6 Nachwachsende Rohstoffe

Zu den Nachwachsenden Rohstoffen gibt es eine eigene Webseite der DC2: Nachwachsende Rohstoffe. Besuchen Sie diese!

Die Produkte der industriellen organischen Chemie sind heute zu einem großen Teil petrostämmig, d. h. sie basieren letztlich auf dem Erdöl sowie Kohle oder Carbid. Heute richtet sich das Augenmerk der chemischen Industrie zunehmend auf sich erneuernde, so genannte nachwachsende (regenerative) Rohstoffquellen, um auf lange Sicht eine Sicherung der Rohstoffversorgung zu gewährleisten.

Neben regenerativen Energiequellen wie Biosprit (im weitesten Sinne aber auch sich ständig erneuernde Wind- und Solarenergien) steht die Gewinnung von Chemikalien aus tierischen und pflanzlichen Materialien im Mittelpunkt des Interesses. Dies hat in einigen Fällen, z. B. bei der alkoholischen Gärung, der Essigsäuregewinnung, der Herstellung von Naturkautschuk oder von Pflanzenölen sowie der Cellulosegewinnung schon seit langer Zeit wirtschaftliche Bedeutung. Neuerdings werden jedoch neben der Intensivierung und Verbesserung der Nutzung bekannter Rohstoffquellen bisher wenig beachtete Pflanzen und Neuzüchtungen auf ihre Verwendungsmöglichkeiten untersucht und dann gegebenenfalls im großen Maßstab genutzt. Hierzu gehören etwa Coriander oder Euphorbia-Arten.

Das Ziel des Züchters ist es, Pflanzen zu veranlassen, bestimmte chemische Stoffe zu synthetisieren, und das in möglichst hohen Ausbeuten. Auf diese Weise werden chemische Trenn- und Anreicherungsverfahren wesentlich vereinfacht.

Cellulose
Der in größten Mengen genutzte nachwachsende Rohstoff ist das natürliche Makromolekül Cellulose. Der überwiegende Teil wird immer noch für die Herstellung von Papier oder von Textilien (Baumwolle) sowie als Baustoffzusatz verwendet (-> 6.2). Durch chemische Modifikation können die Eigenschaften der Cellulose verändert werden. So erhält man z. B. Acetylcellulose, die in organischen Lösemitteln löslich ist und zu Fasern (Acetatseide) und Folien, aber auch als Grundstoff von Lacken verarbeitet werden kann. Ein anderes Produkt ist die CM-Cellulose, die als Emulgator in Waschmitteln oder in Lebensmitteln dient.

Tab. 7: Beispiele für Nachwachsende Rohstoffe

Rohstoff Herkunft chemische Produkte Verwendung
Pflanzenöle/
Pflanzenfette
Ölfrüchte wie Nüsse
Sonnenblumenkerne
usw.
Fettsäuren
Glycerin
Fettsäureester
Fettsäureamide
Tenside
Weichmacher
Kosmetika
Kunststoffe
tierische
Fette
Schlachtabfälle
Tierkörperverwertung
wie
Pflanzenöle
wie
Pflanzenöle
Cellulose Holz Celluloseester
Regeneratcellulose
Verpackungsfolie
Kunstfasern
Lackrohstoffe
spezielle
Polysaccharide
Pflanzensamen Ester und andere
Derivate
Fällungs- und
Flockungsmittel
Tallöl Holz Fettsäuren
Harzsäuren
Tenside
Tenside
Lacke
Kunststoffe
Pflanzenharze/
etherische Öle
Holz
Zitrusfrüchte
Terpene und
Derivate
Lösemittel
Riech- und
Aromastoffe
Latex Gummibaum Gummi Gummiprodukte
z. B. Autoreifen

NIU-PC 37 (1989) Nr.47

Fette und fette Öle
Bestimmte Pflanzen (z. B. Olivenbäume, Sonnenblumen, Raps und Sojabohnen) werden in großem Maßstab kultiviert, weil ihre Früchte fette Öle enthalten. Zur Gewinnung dieser Stoffe werden die Früchte ausgepresst oder extrahiert. Tierische Abfallfette (Talg) werden dagegen im Allgemeinen ausgeschmolzen.

