetzte Energie ΔE bezeichnet: Leistung = Umgesetzte Energie / Zeitspanne P = ΔE / Δt Für unsere Messung haben wir die Leistungsstufe 5 gewählt, dies entspricht vielleicht einer Leistung von 600 Watt. Damit lässt sich für die innerhalb der 12minütigen Messung zugeführte elektrische Energie Eel berechnen: Eel = P • Δt = 600 W • 720 s = 432.000 Ws = 432 kJ Hinweis: 1 Wattsekunde entspricht 1 Joule. Nun können wir schauen, wieviel thermische Eth – es handelt sich um 400 ml Wasser insgesamt in den beiden Gläsern – zur Erwärmung des Wassers geführt hat. Dazu ist eine zweite Formel notwendig, die einen Zusammenhang zwischen der im Wasser gespeicherten Wärmemenge Q und der Temperaturerhöhung ΔT herstellt: Eth = Q = c • m • ΔT Mit der Wärmekapazität von Wasser c und einer Erwärmung von 17° C auf 82° C ergibt sich: Eth = 4,19 kJ / (kg • K) • 0,4 kg • 65 K ≈ 109 kJ Der Wirkungsgrad η (sprich: eta) der Mikrowelle ist das Verhältnis von genutzter Energie Eth zur zugeführten Energie Eel. Es ergibt sich: η = Eth / Eel = 109 kJ / 432 kJ ≈ 0,25 btw. 25% Dieser Wert bedeutet, dass in unserem Fall dreiviertel der eingestrahlten Energie ungenutzt verpufft.
Schauen wir tiefer: Metalle sind aus Metallatomen aufgebaut. Die Elektronen können sich in diesem Metallgitter frei zwischen den positiv geladenen Atomrümpfen bewegen. Genau deshalb sind Metalle gute elektrische Leiter. Diese Elektronen können sich also im Gitter aus Metallatomen bewegen und auch zu regelmäßigen Schwingungen angeregt werden. Im Metalldraht der Antenne besteht zu einem bestimmten Zeitpunkt an dem einen Ende ein kleiner Elektronenüberschuss und am anderen Ende des Drahtes entsprechend ein Mangel an Elektronen. Durch diese ungleiche Verteilung der Ladung entsteht ein Dipol. Das heißt nichts anderes, als dass es dort zwei Pole gibt: Einen Minuspol mit dem Elektronenüberschuss und einen Pluspol mit einem Elektronenmangel. Schwingen die Elektronen in die andere Richtung, wechseln Plus- und Minuspol die Seiten. Um die Antenne, den schwingenden Dipol, herum entstehen durch diese Schwingungen elektrische und magnetische Felder, die sich ständig verändern, wenn die Elektronen in dem Metalldraht der Antenne hin- und herbewegen. Diese elektrischen Felder, zu erkennen in der Skizze an den roten Kreisen, wechseln mit jeder Schwingung ihre Richtung zwischen Plus- und Minuspol. In einem solchen Feldlinienbild, das nur ein Modell ist, erkennen wir die magnetischen Feldlinien an den blauen, konzentrischen Kreisen um den Draht herum. Sie stehen senkrecht zu den elektrischen Feldlinien, die rot gezeichnet sind. Physikalischer ausgedrückt: Jedes sich zeitlich verändernde elektrische Feld ist von einem magnetischen Feld umgeben. Und jedes sich zeitlich verändernde magnetische Feld ist von einem elektrischen Feld umgeben. Interessant ist nun, dass sich diese wechselnden Felder vom Dipol ablösen können. Sie bewegen sich, einmal abgelöst von der Antenne, unvorstellbar schnell mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum.
Umgerechnet wird zwischen Frequenz und Wellenlänge nach der Formel: Frequenz = Lichtgeschwindigkeit / Wellenlänge f = c / Δ bzw. Wellenlänge = Lichtgeschwindigkeit / Frequenz Δ = c / f Liegt der Abstand zwischen 10 und 100 m, spricht man hingegen von Kurzwellen. Die häufig genutzte UKW-Strahlung – UKW steht für Ultrakurzwelle – liegt im Frequenzbereich von 30 Megahertz bis 300 Megahertz (MHz), das entspricht 30 bis 300 Millionen Schwingungen pro Sekunde. Die Wellenlängen liegen dann zwischen rund zehn Metern und einem Meter. Wir erkennen: Nimmt die Frequenz zu, dann sinkt entsprechend auch die Wellenlänge – und umgekehrt. Zurück zu Mikrowelle: Deren Wellenlängen liegen im Bereich von weniger als 1 Meter bis hin zu 0,3 Millimetern, was 300 Mikrometern entspricht. Daher also der Name Mikrowelle. Die Frequenzen liegen im Bereich von 300 Megahertz (MHz) bis etwa 1 Terahertz (THz), was 1 Billionen Schwingungen pro Sekunde bedeutet.
Bevor wir uns mit den Besonderheiten des Wassermoleküls eingehender beschäftigen, wollen wir an einem Beispiel aus dem Physikunterricht das Prinzip der Energieübertragung durch Wellen erläutern. Nehmen wir ein Beispiel aus der Akustik: Stelle Dir zwei gleiche Stimmgabeln vor. Die eine davon wird vorne im Klassenraum und die andere auf einem Tisch weiter hinten postiert. Nun kann folgendes überraschende Experiment durchgeführt werden: Die Stimmgabel vorne im Raum wird kurz und kräftig angeschlagen. Ein lauter Ton ist zu hören. Kurz festgehalten, verstummt die vordere Stimmgabel, weil sie nicht mehr schwingt. Ist es nun ruhig genug im Klassenraum, dann hört man den Ton ganz leise. Die zweite Stimmgabel ist in Schwingungen geraten. Physikalisch spricht man hier von Resonanz. Die Energie wurde von der einen Stimmgabel auf die andere Gabel übertragen. Zurück zu den Vorgängen im Mikrowellenofen. Schauen wir uns wieder die kleinsten Teilchen an: Die Energie, die durch das Magnetron erzeugt wurde, nimmt das Wassermolekül auf. Das Molekül bewegt sich, angeregt durch die elektromagnetische Strahlung, wie ein Kreisel. Es rotiert um sich selbst. Und stößt dabei an benachbartes Teilchen. So wird es im Mikrowellenofen rasch warm.
