Prof. Blumes Tipp des Monats August 1998 (Tipp-Nr. 14)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Mit Kältemischungen gibt es auch im Sommer Eis

Die römischen Kaiser und Napoleon I. von Frankreich hatten außer ihrer Rauflust noch etwas anderes gemeinsam: Sie schleckten im Sommer gerne gefrorenen Honig oder gefrorene Sahne. (Unsere leckeren Eiszubereitungen gab es damals noch nicht.)
Wassereis zu beschaffen war nicht schwer: Im Winter, wenn die Seen zugefroren waren, wurde Wassereis "geerntet". Wie man das machte, wird sehr schön von dem schwedischen Maler Carl Larsson beschrieben.


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Bild 1: Eis-Ernte. Ausschnitt aus einem Bild von Carl Larsson
(Aus dem Buch von Carl Larsson: 'Bei uns auf dem Lande' (ISBN 978-3-7845-2745-1).
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Langewiesche Königstein)

Die Eisbrocken wurden regelrecht aus dem zugefrorenen See herausgesägt. Kräftige Pferde mussten die großen Stücke herausziehen. Wenn man fertig war, wurde das Loch mit Tannenzweigen markiert - damit kein anderer hineinfiel. Zur Isolierung wurde das geerntete Eis mit Stroh zugedeckt und auf den Hof oder in die Stadt gebracht, wo es in speziellen Eiskellern aufbewahrt wurde.

Außerdem konnte man auch im Sommer aus den Gletschergebieten des Apennin oder der Alpen Eis besorgen.

Man bewahrte auch den Schnee des Winters auf. Dann gab es im Sommer Eis in speziellen Eisdielen - wie es Prosper Merimée in seiner Novelle "Carmen" beschreibt.

Allerdings wird Sahne erst unterhalb von etwa -20 °C merklich fest. Da die Alten (anders als wir heute) nicht über Kältemaschinen verfügten, mussten sie einen Trick kennen, um noch tiefere Temperaturen zu erzeugen. Das machten sie so:
Sie mischten Wasser bzw. Eis mit Salzen. Vor allem nutzten sie bestimmte Salze, die aus den Kellerwänden ausblühten. Dieser "Salpeter" (also das von den steinernen Kellerwänden abgekratzte Salz; lat. sal petri) war vor allem Ammoniumnitrat, ein Relikt aus bakteriell zersetzter Gülle, die aus dem benachbarten Abfluß oder Misthaufen durch die Kellerwand drang. Mit diesem Salz ließen sich hochkonzentrierte Lösungen herstellen. Dabei, das hatten die Alten beobachtet, kühlten die Lösungen stark ab: Mischte man zum Beispiel ein Gewichtsteil ("Lot") Salpeter mit einem Lot von etwas vorgekühltem Wasser, so erreichten sie Temperaturen bis zu -5,3 °C (Versuch 1). So konnten sich Napoleons Soldaten sogar mit Hilfe von Schießpulver, in dem ja Nitrat enthalten ist, beim Feldzug in Ägypten zumindest eiskalte Getränke zubereiten. (Vorgekühltes Wasser stellten sie her, indem sie es in porösen Tonkrügen aufbewahrten. Die zum Verdunsten notwendige Verdampfungswärme wurde dem Wasser selbst und dem Krug entzogen. So erreicht man Temperaturen um +10 °C.) Mischte man außerdem 10 Teile festes Wassereis mit 1,5 Teilen Salpeter, so erreichte man sogar Temperaturen von -13 °C (Versuch 2)! Und mit einer Mischung aus Wassereis und Kochsalz (-21,3 °C) gefror sogar die Sahne (Versuch 3).

Was steckt physikalisch-chemisch dahinter?
- Mischst du ein Salz in flüssigem Wasser, so löst es sich darin, indem die Wasserdipole die Ionen des Salzes umhüllen und so aus dem Ionengitter herausbrechen. Dieser Vorgang ist normalerweise endotherm, da die freiwerdende Ion-Dipol-Wechselwirkung kleiner ist als die Gitterenergie des Salzes. Die Lösungswärme für das Salz wird daher aus der Umgebung entnommen; Lösung und Gefäß kühlen sich ab (Versuch 1). Mit Natriumnitrat erreichen wir so eine Temperatur von -5,3 °C.
- Mischst du ein Salz mit festem Wassereis, so löst sich das Salz ebenfalls auf, auch wenn dies deutlich langsamer geschieht (Versuch 2).
Woher kommt überhaupt das Wasser zum Lösen? Du weißt, dass Eis unter Druck schmilzt, also auch unter der Einwirkung des Luftdrucks. Deshalb ist Eis immer mit einer dünnen Schicht von Wasser überzogen. Mit diesem flüssigen Wasser steht das Eis in einem dynamischen Gleichgewicht.

