Geschichte des Essigs

Unter allen Säuren wurde wohl die Essigsäure zuerst bekannt und gezielt verwendet. In ihrer Lösung war sie schon vor rund 8000 Jahren den alten Babyloniern und Ägyptern als Essig bekannt. Auch die Inder und Chinesen haben Wein an der Luft zu Essig vergären lassen. Es handelt sich also um ein Produkt eines der ältesten biotechnologischen Verfahren der Menschheit. Das andere Verfahren ist notwendigerweise die noch länger bekannte alkoholische Gärung. Essig macht man schließlich aus Alkohol.

Zunächst wird die Entstehung des Essigs wohl zufällig gewesen sein. Auf diese Weise werden Alkoholvorräte (zunächst wohl auch auf die gleiche, unbeabsichtigte Art entstanden) mit den Essigbakterien in Kontakt gekommen sein. Primär war Essig wohl nichts anderes als Wein oder Bier, die sauer geworden waren. (Deshalb war Essig auch schon immer das Getränk armer Leute.) Sicherlich gab es schon damals sparsame Hausfrauen, die nichts umkommen ließen. Wenn zum Beispiel meine Mutter Bierteig zum Umhüllen von Fisch machte, pflegte sie eine halbe Flasche Bier dazuzugeben. Den Rest bewahrte sie auf - wochenlang. Solch ein Bier wird nicht schal - es wird zu Essig, wie meine Brüder und ich im unbeabsichtigten Selbstversuch studieren konnten.

Aber auch die römischen Soldaten schätzten den Essig so sehr, dass jeder von ihnen ein kleines Fässchen mit sich herumtrug. Essig galt nicht nur als erfrischendes Getränk, sondern auch (wie heute noch) als Heilmittel. So gewinnt auch die biblische Geschichte mit Jesus und dem Essig einen ganz anderen Stellenwert:

Da lief einer und füllte einen Schwamm mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und tränkte ihn (Markus 15:36).

Das wurde später als Verhöhnung gedeutet:

Und sie gaben mir Galle zu essen und Essig zu trinken in meinem großen Durste (Psalm 69:22).

Offenbar jedoch taten die Soldaten Jesus am Kreuz nach ihrem Verständnis nur etwas Gutes!

Andererseits hat die Sucht der Römer nach Essig auch Schlimmes bewirkt. Essig reagiert nämlich mit Blei. Daraus bestanden damals die Essgeschirre. Das Reaktionsprodukt Bleiacetat ist hochgiftig. Heute weiß man, dass viele Römer an Bleivergiftung gestorben sind. (Noch bis zum frühen 19. Jahrhundert wurde Bleiacetat als Süßungsmittel verwendet.) Kühne Historiker meinen, dass am Blei das römische Imperium eingegangen ist. Mit dem waren auch die Wasserleitungen ausgekleidet. Außerdem haben Bleipigmente zum Schminken der Frauen gedient.

Die Römer standen auch Pate für das Wort "Essig". Es ist dem lateinischen Wort acetum für Essig entlehnt. Daher kommt auch unser "Acetat" für das Salz der Essigsäure (acetum acidum). Die Bezeichnung "Ester" entstand aus der Verschmelzung des Doppelworts Essig-Äther durch Liebig.

Erst 1864 erkannte Louis Pasteur, dass Essig durch die Tätigkeit von Bakterien entsteht.

Egal wie es entsteht: Essig wurde oftmals zu Hause hergestellt. Davon zeugen noch heute die Essigtöpfe, die in vielen Antiquitätenläden herumstehen und auf Kunden warten.

 

Bild 1: Essigtopf aus einem Bauernhaus bei Tübingen
(Fotos: Blume)


Ihre Glasur ist oftmals von der scharfen Säure angegriffen worden.

Früher war es üblich, dass Essigfabriken einmal in der Woche ihre Vorräte angestochen haben. Das muss man sich anders vorstellen als heute, wo sich sofort eine Bürgerbewegung bilden würde: Beim Essiganstich roch die ganze Stadt nach Essig.

Meinte man lange Zeit, die Gewinnung von Essig ist nicht ohne die vorherige Alkoholgewinnung möglich, so wurde man bald eines Besseren belehrt: Seit etwa 100 Jahren stellt man den Essig auch aus Produkten der Holzdestillation her.
Im Jahre 1914 begannen die heute besonders wichtigen großtechnischen Essigsäuresynthesen, zunächst aus Calciumcarbid bzw. aus dem dabei hergestellten Carbidsprit ("Reppe-Synthese"). Da bei der Oxidation von Ethanol zu Acetaldehyd Quecksilbersalze eine katalytische Rolle spielten, waren Umweltschäden vorprogrammiert: In Japan zum Beispiel leitete man die Fabrikabwässer ungereinigt ins Meer. Fischer der Minamata-Bucht haben das Quecksilber über die von ihnen gefangenen Fische aufgenommen und sind erkrankt.
Heute gibt es glücklicherweise bessere Verfahren zur Essigsäureherstellung wie zum Beispiel die katalysierte Addition von Methanol an CO.

Essig und Essigsäure sind mittlerweile wichtige Grundchemikalien im Rahmen von Lebensmitteltechnologien, Mittel zur Haushaltsreinigung und zur Entkalkung sowie chemischen Synthesen geworden. Essig ist immer noch ein unverzichtbares Würz-, Genuss- und Konservierungsmittel. Die Essigsäure hat sich zur wichtigsten organischen Säure überhaupt gemausert. Essig und Essigsäure finden deshalb weite Verbreitung.

Selbst das Sprichwort Sauer macht lustig ist letztlich auf die Verwendung von Essig zurückzuführen. Das Sprichwort hieß früher nämlich ganz anders: Sauer macht "gelüstig". Heute würde man sagen: Sauer regt den Appetit an. Aus diesem Grunde reichte man früher zu Beginn von Futtergelagen bzw. Fressorgien sauer Eingelegtes. Entsprechend behandelte Gurken fehlen (zur Steigerung des Durstes mit viel Salz angereichert) in keinem russischen Menü.

Bild 2 (Foto: Blume)


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Letzte Überarbeitung: 10. April 2007, Dagmar Wiechoczek