3.5 Vitamine
Vitamine sind in Tier- und Pflanzenreich verbreitete, in der Nahrung jedoch nur in kleinen Mengen vorhandene Stoffe, die für das Wachstum und die Erhaltung des tierischen Körpers unentbehrlich sind. Man zählt die Vitamine zu den akzessorischen Nährstoffen.
Der Stoffwechsel von Pflanzen und Tieren unterscheidet sich nur geringfügig. Allerdings sind durch Mutationen bei vielen höheren Organismen Syntheseleistungen verlorengegangen, obgleich die nun fehlenden Stoffe weiter an entscheidenden Stellen im Stoffwechsel benötigt werden. Ein Beispiel hierfür ist das Vitamin C, das vom Primaten-Stoffwechsel wegen eines einzelnen fehlenden Schritts aus einer sechsstufigen Reaktionssequenz nicht mehr hergestellt werden kann. Aus diesem Grunde müssen Primaten und Menschen auf ihrem Speisezettel frische pflanzliche Nahrung finden. (Dies gilt auch für das viel zitierte Guinea-Schwein, dem Meerschweinchen (engl. guinee pig).) Hunde und Katzen dagegen verfügen noch über diese Syntheseleistung, so dass sie sich "einseitig" ernähren können.
Die folgenden Tabellen geben einen Überblick über die Vitamine, ihr Vorkommen, ihre Wirkung und Mangelerscheinungen sowie den täglichen Bedarf.
Tab. 2: Fettlösliche Vitamine, nach Baltes | |||||
Buchstabe | Name | Funktion | Mangelerscheinungen | Bes. enthalten in | Tägl. Mindestzufuhr |
A | Retinol | Unterstützung des Sehprozesses, Schutz und Aufbau von Schleimhäuten | Nachtblindheit, Schleimhautschädigungen | Lebertran, Eidotter, Butter | 750 µ |
D | Calciferol | Regulation des Calcium- und Phosphatstoffwechsels | Rachitis | Fischleberöl | 2,5 µ |
E | Tocopherol | Antioxydans für ungesätt. Fettsäuren und Vitamin A | Evtl. Fertilitätsstörungen und Muskeldystrophie | Getreidekeimöl | 10-30 mg |
K | Phyllochinon | Unterstützung der Prothombin-Bildung | Blutungen | Kabeljauleber, Kohl | Durch Darmbakterien gedeckt |
Tab. 3: Wasserlösliche Vitamine, nach Baltes | |||||
Buchstabe | Name | Biol.-physiol. Funktion | Mangelerscheinungen | Bevorzugte Quelle | Tagesbedarf |
B1 | Thiamin | Coenzym bei Decarboxylierungen | Beri-Beri, Polyneuritis, kardiovaskuläre Störungen | Hefe, Fleisch, Weizenkeimlinge | 0,9-1,2 mg |
B2 | Riboflavin | Coenzym des gelben Atmungsfermentes FAD | Schleimhautschäden | Hefe, Milch | 1-3 mg |
B6 | Pyridoxal | Regulation des Aminosäurestoffwechsels | Hautveränderungen, Krämpfe | Hefe, Getreidekeimlinge | 2-4 mg |
B12 | Cobalamin | Reifung der roten Blutkörperchen | Anämie | Austern, Leber, Muscheln | 2 µg |
- | Folsäure | Übertragung von C1-Gruppen | Anämie | Grüne Blattgemüse, Leber, Niere | 1-2 mg |
- | Panthothen- säure |
Vorstufe des Coenzyms A | nicht bekannt | Hefe | 3-5 mg |
- | Nicotinsäure Nicotinamid |
Physiol. Wasserstoff- überträger |
Pellagra | Hefe, Leber, Reiskleie | 15-20 mg |
C | Ascorbin- säure |
Redoxsubstanz des Zellstoffwechsels | Skorbut | Zitrusfrüchte, Petersilie, Paprika |
30 mg |
H | Biotin | Coenzym bei Carboxylierungen | Dermatitis, Haarausfall |
Die meisten Vitamine sind hochkompliziert gebaute organisch-chemische Verbindungen von ungeahnter Vielfalt. Die Abb. 28 zeigt einige Beispiele. Man erkennt hieraus, dass der Begriff "Vitamin" nicht eine chemisch homogene Stoffklasse (wie die Amine, Kohlenwasserstoffe oder Aromaten) beschreibt, sondern eher auf die gleiche Funktion, nämlich die essentiellen Stoffwechselaktivitäten, hinzielt. So ist Vitamin A ein Alkohol mit ungesättigter Kohlenwasserstoffkette, Vitamin C ein Zuckerderivat, B1 ein gekoppelter Heterozyklus und B12 ein Kobalt-Komplex, der an Hämoglobin erinnert. Vitamin B12 ist einer der am kompliziertesten gebauten Naturstoffe, die wir kennen.
