Wenn Schalen schon zu wenig und Orbitale noch zu viel sind.
Wolfram Keil
Bild 1: Verschiedene Materialien zur Darstellung des Kugelwolkenmodells
Gemäß des in vielen Rahmenplänen vorkommenden Struktur-Eigenschafts-Konzepts sollen Schüler befähigt werden, begründete Vermutungen über die Eigenschaften eines Stoffes aus dem Bau seiner Teilchen abzuleiten. Für das Verständnis zwischenmolekularer Kräfte sind Kenntnisse zur Bestimmung des dreidimensionalen Baus der Moleküle eines Stoffes nötig. Damit wären auch Schüler der Sekundarstufe I in der Lage, die Summe der zwischenmolekularen Kräfte zwischen den Teilchen eines Stoffes und damit den Aggregatzustand oder auch die Polarität eines Moleküls und damit die Löslichkeit einzuschätzen. Die Atommodelle im Chemieunterricht
Braucht man denn wirklich noch ein weiteres Atommodell?
Es ist komplex genug, um Informationen zum Molekülbau zu liefern, aber nicht zu komplex, um sich dem Verständnis der Schüler zu entziehen. Der Aufwand zur Einführung des Kugelwolkenmodells ist bei bekanntem Schalenmodell gering. Es muss aber tunlichst vermieden werden, bei der Einführung eines „neuen“ Atommodells das „Alte“ für falsch oder überholt zu erklären. Das führt bei Schülern zu Frustration und der Frage, warum man ihnen denn nicht gleich das „richtige“ Modell beigebracht hätte. Die Modelle stellen alle - auch das Orbitalmodell – eine starke Vereinfachung der Wirklichkeit dar. Denn das ist es ja, was das Wesen eines Modells ausmacht. Die genannten Modelle stehen somit nicht zwingend hierarchisch übereinander, sondern je nach Fragestellung nebeneinander. Es ist also legitim, auch mit Kenntnis des Orbitalmodells, zur Darstellung geeigneter Fragestellungen, wie der Bewegung eines Moleküls im Raum, weiterhin das Kugelteilchenmodell einzusetzen. Zur Veranschaulichung eines Phänomens nutzt man immer das einfachste anwendbare Modell. Da die Aussagen des Schalenmodells auch im Kugelwolkenmodell enthalten sind, wurde von manchen Autoren vorgeschlagen, zugunsten des Kugelwolkenmodells ganz auf die Einführung des Schalenmodells zu verzichten [1]. Aussagen des Kugelwolkenmodells
Zusammengefasst formulierte Kimball zusätzlich zu den Regeln des Schalenmodells sinngemäß die folgenden Ergänzungen: Da sich die negativ geladenen Kugelwolken gegenseitig abstoßen, nehmen sie innerhalb der Schale den größtmöglichen Abstand voneinander ein. Die unterschiedlich große Abstoßung zwischen einfach und doppelt besetzten Kugelwolken wird vernachlässigt. Die erste Kugelwolke entspricht der 1. Schale (K-Schale) und umschließt den Atomkern. Alle weiteren Schalen (bzw. Energieniveaus) können, wenn sie die Außenschale bilden, je nach Anzahl der Außenelektronen 1 bis 4 Kugelwolken mit jeweils ein oder zwei Elektronen enthalten. Enthält die Schale 3 Kugelwolken, liegen sie auf der Äquatorebene des Atomrumpfs. Bei vier Kugelwolken liegen diese auf den Ecken eines gedachten Tetraeders. Ausgehend vom Schalenmodell sind die Neuerungen also nur die Verteilung der Elektronen innerhalb der Schalen auf Kugelwolken in der Schale und die Aufgabe der Vorstellung vom Elektron als punktförmiges Ladungsteilchen. Die Aufteilung der Elektronen in Kugelwolken lässt sich leicht hinnehmen. Wie aber kann man Schülern die neue Ortsunschärfe der Elektronen begreiflich machen? In der Sekundarstufe I kann natürlich nicht mit dem Welle-Teilchen-Dualismus argumentiert werden. Aber man kann Alltagserfahrungen nutzen. Als leicht verständliches Gleichnis können die Rotorblätter eines Hubschraubers dienen. Vor dem Anlassen sieht man zwei schwarze Rotorblätter, die aber ab einer bestimmten Drehzahl nicht mehr einzeln erfasst werden können. Man sieht nur noch eine halbdurchsichtige, graue Scheibe (quasi eine „Kreiswolke“). Die Elektronen bewegen sich mit noch höherer Geschwindigkeit, so dass auch ihre genaue Lage nicht feststellbar ist. Allerdings bewegen sie sich nicht in einer Ebene, sondern in einem kugelförmigen Raum. Dort befinden sie sich gleichzeitig überall und nirgendwo. Das Elektron ist die gesamte Kugelwolke. Diese ist dadurch überall gleichmäßig negativ geladen. Bei der nur modellhaften Annahme, ein Elektron wäre eine sichtbare kleine schwarze Kugel, würden wir bei einer Besetzung mit einem Elektron eine hellgraue und bei Besetzung mit zwei Elektronen eine dunkelgraue Wolke sehen. Damit offenbart sich ein Problem des Kugelwolkenmodells - seine sinnvolle Darstellung. Die Darstellung des Kugelwolkenmodells