Die weitaus höchsten Ausbeuten ergeben sich bei der Extraktion. Dies geschieht im Allgemeinen mit leicht flüchtigen Lösemitteln wie Hexan, die quantitativ wieder abgezogen werden können, so dass aus dem Restmaterial, wie etwa Sojamehl, die hochwertigen Proteine zur Nahrungsmittelproduktion weiter verwendet werden können. Andere Verfahren arbeiten mit CKW wie dem Perchlorethylen. Dies erfolgt im Allgemeinen nach dem Pressvorgang, um letzte Reste der hochwertigen Öle zu gewinnen. Allerdings ist dieses Verfahren bei der Gewinnung von Nahrungsfetten und -ölen verboten, da das Verbleiben von CKW-Resten in den Ölen unvermeidlich ist. Extrahierte Lipide können jedoch als Grundlage zur Gewinnung von Tensiden, Kunststoffen und Lacken eingesetzt werden. Jedoch wird auch hier im Rahmen der ständigen Reduzierung von Grenzwerten an chemischen Verfahren gearbeitet, bei denen man vollständig auf organische Lösemittel verzichtet und nur noch mit Wasser oder überkritischem CO2 extrahiert.

Die fetten Öle zeichnen sich durch einen hohen Gehalt an ungesättigten Fettsäuren aus, die (wie auch die gesättigten Fettsäuren) verestert als Triglyceride vorliegen. Ein typisches Öl für die Technologie der nachwachsenden Rohstoffe ist das Sojaöl, ein Gemisch von Triglyceriden, deren Fettsäuren die folgende ungefähre Zusammensetzung haben:

Stearinsäure 7 %
Ölsäure 30-56 %
Linolsäure 19-53 %
Linolensäure 2-5 %
Palmitinsäure 2 %

Diese ungesättigten Fettsäuren haben nicht nur als sog. essentielle Fettsäuren eine ernährungsphysiologische Bedeutung, sondern sind auch von großem technischen Interesse. Der Grund ist, dass Doppelbindungen chemisch leicht verändert werden können.

Damit lassen sich aus ungesättigten Fettsäuren wirtschaftlich interessante Substanzen gewinnen. Darunter findet man Kunststoffe wie die Polyurethane (PU) oder Polyester. Letztere kann man u. a. aus Polyalkoholen wie dem Glycerin, das ebenfalls bei der Fettspaltung erhalten wird, oder Sorbit (erhalten durch Reduktion von Glucose) herstellen.

Ein weiterer wichtiger nachwachsender Rohstoff ist das Rizinusöl. 80 % der Carbonsäuren dieses Öls bestehen aus der Ricinolsäure, einer ungesättigten Hydroxysäure (12-Hydroxyoleinsäure), die wegen des Gehaltes zweier funktioneller Gruppen zur Polymerisation interessant ist:

Aus den Fettsäuren und deren Derivaten lassen sich anionische, kationische oder nichtionische Detergentien gewinnen. Besonders bedeutsam sind neben den einfachen Seifen die Schwefelsäureester (Sulfate oder Sulfonate). Die Spaltung mit Aminen führt zu kationischen, neutral wirkenden Tensiden. Die Reaktion mit wasserlöslichen Substanzen wie z. B. Rohrzucker führt zu besonders hautschonenden ungeladenen Tensiden (-> Abb. 38).

Abb. 38: Saccharosefettsäureester

Terpene
Eine weitere exemplarische, wenn auch weitgehend unbekannte Rohstoffquelle sind Schalen von Citrusfrüchten, die bei der Herstellung von Orangensaft in großen Mengen anfallen. In den Schalen sind Terpene wie z. B. das nach Zitronenschalen duftende Limonen enthalten. (Jeder kennt das Phänomen, wenn man den Saft von Mandarinenschalen in Kerzenflammen spritzt.) In der Industrie werden die Terpene aus Orangenschalen zunächst durch Auspressen und dann durch Destillieren des Rohproduktes gewonnen. Der Rest wird verfüttert oder kompostiert und dient somit indirekt als Dünger zur Neugewinnung von Citrusfrüchten. (Allerdings sind die Schalen von Citrusfrüchten häufig mit Schwermetallen kontaminiert.)

Pro Tonne Schalen lassen sich 40-50 kg Terpene gewinnen. Derzeit werden weltweit etwa 10.000 t Orangenöle hergestellt. Aus ihnen gewinnt man Aromastoffe, aber auch Lösemittel für Lacke. Ein neues Einsatzgebiet ist die Reinigung von Mikrochips, so dass man nicht mehr auf CKW und FCKW zurückgreifen muss. Man denkt allerdings auch an das Cracken der kohlenwasserstoffartigen Terpene zur Gewinnung von dieselähnlichem Treibstoff. (Dies gilt für alle Terpene, die sich auch aus Nadelbäumen oder Wolfsmilchgewächsen gewinnen lassen.)

Allerdings sollte man nicht glauben, dass Terpene, die auf pflanzlicher Basis gewonnen werden, harmlos seien. Das Limonen aus Orangenschalen wirkt genau wie das Pinen aus Kiefernharz irritierend, d. h. als Reizstoff, Allergen oder gar Cancerogen. Biolacke, die mit natürlichen Lösemitteln wie Terpentinöl verdünnt sind, sollten deshalb vorsichtig eingesetzt werden. (Die Ansicht, dass ein Naturprodukt grundsätzlich harmloser sei als etwa ein synthetischer Stoff, ist also vereinfachend und schlicht falsch.)

