5 Fremdstoffe in unseren Lebensmitteln


5.1 Übersicht

Über die Lebensmittel kommunizieren wir direkt mit der Umwelt und sind dabei stofflichen Risiken am intensivsten ausgesetzt. Mit der Aufnahme von Nahrung, Wasser und Luft gelangen nicht nur lebensnotwendige Stoffe in den Körper. Nahrung - selbst ein Teil der belasteten Umwelt von Tier und Mensch - kann von Umwelteinflüssen nicht abgeschlossen werden. In allen Lebensmitteln befinden sich deshalb Fremdstoffe, die nicht im primären ernährungsphysiologischen Sinne liegen. Darunter befinden sich auch solche Schadstoffe, deren zunehmende Anreicherung in der Umwelt wir beobachten.

Warum werden Pestizide mit ihren hinlänglich bekannten Nebenwirkungen überhaupt bei der Lebensmittelgewinnung eingesetzt? Unsere hochgezüchteten Kulturpflanzen und -tiere erfordern Schutz vor Schädlingen, Stress und Konkurrenz um Nahrungsmittel.

Heute beträgt der weltweite Ernteverlust ein Drittel. Gründe sind z. B. Insekten und Milben, Krankheiten (Viren, Bakterien, Pilze), Wildkräuter (die schneller als Kulturpflanzen wachsen und deren Nährstoffe verbrauchen), Ratten und Mäuse, Fadenwürmer (Nematoden), Schnecken.


5.2 Klassifikation der Fremdstoffe

A. Zusatzstoffe
Substanzen, die den Lebensmitteln mit behördlicher Erlaubnis zur Erzielung chemischer, physikalischer und physiologischer Effekte zugemischt werden. Dies betrifft die Haltbarmachung oder Verbesserung der optischen Attraktivität, besseren Durchmischung sowie der Stabilisierung. Danach unterscheidet man folgende Gruppen:

B. Rückstände
Reste von erlaubten Zusätzen, die temporäre Aufgaben zu erfüllen hatten. Dies betrifft z. B. Schwefeldioxid (bzw. schweflige Säure), Pestizide und Tiermedikamente, deren biologische Abbauzeit vor der Ernte oder Schlachtung nicht eingehalten wurden, sowie möglicherweise deren Abbauprodukte.

C. Verunreinigungen
sind durch mehr oder weniger vermeidbare Manipulationen oder Umwelteinflüsse in die Nahrung gelangt.

D. Natürliche schädigende Inhaltsstoffe
Viele Pflanzen und Tiere enthalten natürliche Gifte, die bei falscher Behandlung in die Nahrung gelangen.

Die Unterscheidung von Verunreinigung und Rückständen macht nicht immer Sinn, wie man am Beispiel PER zeigen kann:

- PER dient zum erlaubten Entfetten von Fleischresten, die dann als Hühnerfutter Verwendung finden. Reste von PER gelangen in die Eier: -> Rückstand.
- PER gelangt aus der chemischen Reinigung auf dem Luftpfad in den Käse, der im benachbarten Supermarkt verkauft wird: -> Verunreinigung.


5.3 Herkunft der Rückstände und Verunreinigungen

Die meisten Lebensmittel stammen von Organismen ab, die zu Lebzeiten als offene Systeme selber Schadstoffe angereichert haben, so dass sich der Mensch am Ende der Nahrungskette der größten Schadstoffbelastung ausgesetzt sieht. Derartig offene Systeme sind aber auch die unbelebten Lebensmittel, die wie Lebewesen der energetischen und stofflichen Beeinflussung durch ihre Umgebung ausgesetzt sind.

Lebensmittel haben, wenn sie den Verbraucher erreichen, heutzutage einen langen Weg hinter sich. Die Marktstrukturen und die Ansprüche der Verbraucher bedingen eine intensive Behandlung der meisten Lebensmittel. Sie sind dabei vielen Einflüssen ausgesetzt. Dabei bieten sich viele Möglichkeiten des Stoffeintrags. Fremdstoffe gelangen nicht nur bewusst durch den Menschen, sondern auch vorzugsweise über den Luftpfad, weiter über Wasser oder den Boden in die Lebensmittel, und zwar während des Wachstums, der Fertigung, Lagerung und endgültigen Zubereitung vor dem Verzehr.