Die Verbreitung eines Modells wird natürlich auch durch die Möglichkeit, es schnell und einfach skizzieren zu können, erleichtert. So wird das Schalenmodell häufig noch mit „Planeten“bahnen dargestellt, weil diese sich viel schneller zeichnen lassen als Schalen. Ursprünglich werden beim Kugelwolkenmodell mit einem Elektron einfach (halb-) besetzte Kugelwolken als unausgefüllte (weiße) Kreise und mit zwei Elektronen vollbesetzte Kugelwolken als grau ausgefüllte Kreise dargestellt [1], [4]. Von Schülern wird eine weiße Kugelwolke aber häufig als leere Kugelwolke interpretiert, und ausgefüllte Kugelwolken benötigen Zeit fürs „Ausmalen“. Manche Autoren umgehen die Gefahr der Fehlinterpretation durch die Füllung der Kugelwolken mit unterschiedlichen Farben [5], [6]. Dies erhöht aber auch den Zeichenaufwand und wirft die Frage auf: „Welche Farbe steht für welche Kugelwolke?“ [5] Andere Autoren zeichnen die Elektronen zusätzlich als punktförmige Teilchen oder als Pfeile in farbig oder grau gefüllte Kugelwolken [6], [7] (siehe auch Bilder 1 und 2). Der Zeichenaufwand erhöht sich weiter und die neu eingeführte Ortsunschärfe des Elektrons geht dabei wieder verloren. Bild 2: Vergleich der Verteilung der Elektronen in einem Sauerstoffatom im Schalenmodell und Kugelwolkenmodell ohne Ortsunschärfe
Ab der zweiten Schale existiert innerhalb der Außenschale (innere Schalen werden nicht dargestellt) ein Feinbau aus Kugelwolken, der im Schalenmodell fehlt. Bild 3: Vergleich der Darstellung des Wassermoleküls im Schalenmodell und im Kugelwolkenmodell
Das Wassermolekül wäre in der Logik des Schalenmodells linear (und somit kein Dipolmolekül) und ein gewinkeltes Dipolmolekül im Kugelwolkenmodell. Ideal für die Nutzung auf Tafel und Papier wäre eine einfarbige, schnelle und un-komplizierte Art der Darstellung. Der folgende, über viele Jahre in der Schulpraxis erprobte Vorschlag soll die oben genannten Probleme lösen. Dieser Vorschlag lässt sich für die Schüler modellhaft wie folgt erklären: Bei sehr hoher Geschwindigkeit der Elektronen in der Kugelwolke wären Richtungsänderungen schwierig und man würde eine Art spiralige Bahnspur wahrnehmen, die von der Seite wie eine Schraffur aussieht. Bei zwei Elektronen in der Wolke wären genau parallele Bahnspuren beider Elektronen unwahrscheinlich. Die Bahnen würden sich in einem Winkel kreuzen. Der Einfachheit halber zeichnet man dann eine im rechten Winkel gekreuzte Schraffur. Dieses Modell im Modell ist zugegeben etwas heikel, weil es der Ortsunschärfe des Elektrons widerspricht, aber die Deutung der Schraffuren wird plausibel. Bild 4: Darstellungen einiger Elemente in der vorgeschlagenen Variante des Kugelwolkenmodells 2D Darstellung
Bild 5: Skizze des Kugelwolkenmodells eines Sauerstoffatoms in 4 Schritten 3D-Modell aus Polystyrolschaumkugeln
In die beiden großen Polystyrolschaumkugeln werden vorsichtig jeweils 8 Löcher gebohrt und darin die Magnete eingeklebt. Die Positionen der Löcher sind: Die Pole und der Äquator der Kugeln sind produktionsbedingt durch kleine Grate gut zu erkennen. In jede der kleinen Kugeln wird nun an einem Pol eine Spanplattenschraube eingeschraubt. Die aufwändigste Arbeit ist das Aufbringen der „Schraffur“ auf die kleinen Kugeln. Mit einem geeigneten Stift zeichnet man auf allen kleinen Kugeln den Äquator nach sowie „nördlich und südlich“ davon je zwei weitere Breitenkreise im gleichen Abstand. Also 5 Kreise pro Kugel. Eine Hälfte der Kugeln wird zusätzlich dazu mit 5 weiteren Breitenkreisen - im rechten Winkel zu den bereits vorhandenen - versehen. Bild 6: Eine einfach und eine doppelt besetzte Kugelwolke der zweiten Schale bzw. Darstellung der Elemente Wasserstoff und Helium (erste Schale) im Kugelwolkenmodell
