Prof. Blumes Tipp des Monats Januar 1999 (Tipp-Nr. 19)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Wärmekissen: Schnelle Wärme aus Kristallen

Jeder Autofahrer weiß: Wenn man im Winter den Motor seines Wagens gestartet hat, dauert es sehr lange, bis die Heizung Wärme abgibt. Neuerdings verspricht die Auto-Industrie, dass sie eine Technologie entwickelt hat, mit der direkt nach dem Start der Innenraum des Autos aufgeheizt und die Scheiben enteist werden können. Das Stichwort heißt Latentwärmespeicher (lateo, lat. verborgen sein).

Bild 1: Kadett C (Danke an Sven Dittmann)

Wie funktioniert so ein Wärmekissen?
Man kann es kurz machen: Die Kristallisationswärme heizt das Kissen auf. Das sollte eigentlich schon zur Erklärung ausreichen. Denn wenn ich Kristalle schmelze, muss ich Energie zuführen. Und wenn die Schmelze wieder auskristallisiert, wird diese Wärme wieder frei. Aber wie auch im Leben ist alles etwas komplizierter.

Es sind viele physikalische sowie chemische Vorgänge bekannt, bei denen Energie bzw. Wärme gespeichert und rasch wieder freigesetzt wird. Für die technische Anwendung sind aber einige Bedingungen zu erfüllen: Wärmeaufnahme und Wärmeabgabe müssen leicht umkehrbar sein: In der Zeit des Energieüberflusses soll von den Substanzen Wärme aufgenommen werden. Diese verändern sich dabei so, dass sie die Wärme speichern. Bei Wärmenachfrage müssen die Stoffe die Wärme rasch wieder abgeben. Dabei dürfen sie nicht allzu sehr ihr Volumen ändern. Denn sonst könnten ja die Behälter, in denen sie aufbewahrt werden, platzen. Der aufgeheizte Körper soll die Wärme möglichst lange halten.


Das Phänomen
In Spezial-Geschäften für Camping- oder Sportbedarf werden Latentwärmekissen angeboten, die wie Akkumulatoren wieder aufgeladen werden können. Beim Aufladen wird ein fester kristalliner Körper "geschmolzen". Wir wollen jetzt schon sagen: Es ist eigentlich kein Schmelzen, sondern letztlich nur ein Lösungsvorgang. (Dazu später mehr.) Bleiben wir also bei der Bezeichnung "lösen".

Versuch 1: Untersuchung käuflicher Wärmekissen
Mache dich mit der Funktion eines gekauften Latentwärmekissens vertraut. Zum "Aufladen" bringst du die in einer Kunststofffolie luftdicht verpackte, feste Salz-Wasser-Mischung in heißem Wasser zum Lösen. Dann lässt du abkühlen. Du kannst nun die Packung mit der metastabilen Salzlösung in den Rucksack stecken. Im Bedarfsfall (wenn du z. B. bei einer Gebirgswanderung deine Hände aufwärmen willst) startest du die Kristallbildung und die damit verbundene Wärmefreigabe nach Betätigen eines in der Packung mit eingeschweißten Stahlclickers. Die Reaktionen laufen im Eiltempo ab, verbunden mit einer Temperatursteigerung um etwa 35 °C, die bemerkenswert lange anhält.

Bild 2: Wärmekissen-Reaktion, Links: Vor Nutzung; Mitte: Nach Einleiten der Kristallisation,
Rechts: Zum Schluss zur optimalen Wärmeabgabe durchkristallisiert und bereit zum Wiederaufladen
(Foto: Daggi)


Das Modellexperiment
Mit Natriumacetat-Trihydrat kannst du das Prinzip eines Latentwärmespeichers auch im Schullabor selbst nachvollziehen.