Charakteristische Beispiele für den Eintrag von Fremdstoffen mit der Folge eingeschränkter Lebensmittelqualität sind:

- Rückstände aus Tierhaltung (Medikamente) und Ackerbau (Pestizide oder Düngerbestandteile wie Nitrat),
- Verunreinigung von Nahrung, die aus Wildtieren, Pflanzen und Pilzen gewonnen wird, durch Schwermetalle,
- Verunreinigender Kontakt der fertigen Lebensmittel mit der belasteten Atmosphäre (CKW, Dioxine),
- Rückstände und Verunreinigungen aus dem Verpackungsmaterial (z. B. Weichmacher und Monomere),
- Verunreinigung durch mangelnde Lebensmittelhygiene (Bakterientoxine und Schimmelpilzgifte),
- Verunreinigung durch natürliche Inhaltsstoffe (Blausäure in Bittermandeln, Gift in Pilzen oder bestimmten Fischen).

Pflanzenschutz und Konservierung sind eine Hauptquelle für Rückstände. Auf das Spritzen von Obst und stoffliche Zusätze zur Lebensmittelkonservierung kann man vorläufig nicht verzichten. Denn die zu bekämpfenden Mikroorganismen produzieren selbst giftige Stoffwechselprodukte wie Botulin oder Aflatoxin, die wesentlich schädlicher als entsprechende Rückstände sein können (-> Tab. 4).

Eine direkte Beziehung zwischen engerer Umgebung und Nahrungsqualität ist heute kaum noch feststellbar, da die meisten Nahrungsmittel durch zentrale Fertigungsstätten (z. B. Großbäckereien oder Massentierhaltung) und verbreitenden Transport zu den Konsumenten mehr oder weniger gleichmäßig über das Land verteilt werden.

Biologischer Anbau
In diesem Zusammenhang sei noch der biologische Anbau erwähnt. Hierbei handelt es sich um einen erfreulichen Ansatz zur Minimierung des Schadstoffeintrags. Einschränkend muss gesagt werden, dass es heute keinen Lebensraum mehr gibt, der gegenüber der Umwelt als abgeschlossenes System angesehen werden könnte. Viele Organismen, die als Lebensmittel Verwertung finden sollen, nehmen beim Wachstum Schadstoffe über den Luftpfad oder aus dem Grundwasser auf. Dies betrifft z. B.:

Deshalb muss auch der biologische Anbau überwacht werden. Dies betrifft vor allem auch den Vertrieb und die Zubereitung der Speisen, wenn auf Konservierungsstoffe verzichtet wird. Hier ist ganz besonders auf die Einhaltung der Lebensmittelhygiene zu achten. Die höchste von einem chemischen Untersuchungsamt jemals gemessene Aflatoxinprobe wurde dem Vernehmen nach vor kurzem in einem alternativen Biokostladen in dort selbst zubereiteter Erdnussbutter gefunden.


5.4 Toxikologische Beurteilung von Fremdstoffen

5.4.1 Beurteilung von Zusätzen

Viele Zusätze sind synthetische Chemikalien (z. B. Süßstoffe und Azofarbstoffe). Laut Chemikaliengesetz müssen alle neuen chemischen Stoffe, von denen pro Jahr mehr als 1 t hergestellt werden, wie Medikamente vor der Zulassung geprüft werden. Die toxikologischen Untersuchungen haben Aussagen zu folgenden Wirkungen zum Ziel:

Hinzu kommen Untersuchungen zur Kumulation und zum Synergismus (Zusammenwirken und Verstärkung der Effekte mehrerer Stoffe), die besonders viel experimentelle Phantasie erfordern.

Diese Prüfungsprozedur betrifft alle Zusatzstoffe zu unseren Nahrungsmitteln. Ziel ist die Bestimmung des so genannten no effect-level oder den ADI-Wert (acceptable daily intake). Letztere heißt im deutschen Sprachraum auch DTA (duldbare tägliche Aufnahmemenge).

Die in der sog. E-Liste zusammengefassten erlaubten Lebensmittelzusätze sind toxikologisch getestet.

Da die vorgeschriebenen Tests sehr lange dauern und eine toxikologisch begründete Zulassung nicht ausschließt, dass die Stoffe nicht - wie einige Farbstoffe - Allergene sein können, greift die Lebensmittelindustrie endlich wieder mehr auf Naturstoffe zurück. Ein Beispiel hierfür sind die Gummibärchen, bei denen sogar mit der Rücknahme der Färbung großzügig geworben wird ("Goldbärchen"). Dabei wurde nur die Konsequenz daraus gezogen, dass die in der E-Liste aufgeführten grünen und roten Farbstoffe allergieauslösend sein können und wohl demnächst sowieso verboten worden wären.