Abb. 28: Formeln einiger Vitamine
3.5.1 Empfindlichkeit der Vitamine
Die unterschiedliche und hochkomplexe Struktur der Vitamine ist Grund für die bekannte und dabei von Vitamin zu Vitamin unterschiedliche Empfindlichkeit gegenüber Temperatursteigerungen, pH-Wertänderungen und Sauerstoff. Dies ist für die Ernährung von allergrößter Wichtigkeit.
Vitamin A
Hitzestabil, aber besonders bei UV-Bestrahlung sauerstoffempfindlich.
Vitamin B1
Bei haushaltsgemäßer Speisenbereitung 30 % Verlust. Abbau findet
durch schweflige Säure, einem zugelassenen Konservierungsmittel,
statt.
Vitamin B2
Zerstörung durch Kochen in neutraler und basischer Lösung. (In
Süddeutschland werden manche Speisen wie z. B. Rotkohl unter
Zusatz von Soda zubereitet ("Blaukraut"), während in Norddeutschland
säuernde Äpfel oder Essig zugegeben werden
("Rotkohl").)
Vitamin B6
Als gelber Farbstoff außerordentlich licht- und UV-empfindlich. Beim
Kochen beobachtet man Verluste bis zu 60 %.
Vitamin B12
Dieses beispielsweise in tierischen Lebern enthaltene Vitamin wird
beim Kochen und Braten zerstört. Dem Arzt Murphy brachte die
Entdeckung eines antiperniziösen Faktors in roher Leber den
Nobelpreis für Medizin ein: er heilte Patienten mit perniziöser
Anämie, indem er sie mit ungekochter Leber traktierte. Heute wird
dieses Vitamin von gentechnologisch manipulierten Mikroorganismen hergestellt
und eleganter und vor allem wohldosiert durch Injektion verabreicht.
Vitamin D
Das gegen Rachitis wirkende Vitamin wird als Vorstufe aufgenommen
und erst durch UV-Bestrahlung der Haut aktiviert. Es ist
ansonsten als Cholesterinderivat relativ stabil.
Folsäure
Zerstörung in der Hitze durch Säuren und vor allem durch Licht.
Pantothensäure
Hitzelabil, vor allem in saurem oder basischem Milieu.
Nicotinsäure(amid)
Bei üblicher Nahrungsbereitung beträgt der Verlust 20 %. Raucher
haben hier ausnahmsweise einen gesundheitlichen Vorteil: Nicotinsäure(amid)
bildet sich auch aus Nicotin.
Vitamin C (Ascorbinsäure)
Beim Erhitzen sind für diesen redoxlabilen Stoff hohe Verluste
allgemein bekannt. Dies trifft vor allem bei Anwesenheit von Cu2+-Ionen
zu. Unter anderem aus diesem Grunde ist inzwischen das
"Grünen" von Gemüse mit Kupfersalzen verboten.
Vitamin E (Tocopherol)
Labil gegenüber UV-Strahlung und vor allem gegenüber Sauerstoff. Die
Reaktion mit Sauerstoff ist geradezu die Aufgabe dieser Vitamingruppe.