Das Wasser zum Lösen des Salzes stammt aus diesem Gleichgewicht und wird ständig nachgebildet. Damit verschiebt sich das Gleichgewicht, und das Eis verschwindet langsam. (Diesen Effekt nutzt man übrigens auch, um im Winter Glatteis auf Gehwegen und Straßen zu bekämpfen.)
Bei diesem Vorgang kommt zum Lösen des Salzes also noch das Schmelzen des Eises hinzu. Dessen Schmelzwärme wird zusammen mit der Lösungswärme des Salzes aus der Umgebung entnommen. Damit sinkt die Temperatur der Mischung Eis/Salz wesentlich stärker ab als bei der Mischung von Salz mit flüssigem Wasser. Mit Natriumnitrat erreichen wir statt -5,3 °C eine Temperatur von bis zu -15,3 °C.
Wichtig ist, dass sich stets Eis, Salz und Salzlösung nebeneinander im Gefäß befinden. Nur so bleibt die tiefe "Gleichgewichts-Temperatur" erhalten. Ansonsten steigt bei schlechter Isolierung des Gefäßes die Temperatur bald wieder an.

Bild 2: (Foto: Daggi)

Rezepte für Kältemischungen

In der Literatur sind sehr viele Mischungsangaben zu finden. Allerdings weichen die Angaben über Zusammensetzung und erreichte Temperaturen in verschiedenen Tabellenwerken oftmals stark voneinander ab.
In unserer Tabelle findest du einige Mischungsbeispiele, die du selbst nachprüfen kannst. Am billigsten ist die Kältemischung mit Kochsalz, bei der du -21,3 °C erreichen kannst (Versuch 3).
Anstelle von Salzen nimmt man auch nicht-ionische Verbindungen als Zusätze zur Herstellung von Kältemischungen. Beispiele sind Ethanol und der Harnstoff (Versuch 4). Letzteren setzt man aus Gründen des Umweltschutzes auch anstelle von Streusalz zum Bekämpfen von Glatteis ein.

Kälte-Substanz Zusammensetzung Niedrigste erreichbare
Temperatur (°C)
NH4Cl 30 g/100 g Kaltwasser -5
NaNO3 75 g/100 g Kaltwasser -5
CaCl2 · 6 H2O 41 g/100 g Eis -9
KCl 30 g/100 g Eis -10,5
Harnstoff 10 g/100 g Eis -10,8
NH4NO3 14 g/100 g Eis -13,6
NaNO3 15 g/100 g Eis -13
NH4Cl 25 g/100 g Eis -15,4
NH4NO3 60 g/100 g Kaltwasser -16,8
NaCl 33 g/100 g Eis -21,3
CaCl2 · 6 H2O 81 g/100 g Eis -21,5
NaBr 66 g/100 g Eis -28
Ethanol 105 g/100 g Eis -30
CaCl2 · 6 H2O 123 g/100 g Eis -41
CaCl2 · 6 H2O 143 g/100 g Eis -55
KOH 31 g/100 g Eis -63
H2SO4 (w = 66 %) 91 g/100 g Eis -90
MgCl2 · 6 H2O 85 g/100 g Eis -94


Experimente

1 Natriumnitrat-Wasser-Kältemischung
Mische 7,5 g Natriumnitrat in 10 ml vorgekühltes Wasser ohne Eis. Verfolge während des Lösungsvorgangs den Verlauf der Temperatur.

2 Natriumnitrat-Eis-Kältemischung
Mische 15 g Natriumnitrat mit 100 g feinem Eis und verfahre wie oben.

3 Natriumchlorid-Eis-Kältemischung
Zerkleinere in einem großen Mörser Eisstücke möglichst fein. Fülle eine 2 - 3 cm dicke Schicht davon in ein Becherglas (2 l); darüber streust du eine 1 cm dicke Schicht Streusalz, darüber wieder Eis (usw.). Rühre um. Stecke, bevor die Masse sehr hart wird ("sintert"), ein Thermometer hinein und verfolge, wie die Temperatur absinkt. Macht einen Wettbewerb, wer die niedrigste Temperatur erreicht! Was bildet sich an der äußeren Glaswand?
Fülle ein Reagenzglas mit Sahne und untersuche, ob sie in deiner Kältemischung gefriert.
Lasse die Kältemischung stehen. Was beobachtest du, wenn sich kein Eis und kein festes Salz mehr im Glas befinden?

4 Harnstoff-Eis-Kältemischung
Mische wie in Versuch 3 beschrieben Harnstoff mit Wassereis. Welche Temperaturen erreichst du? Macht wieder einen Wettbewerb.


Rüdiger Blume und Dagmar Wiechoczek


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Letzte Überarbeitung: 20. Januar 2010, Dagmar Wiechoczek