Bingelkraut - das vermeintliche Indigo

Das erste großflächige Grün, das man im Frühlingswald sieht, stammt vom Wald-Bingelkraut.

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Bild 1: Bingelkraut
(Foto: Blume)


Sein lateinischer Name ist Mercurialis perennis. Diesen Namen kann man nicht ohne weiteres deuten. Einfach ist es beim Artnamen perennis. Der stammt aus dem Lateinischen und steht für „beständig“. Aber was bedeutet der Gattungsname Mercurialis? Hängt das etwa mit dem lateinischen mercurium, Quecksilber, zusammen?

Tatsächlich haben die Alchemisten mit Hilfe dieser Pflanze versucht, aus Quecksilber Gold zu machen. Dahinter steckt, dass sich die Pflanze beim Trocknen blau färbt. Solche Umfärbungen kannte man schon von Quecksilberverbindungen. So wird z. B. farbloses Quecksilber(I)-chlorid Hg2Cl2 („Kalomel“) beim Behandeln mit Ammoniak schwarz (griech. kalos, schön und melas, schwarz). Hinzu kommt, dass die Blaufärbung des Bingelkrauts einen metallischen Glanz aufweisen soll - was aber nicht immer nachvollzogen werden kann.

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Bild 2: Getrocknetes Bingelkraut
(Foto: Blume)


Die Quecksilberstory erwies sich bald wie so vieles, was die Alchemisten vermuteten, als barer Unsinn.

Jedoch gab es noch eine zweite Story: Eine Zeit lang hat man Wald-Bingelkraut mit Färberwaid (Isatis tinctoria) gleichgesetzt. Letzteres ist die bedeutendste mitteleuropäische Pflanze, aus der sich Indigo gewinnen lässt. Dahinter steht auch die Beobachtung, dass sich der blaue Farbstoff bei Kontakt mit der Luft bildet. Das kannte man vom „Verhängen“ der Textilien, die zuvor mit Indigoküpe behandelt worden sind. Leider erwies sich auch dies als ein Irrtum.

Mittlerweile ist der blaugrüne Farbstoff intensiver untersucht worden. Er heißt Cyanohermidin. Betrachten wir jedoch zunächst seine mehr oder weniger farblose Vorstufe Hermidin, die in intakten Bingelkraut-Pflanzen gespeichert ist. Es handelt sich um eine heterozyklische Verbindung, die auf Pyridin zurückzuführen ist.


Hermidin wird durch Luftsauerstoff in Cyanohermidin umgewandelt (griech. cyanos, blaugrün). Es handelt sich um eine komplizierte radikalische Oxidation, bei der durch Licht angeregter Sauerstoff (so genannter Singulett-Sauerstoff 1O2) eine Rolle spielt.


Bei Cyanohermidin handelt es sich um ein Radikal-Anion. Seine intensive Farbe rührt daher, dass die vagabundierenden Elektronen durch Licht leicht anregbar sind. Bei Wassermangel sind diese Radikale relativ stabil.

Cyanohermidin kann aber auch zu einer rötlichen Verbindung dimerisieren. Letztere wird erneut oxidiert. Es entsteht Chrysohermidin, eine gelbe Verbindung (griech. chrysos, gelb).


Auf diese Weise können durch Variation der Reaktionsbedingungen verschiedene Farbtöne von Gelb über Rot, Braun und Blaugrün entstehen.

Bleibt noch die Frage, woher das Wort „Bingelkraut“ stammt. Man nimmt heute allgemein an, dass dahinter die harntreibenden Eigenschaften der Pflanze stehen („Pinkelkraut“).


Literatur:
Was blüht denn da? Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart 2008


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Letzte Überarbeitung: 17. Juli 2014, Dagmar Wiechoczek