Glücklicherweise finden immer mehr Naturstoffe, die von vornherein schon Bestandteil von anderen Nahrungsmitteln sind, als Zusatzstoffe Verwendung. Beispiele sind der Emulgator Lecithin, der Farbstoff Betanin der Rote Bete und der Diabetikerzucker Fructose. Daneben gibt es viele halbsynthetische Zusätze wie die Maillardprodukte (-> 6.6.7).

Übrigens sind nicht alle Naturstoffe ohne Bedenken zu genießen (-> 7.3). Man denke an Terpene oder Cholesterin. Auch extensive Vitaminaufnahme kann schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben. Problematisch sind auch Naturstoffe, die in hoher Konzentration zugesetzt werden (wie z. B. Glutamat).


5.4.2 Beurteilung von Rückständen und Verunreinigungen

Die Begriffe Rückstände und Verunreinigungen sind zwar negativ belegt, sagen aber primär gar nichts über deren Toxizität aus. Häufig genug sind Rückstände und Verunreinigungen jedoch potentielle Schadstoffe. Fernhaltung von Lebensmittelrückständen dient deshalb dem gesundheitlichen Schutz der Verbraucher. Grundlagen hierfür sind im Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG) geregelt.

§ 8 LMBG besagt, dass ein Nahrungsmittel nur dann beanstandet werden kann, wenn der darin gefundene Fremdstoff als gesundheitsschädigend eingestuft ist.

Was ist ein Gift? Alles ist Gift. Allein die Dosis macht, dass „ein ding kein gifft ist". (Paracelsus um 1540.) So liegt die letale Dosis (LD50) von Rohrzucker bei 30 g/kg Lebendgewicht, die von Kochsalz bei 3 g/kg, von E 605 bei 3 mg/kg und die von Botulin A bei 0,8 ng/kg.

Eine Vorstellung darüber, wie gering die Mengen einzelner Rückstände in Lebensmitteln sein dürfen, geben die vergleichenden Toxizitäten.

(In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass diese Aussagen für den Chemiker von geringerem Informationswert sind, da er sich nicht für die Grammmengen, sondern eher für die Teilchenzahl der Giftstoffe interessiert. Aussagen hierüber macht die Molzahl.)

Tab. 4: Toxizitäten (LDmin in µg/kg Lebendgewicht)
Botulinus-Toxin A 0,00003
Tetanus-Toxin 0,00001
Diphtherie-Toxin 0,3
TCCD 1
Bufotoxin 390
Curare, Strychnin 500
Muscarin 1100
Soman, Tabun 3100
Natriumcyanid NaCN 10000

Persistenz
Die Wirksamkeit eines Stoffes in der Umwelt, bezogen auf seine Toxizität und Lebensdauer beschreibt man durch seine Persistenz. Die Persistenz ist somit nicht nur eine Frage der stofflichen Haltbarkeit, sondern auch eine Frage der schädigenden Dosis und der Ausscheidungsrate. Geringe Haltbarkeit, aber hohe Giftigkeit kann genauso schlimm sein wie große Haltbarkeit, geringe Ausscheidungsrate und geringe akute Giftigkeit. (Letzteres führt zu einer Kumulation in Umwelt und Nahrungskette (Beispiel Dioxine und DDT).) Dies berücksichtigt die Höchstmengenverordnung, die aber erst einige Hundert Wirkstoffe enthält. Auf den Persistenzbegriff wird im Rahmen der Chemie der Pedosphäre genauer eingegangen.


5.4.3 Positionen bei der Beurteilung unserer Lebensmittel, Grenzwertdiskussion

Man muss bei der Beurteilung unserer Lebensmittel zwei extreme Positionen berücksichtigen:

Fazit unter grenzwertanalytischen Aspekten:
Unter grenzwertanalytischen Aspekten kann der Zustand der Lebensmittel als weitgehend "gut" bezeichnet werden. Eine sowohl personell als auch apparativ optimal ausgestattete Lebensmittelüberwachung ist zur Aufrechterhaltung dieses Status quo obligatorisch.