Versuch 2: Natriumacetat-Trihydrat-Lösung als Latentwärmespeicher
Hinweis: Du musst darauf achten, dass du frisches Salz verwendest. Denn das Trihydrat neigt wie viele andere Salzhydrate dazu, bei längerem Stehen sein Hydratwasser abzugeben. Dabei werden die zunächst glasigen Kristalle pulvrig weiß; man sagt, dass die Kristalle "verwittern".
Wundere dich außerdem nicht über die Mengenangaben: Dieses Salz löst sich in der Wärme nahezu unbegrenzt in Wasser.

In einen Weithals-Erlenmeyerkolben (500 ml) gibst du 50 ml Wasser. Stelle ein Thermometer hinein. Gib dann 500 g frisches Natriumacetat-Trihydrat (Xi) zu. Verschließe das Glas mit einem dicken Wattebausch. Zum Lösen kochst du die Salz/Wasser-Mischung kurz auf. Wenn alles Salz gelöst ist, lässt du auf etwa 20 °C abkühlen. Das Glas nicht anstoßen, damit der metastabile Zustand erhalten bleibt!

Zum "Anstoßen" rührst du die abgekühlte Lösung mit dem Thermometer um oder kratzt mit einem Metall- oder Glasstab von innen an der Glaswand. Schlagartig beginnt die Kristallisation; gleichzeitig beobachtest du einen starken Anstieg der Temperatur. Beachte, wie lange der Kristallkuchen seine Temperatur hält! Zeichne ein Temperatur/Zeit-Diagramm (-> Bild). Sollte die Kristallisation ausbleiben, gibst du einen Impfkristall von Natriumacetat-Trihydrat zu.

Die Mischung wird für weitere Versuche oder für Wiederholungen aufbewahrt. Dazu wird der Erlenmeyerkolben luftdicht verschlossen. Im Falle der häufigen Nutzung musst du ab und zu verdampfendes Wasser ersetzen. Aber nur sehr wenig Wasser zugeben! Wenn Wasser fehlt, erhältst du beim Abkühlen auf Zimmertemperatur keine übersättigte Lösung, da sofort Kristallbildung einsetzt.


Die Erklärung
Auch die Latentwärmespeicherkissen enthalten Natriumacetat-Trihydrat CH3COONa · 3 H2O. Dieses liegt im "geladenen Zustand" in einer übersättigten Lösung vor. Bei vorsichtiger Handhabung bleibt die Kristallisation des Salzes über einen weiten Temperaturbereich aus. Man kann den Zustand tagelang erhalten. Erst durch "Anstoßen" wird der Zustand gestört; das Natriumacetat-Trihydrat kristallisiert schlagartig aus und gibt die im System gespeicherte Wärme ("latente Wärme") frei. Diesen scheintoten Zustand nennt man "metastabil".

CH3COO¯ (aq.) + Na+ (aq.) ———> CH3COONa · 3 H2O (fest)     /exotherm

Die Natrium- und Acetat-Ionen bauen beim Abkühlen ab 58 °C zunächst nur das Ionengitter des wasserfreien Natriumacetats auf. Die Wassermoleküle vagabundieren weiterhin im Ionengitter herum. Bei sinkender Temperatur nehmen sie nach und nach ihre Plätze in den Zwischenräumen des Ionengitters ein. Dabei richten sich ihre Dipole räumlich exakt (vektoriell) aus, was zu einer Minimierung der potentiellen Energie, das heißt zur Wärmeabgabe führt. Die Wassermoleküle bilden quasi ein Molekülgitter im Ionengitter. Die Anzahl der Wassermoleküle pro Formeleinheit ist genau definiert. In unserem Beispiel sind es drei.

Das kann man auch umgekehrt sehen: Erwärmt man Natriumacetat-Trihydrat, so bricht erst sein Wassermolekülgitter zusammen und bildet freies Wasser. Man kann nun sagen: In diesem Wasser schmilzt das bis 58 °C stabile Natriumacetatgitter.