Anders ausgedrückt: Das Wassermolekül wird zum rotierenden Kreisel, weil die eingestrahlte Energie der Mikrowellenstrahlung genau der Rotationsenergie des Wassermoleküls entspricht. Und das Wassermolekül ist ein starker Dipol. Die Rotationsenergie wird wiederum als Bewegungsenergie an benachbarte Moleküle weitergegeben. Dies bedeutet nichts anderes als Wärme, wenn die Moleküle gegeneinanderstoßen. Im Mikrowellenofen werden so die Speisen innerhalb kürzester Zeit heiß.
Tabelle 1: Temperaturänderung von 40 ml Wasser in der Mikrowelle bei verschiedenen Leistungen (Stufe 2 bis Stufe 5), Starttemperatur: 20° C, Dauer der Messung: 1 Minute Grafik 2: Temperaturänderung von 40 ml Wasser in der Mikrowelle bei verschiedenen Leistungen (Stufe 2 bis Stufe 5), Starttemperatur: 20° C, Dauer der Messung: 1 Minute
Grafik 3: Temperaturänderung von Olivenöl im Vergleich zu Wasser (Mikrowelle: Stufe 2) Im konkreten Fall beträgt die Temperaturänderung von Olivenöl nur ca. 65% der Änderung der Temperatur bei der Erwärmung von Wasser. Olivenöl besteht wie alle pflanzlichen Öle hauptsächlich aus Fettsäureestern. Bei Olivenöl ist der Hauptbestandteil eine einfach ungesättigte Fettsäure, die Ölsäure, die an Glycerin gebunden ist. Die Fettsäureester gehören zu den unpolaren Verbindungen. Daher sollte das Dipolmoment klein sein, so dass die Strahlungsenergie der Mikrowellenstrahlung zu einer deutlich geringeren Erwärmung führen sollte im Vergleich zum Wasser, dessen Molekül ein hohes Dipolmoment aufweist.
In unserem Fall dauerte es mehr als 5 Minuten, bis die Eiswürfel vollständig geschmolzen waren. Nach nur einer weiteren Minute hatte das Wasser bereits eine Temperatur von 26° C. Ursache der Zeitzunahme ist die eingeschränkte freie Drehbarkeit des Wassermoleküls im Kristallgitter des Eiskristalls.
„Die Mikrowellenstrahlung setzt die Wassermoleküle in der Nahrung in Bewegung. Dadurch entsteht Reibungshitze, die zur Erwärmung des Essens führt. Das Essen nimmt allerdings keine Mikrowellenstrahlung auf.“ [3]. Auf mikrowelle.com, einer Webseite zum Vergleich verschiedener Mikrowellen-Geräte unterschiedlicher Hersteller, heißt es: „Die sogenannten Mikrowellen bringen an sich nicht die Wärme mit. Sie sorgen aber dafür, dass die Wassermoleküle, die sich in jedem Lebensmittel befinden, beginnen zu schwingen. Die Wassermoleküle werden während des Heizvorgangs erwärmt, indem die vorhandene kinetische Energie durch die Mikrowellen gesteigert werden.“ [4] Im Mammut-Buch der Technik, einem großartigen Buch, bei dem durch einfache Zeichnungen aus ungewohnter Perspektive vieles verständlich erklärt wird, ist das Mikrowellengerät folgendermaßen beschrieben: „Die Mikrowellen treffen auf die Wassermoleküle in den Lebensmitteln. Jede Energiewelle richtet die Wassermoleküle aus und dreht sie anschließend in die entgegengesetzte Richtung. Diese extrem schnellen Drehbewegungen erzeugen Wärme.“ [5] Ich finde: Alle Erklärungen sind haltbar, aber letztlich halbgar. Und damit aus physikalisch-chemischer Sicht nur mit Vorsicht zu genießen. Bei „Wissen vor acht“, einer Informationssendung im Ersten wird das Prinzip leichter verständlich – oder vielleicht doch nicht? „Die Mikrowellenstrahlung bewirkt, dass die Wassermoleküle im elektrischen Wechselfeld hin- und herschwingen. Ja, da kommt so ´nen Molekül ganz schön ins Schwitzen. Und das bedeutet nichts anderes als Wärme. Schneller und effizienter geht´s kaum.“ [6] Schnell und halbwegs effizient ist der Mikrowellenofen bestimmt, wie wir gesehen haben. Und richtig ist auch, dass Wasser die entscheidende Rolle spielt bei der Zubereitung von Speisen. Allerdings wird das Wassermolekül nicht in Schwingungen versetzt. Vielmehr sorgt die Rotation der Moleküle für Bewegung und damit Stößen zwischen den kleinsten Teilchen. Und damit für die Temperaturerhöhung beim Erhitzen der Speisen. Und ob die Mikrowelle eine Art Sauna für Moleküle darstellt, möge jeder für sich selbst entscheiden.
Diese Seite ist Teil eines großen Webseitenangebots mit weiteren Texten und Experimentiervorschriften auf Prof. Blumes Bildungsserver für Chemie. Letzte Überarbeitung: 27. Juni 2020, Fritz Meiners |