Fazit unter klinisch-toxikologischen Aspekten:
Eine klinisch-toxikologische Betrachtung der Situation muss zwangsläufig zur Forderung einer Minimierung der Rückstände mit dem Ziel der Rückstandsfreiheit von Lebensmittel führen. Unbekannte Summationswirkungen auch kleinster Dosen, generationslange Latenzzeiten von 30 Jahren und mehr sowie die über lange Zeiten ungesicherte Kausalität zwischen Stoffeintrag und Wirkung beim Menschen müssen zur Folge haben, dass für viele Stoffe (wie den Pestiziden) der Grenzwert "Null" das Ziel ist.

Die toxische Wirkung von Chemikalien wird meistens an Tieren oder Gewebekulturen untersucht. Diese Ergebnisse sind nur bedingt auf den Menschen übertragbar. Die Tatsache, dass Ratten auf Umwelteinflüsse besonders unempfindlich reagieren und dass andererseits gerade sie vorrangig als Testobjekte dienen, macht es leicht, die Ergebnisse solcher Untersuchungen in Frage zu stellen.

Tierversuche bieten vor allem keinen verlässlichen Aufschluss über Auswirkungen von Stoffen auf die menschliche Lebensqualität. Dies betrifft besonders Substanzen, die das Hormon- oder Zentralnervensystem angreifen und damit den Zustand, den wir als Wohlbefinden definieren und der an einem Versuchstier nicht abzulesen ist, maßgeblich beeinflussen können. Hinzu kommt noch die riesige Spanne der persönlichen Dispositionen der im Einzelfall betroffenen Menschen. Schließlich gibt es keinen Standardmenschen, der zugleich einen Säugling, einen Athleten oder einen Alten repräsentieren könnte.

An dieser Stelle wird die Problematik der Angabe von Grenzwerten erneut deutlich. Oftmals werden Grenzwerte mit Nachweisgrenzen verwechselt. Es sei hier daran erinnert, dass bereits 2-3 Kupfer-Ionen ein riesiges Enzymmolekül wie die aus Bodenbakterien stammende Urease (Molmasse 100.000) hemmen. Weitere Punkte der Kritik:

- Es gibt bislang nur wenige Angaben von Höchstgrenzen für Einzelstoffe und kaum Summenhöchstgrenzen.
- Es muss nicht nur der Einzelstoff untersucht werden, sondern es ist bei Anwesenheit mehrerer Rückstände auch nach synergistischen Effekten zu fahnden.
- Es gibt viele Beispiele für Stoffe, die sich erst nach langem Gebrauch als irritierend oder toxisch herausstellten.
- Viele Stoffe sind Summationsgifte, die sich also in Körper oder speziellen Organen aufgrund fehlender Ausscheidung anhäufen.
- Bei manchen mineralischen Kontaminanten, die wie Molybdän, Kupfer oder Chrom als Spurenelemente in geringsten Konzentrationen physiologisch hochwirksam sind, können Grenzwerte nur ungenau oder gar nicht angegeben werden.
- Ob ein Stoff cancerogen ist oder nicht, wird von verschiedenen Autoren sehr unterschiedlich beurteilt. Die Spanne reicht von no level (ein Molekül - eine Wirkung) bis zur Angabe von exakten Mengen, bezogen auf ein Kilogramm Lebendgewicht.

Grenzwerte werden mittlerweile für cancerogene Stoffe nicht mehr definiert, da von diesen theoretisch schon ein Molekül Krebs auslösen kann.

Auf die Dauer muss eine aus wirtschaftlichen Gründen in vielen Lebensbereichen akzeptierte Basiskontamination in Frage gestellt werden. Gerade hierfür ist die Dioxinsituation ein besonders kontrovers diskutiertes Beispiel. Immerhin wird zunehmend versucht, den Ausstoß von Dioxinen etwa bei der "thermischen Abfallverwertung" (Müllverbrennung) drastisch zu senken - was technisch durchaus machbar ist.

Nulltoleranz, d. h. Rückstandsfreiheit, ist aber prinzipiell nicht mehr durchsetzbar, da man inzwischen fast jeden Rückstand überall nachweisen kann. Dies gilt heute vor allem für die allgegenwärtigen (ubiquitäre) Weichmacher, deren mögliche Toxizität allerdings noch nicht geklärt ist. Das liegt nicht nur an zunehmender Verteilung der Stoffe, sondern auch an der ständig steigenden Empfindlichkeit der Messmethoden. Hierfür ist die Gruppe der ultragiftigen Dioxine und Dibenzofurane als Beispiel zu nennen. So operiert man heute schon bei der Angabe von Nachweisgrenzen oder toxikologischen Grenzwerten nicht mehr mit Konzentrationsangaben wie ppm (mg Wirkstoff/kg Medium) oder ppb (mg/t Medium), sondern sogar mit ppt (mg Wirkstoff/1000 t Medium).