Ein Teil der bei diesem Vorgang freigesetzten Gesamtwärme ist die Lösungswärme bzw. Kristallisationswärme des wasserfreien Natriumacetats. Dies ist eine Form von latenter Wärme. Allerdings erklärt sie allein nicht die starke Wärmetönung der Kristallbildung. Für die kräftige und langanhaltende Erwärmung des Kissens sorgt vor allem die stark exotherme Bildung des Wassermolekül-Gitters. Die hierbei freiwerdende Energie entspricht somit der Bildungswärme des Natriumacetat-trihydrats aus wasserfreiem Natriumacetat.


Die genaue Untersuchung des Temperaturverlaufs bei Wärmekissen
Zum "Laden" des Wärmekissens erhitzt du das feste Salzhydrat so weit, dass es schmilzt. Dazu musst du es auf etwa 60 °C erwärmen.

Die Temperatur bleibt bei 58 °C stehen. Dabei bricht zunächst das Kristallwassergitter zusammen. Anschließend wird auch das Ionengitter "zerlegt". Man sagt auch gern "Der Kristall schmilzt in seinem Kristallwasser". Von Schmelzen sollte man hier nicht sprechen, es ist eher ein Lösen. Erst wenn alles verflüssigt ist, steigt die Temperatur weiter an. (Dies ist ein typisches Charakteristikum von latenter Wärme. Dieses Phänomen des Temperaturhaltepunkts kennst du von anderen Gleichgewichten wie bei den Aggregatzustandsänderungen. Z. B. verharrt das System Flüssiges Wasser/Eis so lange bei 0 °C, bis alles Eis geschmolzen ist.)

Bei einem Vorgang mit Freisetzung von latenter Wärme ändert sich also der Zustand des Systems, ohne dass sich dessen Temperatur ändert. Dies kannst du auch bei der Umwandlung von vollständig gelöstem Natriumacetat in sein festes Salzhydrat zeigen. Dabei darfst du es natürlich nicht (wie in Versuch 2 gezeigt) zu einem metastabilen Zustand kommen lassen. Deshalb musst du die Kristallisation vor Erreichen der Umwandlungstemperatur durch Kratzen mit einem Glasstab an der Glaswand anregen. Andernfalls gibst du einen Impfkristall hinzu.

Versuch 3: Demonstration der latenten Wärme bei der Umwandlung von Natriumacetat in sein Trihydrat

Bild 3: Beginnende Kristallisation des Natrium-Trihydrats.
Der Erlenmeyerkolben muss noch abgedeckt werden
(Foto: Daggi)

Bringe die Mischung aus Versuch 2 erneut zum Lösen, indem du sie auf etwa 70 °C erhitzt (Thermometer verwenden!). Dabei das Glas schwenken oder mit einem Glasstab solange rühren, bis die Kristalle restlos geschmolzen sind.
Dann gibst du einen Rührfisch und ein Thermometer hinein. Den Erlenmeyerkolben mit Alufolie gut abdecken. Die Bildung von Kristallen an der Glaswand stört nicht. Stelle den Erlenmeyerkolben auf ein Rührwerk und lies die Temperatur ab.
Ist die Temperatur bei etwa 65 °C angelangt, beginnst du, ab und zu mit einem Glasstab an der Innenwand des Kolbens zu reiben. Bei etwa 58 °C beobachtest du, dass die Mischung im Kratzbereich beginnt, trübe zu werden und zu kristallisieren. Nun brauchst du auch nicht mehr zu kratzen. Lies weiterhin alle 5 Minuten die Temperatur ab und zeichne ein Temperatur/Zeit-Diagramm (-> Bild).
Sollte die Kristallisation dennoch ausbleiben, so wirf einen Impfkristall von Natriumacetat-Trihydrat hinein.


