Hilda – die Ammonitenäbtissin von Whitby

Was für eine Erklärung gibt es dafür, dass sich im Wappen von Whitby, einer Stadt am Strand von Yorkshire in Großbritannien, drei aufgeringelte Schlangen befinden?

Wappen von Whitby in Yorkshire

Es würde einen wundern, wenn es dazu – wie beim Rattenfänger zu Hameln - nicht eine Legende gäbe:

Das Bild der Stadt Whitby wird durch die Ruine einer vormals riesigen Kirche beherrscht, die hoch über den Felsen steht. In dem dazugehörigen Kloster lebte eine Äbtissin namens Hilda. Die hatte ein echtes Problem: In und um ihrem Kloster tummelten sich viele Schlangen. Die nahm sie (Hilda) einen Besen und warf sie (die Schlangen) einfach über die Klippen. So mussten die bösen Schlangen sterben. Im Todeskampf ringelten sie sich zu Spiralen und versteinerten. So findet man sie noch heute.

Dafür gibt es wie für fast alle Sagen einige Erklärungen, die aber zusammengenommen insgesamt irgendwie Sinn machen.

Zum Ersten ist Whitby das Eingangstor zu den Yorkshire Moors. Das sind von vielen Tälern durchzogene Heidelandschaften. Sie sind berüchtigt wegen der vielen (auch giftigen) Schlangen, die sich in den waldlosen Hügeln sonnen. Wanderer begegnen ihnen noch heute, vor allem, wenn sie (die Wanderer) sich wegen der überfallartigen Tornado-Tiefflüge erschrocken ducken oder gar zu Boden werfen.

Hinzu kommt Folgendes: Die Yorkshire-Küste ist berühmt wegen der vielen versteinerten Ammoniten, die aus den hohen Felsen fallen und die man am Strand findet. Das gilt vor allem für die Arten des Dactylioceras. Sie mögen wirklich an Schlangen erinnern. Das zeigt das folgende Bild.

Bild 1: Dactylioceras commune aus Whitby (Lias Epsilon). Durchmesser 7,5 cm
(Foto: Blume)


Im sehenswerten Museum von Whitby sind entsprechend präparierte „Schlangen“ ausgestellt. Denn immer wieder haben fantasiebegabte Leute einen Schlangenkopf in den Stein präpariert. Dafür ist der spitz auslaufende Bereich vor der Mündung des Ammoniten geradezu prädestiniert. Dem Vernehmen nach kann man solche „Schlangen“ in einschlägigen Läden sogar kaufen.

(Diese Ammoniten kennen wir in Deutschland aus den Schiefern von Holzmaden. Da liegen die Ammoniten allerdings plattgedrückt vor. In der Region um Forchheim in Franken dagegen findet man sie als gesteinsbildende Ansammlungen, mit denen sogar Kirchen gebaut wurden.)

Es gibt übrigens noch viele andere Sagen und Legenden um Fossilien.

Dass die Äbtissin Hilda sogar heilig gesprochen wurde, lag sicherlich nicht an ihrem Hang zum Schlangentöten. Sie galt vielmehr als eine sozial aktive Frau, da sie z. B. auch Schulen und Waisenhäuser gründete.

Als man erkannte, dass die Schlangen in Wirklichkeit Ammoniten waren, hat man zu Ehren von Hilda sogar einen für Whitby typischen Ammoniten nach ihr benannt: Hildoceras. Das heißt soviel wie Hildas Horn. Oder Hildas Hörnchen.

Bild 2: Hildoceras aus Whitby (Lias Epsilon). Durchmesser 13,5 cm
(Foto: Blume)


Die Formationen von Whitby gehören zum Schwarzjura, den man auch Lias nennt. Der Name stammt von layers, engl. für „Schichten“. Die viele Hundert Meter mächtigen schwarzen Gesteinsschichten bestehen aus Tonen und Schiefer. Hier baute man auch den aluminiumreichen Ton ab, um Alaun oder versteinertes Holz (Gagat) zu gewinnen. Die Grabungslöcher sieht man noch allerorten.

Wer hier sammeln geht, sollte unbedingt über die Zeiten von Ebbe und Flut Bescheid wissen und sich deshalb im Zigarettenladen eine „Time Table“ kaufen. Davon hängt nicht nur der Sammelerfolg, sondern vielleicht auch das eigene Leben ab. Denn die Tiede beträgt einige Meter, und da ist ein Rückweg am Strand rasch abgeschnitten. Die Felsen kann man kaum hochsteigen.


Dracula landete in Whitby
Weil die Felsen so schwarz und düster sind und sich das Meer gar so gewaltig produziert, hat der britische Autor Bram Stoker in seinem Schauerroman den von ihm erfundenen Dracula hier landen lassen. Die Tagebucheintragungen der von Dracula oft angebissenen Mina Murray (ab Kapitel 6) sowie der Ausschnitt aus dem Dailygraph vom 8. August (Kapitel 7) enthalten herrliche Beschreibungen von Whitby, von seinem reizenden Sommerklima, von seinem Flair und von seinen Meereswellen.


Und noch etwas zu einer Story, die gern in den Whitby-Pubs erzählt wird:
Man erzählt jedem Deutschen, dass die Kirche von Whitby im ersten Weltkrieg durch den Beschuss deutscher Marineschiffe zerstört wurde. Auch das gehört zu den Legenden. Denn es war Heinrich VIII. (bekannt durch den Hang zum Mädchenmord), der nach der Säkularisierung das Bleidach der Kirche abdecken ließ, um daraus Kugeln zu gießen.


Woher stammt der Name Whitby?
Das heißt nichts anderes als „Weiße Burg“ oder „Weiße Stadt“. Jeder, der schon mal (auch zum Steinesammeln) in Dänemark war, weiß das, denn da enden viele Städtenamen mit -by. Die Stadt Whitby ist eine Wikinger-Gründung aus einer unruhigen Zeit englischer Geschichte, als die Dänen (eine Wikinger-Art) die Mitte und den Norden von Großbritannien beherrschten. Das betrifft also die Zeit nach Artus…


Man sieht: Wenn man Steine sammeln geht, lernt man dabei auch noch vieles andere dazu…


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Letzte Überarbeitung: 22. Juli 2008, Dagmar Wiechoczek