Das umweltbewusste Anwenden von Pestiziden und entsprechende Verordnungen haben deren Gehalt in Lebensmitteln bereits um 80 % gesenkt. Dies ist auch das Ergebnis von ständiger Überwachung (Monitoring). Saisonale Obst und Gemüse zeigen weniger Rückstandsbelastung als extrasaisonale, bei denen man häufig Überschreitungen feststellt (Erdbeeren im Winter, Gurken und Salat). Bedenklich sind vor allem Mehrfachanwendungen (Cocktails). Diese nutzt man, um Höchstmengen zu unterschreiten. Andererseits erfordern z. B. Fungizide wegen hoher Spezifität viele unterschiedliche Substanzen, die zusammen verabreicht werden müssen. Hier zeigt sich, dass bei der Beurteilung der Lebensmittelbelastung vor allem Summenparameter gefordert werden müssen.


5.5 Die Situation unserer Lebensmittel

Unsere Lebensmittel sind besser als ihr Ruf. So fällt der Vergleich mit der Arbeitswelt oder der Umwelt von Ballungsräumen um Größenordnungen zugunsten der Lebensmittelreinheit aus.

Hierfür gibt es viele Gründe:

Problematisch sind unterschiedliche Normen in EG-Richtlinien und nationaler Gesetzgebung. Die Verwässerung des relativ scharfen deutschen Lebensmittelrechts durch die Gesetzgebung der EG ist zu erwarten.

Bedenklich ist auch die Einfuhr von pestizidbelasteten Lebensmitteln oder Materialien, mit denen Lebensmittel Kontakt bekommen können, aus Ländern der Dritten Welt. Dieser Bumerangeffekt betrifft z. B. von uns exportierte, in unseren Ländern verbotene Pestizide wie DDT und andere Pestizide wie Toxaphen oder Trichlorphenoxyessigsäure, die in Baumwollöl oder Sisal enthalten sind. Letzteres dient zur Herstellung von Heupressengarnen. Die darin enthaltenen Pestizid-Rückstände gelangen ins Viehfutter und in unsere Nahrung. (Die Aufklärung dieser Kontaminationskette ist ein Beispiel für die detektivische Arbeitsweise der chemischen Untersuchungsbehörden.)

Nicht voraussehbar sind Belastungen, die durch Unfälle oder kriminelle Energie eintreten. Diese können in Einzelfällen die Rückstandsbelastung kurzfristig extrem in die Höhe schnellen lassen. Aber auch hier ist festzuhalten, dass kontinuierliche, breitflächige und stichprobenartige Lebensmitteluntersuchung gesundheitlich vorbeugende Arbeit ist.

Dieses Monitoring (anhaltende Beobachtung) betrifft mittlerweile um die 10 Gemüse- und Obstsorten, deren Fremdstoffprofil man verfolgt. Leider geschieht dies auf Grund einer wenig Flexibilität gestattenden Verordnung, was den sich rasch verändernden Marktverhältnissen keinesfalls angepasst ist. So untersucht man zwar regelmäßig Salat, aber nicht den Eissalat oder Chinakohl. Monitoring bindet auch übermäßig die Arbeitskraft der chemischen Untersuchungsinstitutionen.


5.6 Fremdstoffanalytik

In der Analytik und bei gesetzlich möglichen Maßnahmen gegen den Gebrauch mancher Stoffe hinkt die Lebensmittelüberwachung immer einen Schritt hinter dem Erfindungsgeist der Produzenten her. Man kann nämlich Stoffe bzw. deren Abbauprodukte erst dann finden, wenn man weiß, wonach man zu suchen hat. (Auf die Verfälschung von Wein durch den vergleichsweise einfachen Stoff Glykol ist man nur durch Indiskretion gekommen.) Was Sorgen macht, ist nicht so sehr das, was man kennt, sondern was man nicht weiß.