Hemicellulosen
Hemicellulosen fallen bei der Cellulosegewinnung aus Holz an. Sie dienen u. a. zur Herstellung von Furanderivaten wie Furfural durch Erwärmen in Gegenwart von schwachen Säuren (-> Abb. 39). Hieraus lassen sich Phenolharze gewinnen, so dass man vom Formaldehyd unabhängig wird (vgl. mit Abb. 34). Durch Erhitzen und Hydrieren erhält man das wichtige (allerdings auch sehr gefährliche) Lösemittel THF (Tetrahydrofuran). Daraus werden unter Verwendung von Cyaniden Adipinsäure und Hexamethylendiamin, die Grundstoffe der Nylonsynthese, gewonnen.

Abb. 39: Abbaureaktionen der Holzpentosen (Hemicellulosen)


6.1 Nachwachsende Rohstoffe und Umwelt

Die Vorteile der Verwendung von Nachwachsenden Rohstoffen liegen auf der Hand. Erwähnt wurde bereits die Schonung von Rohstoffquellen. Damit ist die Verminderung ökologischer Schäden bei Gewinnung oder Transport von Erdöl verbunden. Landschaftsschäden durch Kohlegruben entfallen zunehmend. Der Anbau solcher Nutzpflanzen hat außerdem den Effekt, dass überflüssige landwirtschaftliche Flächen auf diese Weise sinnvoll genutzt werden können.

Die Verarbeitung der nachwachsenden Rohstoffe kann so erfolgen, dass möglichst biologisch abbaubare Produkte hergestellt werden. Hier sei an entsprechende Tenside oder Kunststoffe erinnert, die im Gegensatz zu vielen petrostämmigen Verbindungen nicht oder nur wenig abgebaut werden können.

Allerdings gibt es auch eine Reihe schwerwiegender Einwände gegen die Technologie nachwachsender Rohstoffe:

- Es ist zu befürchten, dass beim Anbau der so genannten Industriepflanzen mit solchen Düngern gearbeitet wird, die beim Anbau von Nahrungsmittelpflanzen nicht eingesetzt werden dürfen. So könnten beispielsweise schwermetallhaltige Klärschlämme aufgebracht werden, die die Böden langfristig kontaminieren.
- Auch bei der Gewinnung von Chemikalien aus nachwachsenden Rohstoffen entstehen Rückstände. Zwar sind diese häufig kompostierfähig. Dennoch ist wegen der großen Abfallmengen nach günstigen Methoden zur weiteren Nutzung der Rückstände oder zur Abfallbeseitigung zu suchen. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass z. B. bei der Gewinnung von Rohrzucker aus Zuckerrüben, der übrigens zunehmend als Rohstoff der technischen Chemie wie bei der Gewinnung von nichtionischen "handschonenden") Tensiden oder beim Recycling von Bleiakkumulatorenschrott (-> 7.3) genutzt wird, erhebliche Mengen an hochbelastetem Abwasser entstehen. Gleiches gilt auch für die Celluloseherstellung (> 6.2).
- Bei der Diskussion über die Nutzung schnell wachsender Pflanzen zur Erzeugung von Alkohol zur Energieumwandlung darf nicht vergessen werden, bei der Energiebilanz wirklich jegliche vorab investierte Energie zu berücksichtigen. So ist von der Düngerproduktion bis zum Unterhalt und zum Betrieb der Erntemaschinen Energie bereitzustellen. Dies gilt z. B. für immer wieder erwogene Projekte, Dieselöl durch Rapsöl zu ersetzen oder Chinagras anzupflanzen. Hierfür wird gern mit dem Begriff "CO2-Recycling" geworben: Man emittiert beim Verbrennen der nachwachsenden Rohstoffe gerade soviel CO2, wie zuvor durch wachsende Pflanzen fixiert worden ist.
- Der im Zusammenhang mit der Technologie nachwachsender Rohstoffe gern verwendete Begriff "Sanfte Chemie" bezieht sich nur auf die Rohstoffgewinnung, nicht aber auf deren Verarbeitung und Derivatisierung. Hier finden wir die üblichen Probleme der Chemie mit den bekannten energetischen und stofflichen Belastungen.


6.2 Cellulose und Papier

Hierzu gibt es eine eigene Webseite der DC2: Projekt Papier. Besuchen Sie diese!

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Letzte Überarbeitung: 06. März 2001, Dagmar Wiechoczek