Sie ist selbst hoch ungesättigt, ist fettlöslich und soll im
Fettgewebe ungesättigte Fettsäuren vor dem Angriff von Sauerstoff
schützen, sich sozusagen "opfern". Mangel an Vitamin E löst u. a.
die Fettverderbnis, ein Bräunen von Fettgewebe aus.
Vitamin K
Dieser Stoff ist wie Vitamin E als ungesättigte Verbindung
lichtempfindlich und wird auch durch Säuren und Basen angegriffen.
Hier denkt man auch an die ungesättigten Fettsäuren, die auch als
Vitamin F bezeichnet werden.
Man kann zusammenfassen, was man bei der Nahrungszubereitung und Lebensmittellagerung zum optimalem Schutz der Vitamine beachten muss:
- | Lebensmittel müssen luftdicht, trocken und im Dunkeln aufbewahrt werden. |
- | Zu langes Kochen ist schädlich. Der Dampfdrucktopf ist vorzuziehen, bei dem die Temperatur aufgrund des hochgespannten Wasserdampfes bis auf 120 ºC steigt und die Nahrung schneller gart. |
- | Extreme Säure- und Basemilieus müssen vermieden werden. |
Zum Ausgleich greift man deshalb gern zu Vitaminpräparaten. Wie bei allen Chemikalien muss man aber auch bei den Vitaminen vor Missbrauch warnen. Zuviel Vitamin C kann zu Nierensteinen führen (Calciumoxalatsteine), zuviel Vitamin D zum Knochenabbau (Eisbärenleber ist so giftig, dass sie von Eskimos verschmäht wird). Vitamin A kann Leberzirrhose hervorrufen.
Ein Tipp: Zwei oder drei Äpfel oder Birnen versorgen Sie mit der täglichen Vitamindosis. Achten Sie auf Ihr Zahnfleisch: bilden sich hier entzündliche Prozesse, können Sie diese mit der entsprechenden Obstmenge innerhalb eines Tages beseitigen.
3.5.2 Wie wirken Vitamine überhaupt?
Hier einige Beispiele aus der Molekularbiologie, bei denen sich chemische Prozesse auf physiologischer Ebene, d. h. als organische Effekte und Defekte festmachen lassen:
Vitamin C wurde als Ascorbinsäure zuerst in der Nebenniere entdeckt. Dort dient es als reduzierender Cofaktor bei der oxidativen Umwandlung von Corticosteroiden (wie Cortison).
Weshalb fallen bei Skorbut die Zähne aus? In dem für Bindegewebe wie dem Zahnhalte-Apparat typischen Protein Kollagen gibt es eine typische Aminosäure, Hydroxyprolin, die frei nicht auftritt. Sie wird erst aus der einzigen cyclischen Aminosäure, Prolin, nach deren Einbau ins Kollagenmolekül gebildet. Cofaktor ist wiederum Ascorbinsäure ("A-skorbut-säure"). Da auch die Wände der Blutgefäße Kollagen enthalten, wird dieses bei Vitamin C-Mangel regelrecht löchrig; es kommt zu Gewebeblutungen. Das bekannte Zahnfleischbluten ist ein Signal dafür.
Erst nach dieser Einsicht in die Zusammenhänge suchte man Vitamin C auch in frischem Obst und Gemüse - und fand es auch. Heute wird es im 100.000 t-Maßstab halb biotechnologisch aus Glucose gewonnen. Die größte Menge von Ascorbinsäure wird übrigens bei der Aufarbeitung von Kernbrennstäben als Reduktionsmittel bei der Trennung von Uran und von Plutonium sowie in der Metallurgie verwendet.
Vitamin B12 heißt auch Cobalamin, ein Name, der auf das Metall Cobalt hinweist. B12 trägt am komplex gebundenen Cobalt-Atom eine Alkylgruppe, die es in Kooperation mit Folsäure auf andere Verbindungen übertragen kann. B12 ist deshalb wichtig bei Verzweigungsreaktionen. So wandelt es Homocystein in die Aminosäure Methionin um:
Findet dies nicht statt, reifen die roten Blutkörperchen nicht; es kommt zur perniziösen Anämie.