Insgesamt handelt es sich bei den potentiellen Schadstoffen um eine Palette von Stoffen von größter Vielfalt, deren Toxizität man nicht einmal im Entferntesten oder nur in seltenen Einzelfällen abschätzen kann, dies vor allem auch unter Einbeziehung synergistischer Effekte.

Von den heute etwa 60.000 im Handel befindlichen Allerweltschemikalien findet man bereits einige Tausend (2.500-5.000) sicher in der Umwelt wieder. Hunderttausende von Tonnen dieser Stoffe werden Jahr für Jahr produziert und "verschwinden" vor unseren Augen (und damit aus unserem Sinn) einfach in Atmosphäre, Wasser und Boden. Dazu kommt noch die zunehmende Müllentsorgung in die gleichen Medien. (In NRW fallen zurzeit jährlich 60 Mio. t Industrie- und Gewerbemüll sowie 6 Mio. t Hausmüll an.)

Materie kann aber nicht verschwinden, sondern taucht mehr oder weniger verändert in der Umwelt an unerwarteten Stellen wie z. B. der Raumluft, auf dem Getreidefeld oder schließlich in unserer Nahrung auf. Dazu kommen noch biologische und atmosphärische Abbauprodukte der belastenden Stoffe und synthesebedingte Verunreinigungen wie schlimmstenfalls Dioxine in bestimmten Herbiziden.

Problematisch beim Einsatz von Pestiziden ist die weite chemische Spanne der eingesetzten Stoffe sowie ihrer synthesebedingten Verunreinigungen und Abbauprodukte. Eine Vorstellung über die Vielfalt gibt die Tabelle aus einem Katalog zur GC-Analytik, in der Pestizide aufgelistet sind, die mit einer einzigen Säule und zwei verschiedenen Detektoren im Oberflächenwasser erfasst werden können.

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Abb. 40: Gaschromatogramm einer Wasserprobe mit Pestizidrückständen (Phosphornitrid-Detektion PND).
Das obere Chromatogramm dient zur Eichung. Die zu den numerierten Peaks gehörigen Substanznamen sind in Tab. 5 aufgeführt

Tab. 5: Gängige Pestizide und Abbauprodukte, die mit einer einzigen GC-Säule und zwei verschiedenen Detektoren erfasst werden können
Detektion mit: ECD (Elektroneneinfangdetektor) PND (Phosphornitriddetektor)
  1 Pentachlorbenzol
2 Trifluralin
3 alpha-HCH
4 Hexachlorbenzol
5 beta-HCH
6 gamma-HCH
7 delta-HCH
8 PCB EK 28
9 PCB EK 20
10 Alachlor
11 Heptachlor
12 PCB EK 52
13 Aldrin
14 cis-Heptachlorepoxid
15 trans-Heptachlorepoxid
16 trans-Chlordan
17 o.p.-DDE
18 PCB EK 101
19 alpha-Endosulfan
20 cis-Chlordan
21 p.p.-DDE
22 Dieldrin
23 o.p.-DDD
24 Endrin
25 beta-Endosulfan
26 p.p.-DDD
27 o.p.-DDT
28 PCB EK 153
29 p.p.-DDT
30 Endosulfansulfat
31 PCB EK 138
32 Methoxychlor
33 Bifenox
34 PCB EK 180
35 Desisopropylatrazin
36 Methabenzthiazuron
37 Tributylphosphat
38 Desethylatrazin
39 Desethyltherbutylazin
40 Atraton
41 Simazin
42 Prometon
43 Atrazin
44 Propazin
45 Tris(2-chlorethyl)-phosphat
46 Terbutylazin
47 Isobumeton
48 Sebutylazin
49 Desmetryn
50 Metribuzin
51 Parathionmethyl
52 Ametryn
53 Metalaxyn
54 Prometryn
55 Terbutryn
56 Metolachlor
57 Parathionethyl
58 Fenpropimorph
59 Cyanazin
60 Triadimefon
61 Heptadecansäurenitril
62 Metazachlor
63 Pendimethalin
64 Triadimenol
65 Octadecansäurenitril
66 Methoprotryn
67 Azinphos-methyl
68 Azinphos-ethyl
69 Prochloaz