Durch magnetische Haftung der kleinen Kugeln an der richtigen Stelle der großen Kugeln kann nun jedes Atom und jedes zweiatomige Molekül, das der Oktettregel entspricht, als Kugelwolkenmodell dreidimensional dargestellt werden. Bild 7: Atomrumpf mit eingeklebtem Magneten und magnetisch haftender Kugelwolke
Bild 8: Bor (links) und Sauerstoff (rechts) im Kugelwolkenmodell
Nützlich zur Erklärung der Tetraederwinkel sind zusätzlich ein Tetraeder aus 6 Strohhalmen (24 cm) mit Knetekügelchen an den Ecken und eine tetraedrische Getränkepackung. Bild 9: Gittertetraeder aus Strohhalmen (links) und tetraedrische Saftpackung (rechts)
Tetraedrische Getränkepackungen sind allerdings kaum noch erhältlich, können aber auch einfach selbst gebastelt werden, indem man einen Papierstreifen (z.B. ca. 30 x 15 cm - aus DIN A4-Blatt) an den kurzen Seiten zu einem Ring verklebt. Nun wird die untere Öffnung mit einer Klebenaht oder Heftung verschlossen. Man erhält einer Art Tasche. Die obere Öffnung der Tasche wird nun im rechten Winkel zur unteren Öffnung verschlossen. Schon hat man schnell und unproblematisch einen Papiertetraeder. Am schnellsten geht es mit Klebeband. Bild 10: Bastelanleitung für einen Papiertetraeder
Das die 4 Kugelwolken in die Ecken eines gedachten Tetraeders weisen, kann man zeigen, indem man das Polystyrolschaummodell mit 4 Kugelwolken in den Gittertetraeder aus Strohhalmen stellt. Bild 11: Neonatom im Gittertetraeder
Kugelwolkenmodel und PSE
Bild 12: PSE im Kugelwolkenmodell zum Ausfüllen
Bild 13: PSE im Kugelwolkenmodell Lösung
Die Elektronenpaarbindung (Atombindung) im Kugelwolkenmodell
Dieser Vorgang lässt sich auf dem Overhead-Projektor mit entsprechend bedruckten Folien oder mit Hilfe von GIF-Dateien am Computer sehr gut darstellen. GIF-Dateien eignen sich besonders, weil sich in diesem Format die weißen Bereiche der einfach besetzten Kugelwolken als durchsichtig definieren lassen. Die einfach besetzten Kugelwolken können nun auch grafisch beim Übereinanderschieben ihre einfachen Schraffuren zu einer gemeinsamen, kreuzweisen Schraffur überlagern. So werden sie als doppeltbesetzt erkennbar. Beispiel für eine Einfachbindung:
Bild 14: Zwei Chloratome vor der Bindung
Beide Chloratome (2 Cl) überlappen ihre einfach besetzten Kugelwolken. Bild 15: Chlormolekül als 3D-Modell aus Polystyrolschaumkugeln
Beispiel für eine Doppelbindung:
Bild 16: Sauerstoffmolekül mit Doppelbindung
Bild 17: Sauerstoffmolekül als 3D-Modell aus Polystyrolschaumkugeln
Mit Hilfe des Polystyrolschaummodells lässt sich zusätzlich gut zeigen, dass bei ent-sprechender Anzahl von einfach besetzten Kugelwolken auch Dreifachbindungen möglich, aber Vierfachbindungen unmöglich sind. Der Übergang zur Lewisschreibweise (Valenzstrichformel)
Die Striche und Punkte werden einfach an die vier Seiten des Elementsymbols gezeichnet. Die Dreidimensionalität und Ortsunschärfe der Elektronen geht zu Gunsten der vereinfachten und beschleunigten Schreibweise verloren. Die folgende Abbildung zeigt den Weg vom Kugelwolkenmodell über die Elektronenformel zur Lewisschreibweise am Beispiel des Sauerstoffatoms. Bild 18: Vom Kugelwolkenmodell zur Lewisschreibweise
Fazit
Der Aufwand der Einführung des Kugelwolkenmodells als zusätzliches Atommodell in der Sekundarstufe 1 lohnt sich kurzfristig durch das erleichterte Verständnis der dreidimensionalen Strukturen der Moleküle und der Elektronenpaarbindung, mittelfristig durch die Möglichkeit der Ableitung von Stoffeigenschaften nach dem Struktur-Eigenschafts-Konzept und langfristig als Vorbereitung der Einführung des Orbitalmodells.
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