Vitamin B1 ist der Stoff, der bei Decarboxylierungen von Brenztraubensäure oder von a-Ketoglutarsäure mitwirkt. Er addiert z. B. die a-Ketosäure an die exponierte, positivierte Stelle zwischen N- und S-Atom, spaltet dann unter Mitwirkung der gegenüberliegenden Aminogruppe CO2 ab und bildet den entsprechenden Aldehyd (-> Abb. 29):
Abb. 29: Decarboxylierung von Brenztraubensäure durch die Wirkstelle im Thiamin (Vitamin B1)
Vitamin A, das der Organismus in der Leber durch Spaltung aus a- und b-Carotin bildet, wird im Auge als Aldehyd an ein Protein gebunden und bildet Rhodopsin. Dieses Proteid ist lichtempfindlich. Bei Bestrahlung ändert es seine Geometrie, was vom Sehnerv als Signal registriert wird.
Vitamin B6 ist ein Aldehyd, der nach Aktivierung mit Aminosäuren Schiffsche Basen bildet. Diese Kondensationsprodukte stehen im Mittelpunkt für die chemische Veränderung von Aminosäuren:
- | Decarboxylierung (Bildung biogener Amine, die wie Histamin, Tryptamin (Vorstufe des Schlafhormons Serotonin) oder Thyramin (Vorstufe von Noradrenalin und Adrenalin) als Gewebshormone dienen). |
- | Desaminierung/Transaminierung, d. h. Austausch der Aminogruppe zwischen Aminosäuren und a-Ketosäuren. |
- | Austausch des spezifischen Aminosäurerestes. |
Abb. 30: Pyridoxal als Schaltstelle im Aminosäurestoffwechsel
Mangel an Vitamin B6 äußert sich als Beri-Beri, einem insgesamt unspezifischen Wasting-Syndrom (Wasting = Verwüstung).
Nicotinsäureamid ist der Grundbaustein des Zelloxidationsmittels NAD+ (Nicotinsäureamidadenosindinucleotid; -> 4.2.2). Mangel wirkt sich ebenfalls als unspezifisches Wasting aus.
Es wird deutlich: Man kann für jedes Vitamin eine oder mehrere Reaktionen von extremer Wichtigkeit definieren. Sie alle sind ein Hinweis auf die Unentbehrlichkeit dieser Substanzen.
3.6 Mineralstoffe und Spurenelemente
Biochemie ist nicht nur organische Chemie, sondern umfasst auch eine Reihe anorganischer Elemente und Verbindungen. Diese zum Aufrechterhalten des Stoffwechsels benötigten Mineralstoffe teilt man nach deren Menge auf:
Makronährstoffe
Neben C, O, H und N: Na, K, Mg, Ca, S, P, Cl, Si und Fe.
Spurenelemente
V, Cr, Mn, Co, Ni, Cu, Zn, Mo, W, Se, F und I.
Mineralstoffe sind weit verbreitet und stellen deshalb nur selten eine Mangelkomponente der Nahrung dar. (Dies gilt auch für Spurenelemente.) Ein seltenes Gegenbeispiel ist Iodmangel in gebirgigen Gegenden, der Ursache für den endemisch auftretenden Kropf ist. Gleiches gilt für endemische Muskeldystrophie in China, deren Ursache (Selenmangel) von dem deutschen Biochemiker A. Wendel aufgeklärt wurde.
Mineralstoffe werden für folgende Stoffwechselleistungen benötigt:
- | Strukturaufgaben z. B. bei Aufbau und Erhalt von Knochen und Zahnschmelz (Ca, Mg). |
- | Cofaktor bei Enzymreaktionen (Mn, Mg, Zn, Co, Cu, Ni, Mo, V, Se...). |
- | Bestandteile von Schilddrüsenhormonen (I). |
- | Elektronentransferreaktionen (Fe). |
- | Sauerstofftransport und -speicherung (Fe, Cu). |
- | Reizleitung und regulatorische Funktionen an Membranen (Na, K, Mg, Ca). |
- | Steuerung des osmotischen Drucks von Blut und Harn. |