Analytische Probleme erschweren die Erfassung und Charakterisierung von Rückständen:
- Grundsätzlich müssen der zu suchende Stoff oder zumindest seine groben physikalisch-chemischen Eigenschaften dem Untersucher bekannt sein.
- Durch Screening etwa unter breiter Anwendung von chromatographischen Verfahren (wie Gaschromatographie (GC) oder der besonders leistungsfähigen Hochdruckflüssigkeitschromatographie (HPLC)) werden zunächst einzelne Stoffgruppen mit gemeinsamen physikalisch-chemischen Eigenschaften gesucht (-> Abb. 40).
- Findet man ein neues Messsignal, so ist es notwendig, die Zusammensetzung bzw. den Aufbau der hierzu gehörenden Verbindung aufzuklären. Dabei spielen modernste Verfahren der Strukturaufklärung (wie Kernspinresonanz (NMR) oder Massenspektrometrie (MS)) eine wichtige Rolle.
- Ist der Stoff eindeutig charakterisiert, muss man für ihn wie für jeden anderen einzelnen Stoff oder zumindest für jede Stoffklasse charakteristische und eindeutige Nachweismethoden entwickeln.
- Erschwerend ist, dass diese Nachweise gerichtstauglich, also im Allgemeinen auch quantitativ sein müssen. Dies erfordert Eichungsprozeduren, bei denen das Personal der Untersuchungsämter mit jenen toxischen Stoffen arbeiten muss, die man gerade aus Gesundheitsgründen fernhalten will.
- Die Nachweise hochtoxischer Stoffe, die im Allgemeinen sehr verdünnt vorliegen, haben wegen der geringen Konzentration der Rückstände fast immer aufwendige Prozeduren zur Aufkonzentrierung als Voraussetzung.
- Bei der Analyse einer Stoffgruppe wie z. B. den Dioxinen und Dibenzofuranen hat man es mit einer Mischung von mindestens 210 chemisch sehr ähnlichen, aber toxikologisch um Größenordnungen unterschiedlichen Stoffen zu tun. Deren toxikologisches Potential muss aufeinander bezogen werden (sog. Toxizitäts-Äquivalente oder TE-Werte).

Die Dioxinbestimmung einer einzigen Blutprobe kostet mittlerweile um 3.500 DM (-> Tab. 6). Die Wartezeit, bis man eine Analyse bekommt, beträgt momentan nachfragebedingt (Kieselrot aus Marsberg) mehrere Monate.

Tab. 6: Kosten einiger Analysen vom Nitrat bis zum Dioxin
Nitrat ca. 100 DM
Chlorkohlenwasserstoffe ca. 400 DM
Chloramphenicol in Ei ca. 400 DM
Dioxin in Blut ca. 3500 DM
Dioxin in Humanmilch als
Bürgerservice des Landesuntersuchungsamtes Münster
20 DM
Durchschnittlich aufwendige
Untersuchung mit Gaschromatographen
und Massenspektrometer im Landesunter-
suchungsamt Münster ca.
300 DM
Die Tabelle soll als Anhaltspunkt dienen. Die Preise schwanken, je nach Untersuchungslabor, auf dem freien Markt z. T. sehr stark.
Quelle: Chemisches Landesuntersuchungsamt Münster.

Demzufolge müssen die Überwachungsbehörden apparativ und personell angemessen ausgestattet sein, um ihrer Aufgabe gerecht werden zu können. Es kommt dabei zwangsläufig immer mehr zu örtlicher Spezialisierung auf einzelne Stoffe oder Stoffgruppen, da die apparative Ausstattung immer teurer wird und das Know-how sowie die aus Gründen der Vergleichbarkeit und Analysensicherheit erlassenen Standardisierungsvorschriften durch Staat und Fachverbände (wie der DFG oder der GDCh) immer komplexer werden.


5.7 Indikatoren für die Lebensmittelqualität

Die Vielfalt der umlaufenden Stoffe und ihrer Interaktionen zeigt ein Kernproblem der Beschreibung von Lebensmittelqualität auf: Es ist nahezu unmöglich, abschließende Aussagen über alle möglichen Rückstände in Lebensmitteln zu treffen.

Im Verlauf der letzten Jahre haben sich jedoch einige Stoffe als besonders charakteristisch für die Rückstandsbeurteilung erwiesen. Folglich kann man die Entwicklung und Situation der Qualität unserer Lebensmittel ausreichend schildern, indem man sich nur auf solche exemplarischen Umweltindikatoren bezieht. Dies sind Stoffe, die ubiquitär, hoch persistent und/oder in besonderem Maße toxisch sind. Als Beispiele seien genannt:

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Letzte Überarbeitung: 12. Juli 2006, Dagmar Wiechoczek