Was bewirkt das Anstoßen der Kristallisation?
Es wird immer wieder nach dem Prinzip des "Anstoßens" gefragt. Welcher Effekt genau löst den Kristallisationsvorgang aus?
Es handelt sich bei der unterkühlten Lösung im "geladenen" Wärmekissen um ein metastabiles System, das auf einen Anstoß zum Reagieren wartet. Beim Reiben mit einem Glasstab erzeugt man Kratzstellen, die "aktive Stellen" sind und als Kristallisationskeime wirken. Diese können zum Beispiel Ionen binden, die erste Kristallstrukturen bilden, aus denen heraus das ungehemmte und lawinenartige Kristallwachstum einsetzt. Bei Glas kann es ein Ionenaustauschereffekt sein. Beim Durchschnappen des Knackfroschs bzw. durch Bewegen der Stahlklicker kann es an den Stellen, wo im Blech durch eine Stanze der Druckpunkt ("Knackpunkt") gesetzt wurde, ähnliche Phänomene geben. Denn das Biegen oder Schlagen von blankem Metall legt frische kristalline Oberflächen frei, die die Kristallisation des Salzes aus der übersättigten Umgebung auslösen können. Gleiches gilt auch bei Kunststoffplättchen, die in Wärmekissen ebenfalls verwendet werden. Denn diese weisen ebenfalls kristalline Bereiche auf.

Schallphänomene scheiden aus; die verdichtende Schallwelle beim Knacken oder Kratzen stößt die Kristallisation nicht an. Auch im hochfrequenten Ultraschallbad wird das Wärmekissen nicht aktiviert.


Richtiges Wieder-Aufladen erhöht die Lebensdauer des Wärmekissens
Zum Wieder-Aufladen des Wärmekissens wird empfohlen, es so lange in kochendes Wasser zu legen, bis das Salz geschmolzen ist. Darunter leidet die Kunststoffumhüllung. Wie wir gesehen haben, schmilzt das Salz bereits bei 58 °C. Erhitzen auf 60-70 °C reicht deswegen völlig aus und verlängert außerdem die Lebensdauer des Kissens.
Auf keinen Fall aber sollte man Wärmekissen in der Mikrowelle erhitzen. Die Wärmekissen können dabei platzen.

Und wenn es doch einmal passiert, so ist das kein Malheur. Denn Natriumacetat ist kein gesundheitsschädlicher Stoff. Es ist zudem gut wasserlöslich und kann bedenkenlos weggespült werden.


Glaubersalz als mögliches Latentwärme-System
Ein anderes Salz, mit dem du diese Effekte gut zeigen kannst, ist das Natriumsulfat. Es liegt im Glaubersalz als Dekahydrat mit der Zusammensetzung Na2SO4 · 10 H2O vor. Glaubersalz schmilzt bereits bei 32,5 °C in seinem Kristallwasser. Mit ihm kannst du prinzipiell die gleichen Versuche durchführen wie mit dem Natriumacetat. Nur ist die Wärmeausbeute wegen des niedrigeren "Schmelzpunktes" geringer.
Wasserfreies Natriumsulfat dient in der organischen Chemie als Trocknungsmittel für Lösemittel. Außerdem hilft es bei chemischen Reaktionen, bei denen Wasser entsteht, das aus dem Gleichgewicht entfernt werden muss. Jetzt kannst du auch erklären, was in jedem Chemiebuch für Praktiker steht: Man kann mit Natriumsulfat keine über 32,5 °C heißen Lösungen trocknen.


Technische Realisierung in der Autoheizung
Als besonders geeignet für technische Anwendungen im Auto erwies sich ein Latentwärmespeicher auf der Basis einer Mischung von Magnesiumnitrat-Hexahydrat Mg(NO3)2 · 6 H2O mit Lithiumnitrat LiNO3. (Der Zusatz von Lithiumnitrat ist nur notwendig, um eine homogene Lösung zu erhalten.) Diese Salzmischung schmilzt zwischen 70 und 80 °C. Die Wärmedichte der Salzmischung beträgt 182 J/cm3! Das reicht aus, um nach "Anstoßen" der metastabilen Mischung Innenraum sowie Frontscheibe und je nach Größe der Anlage manchmal sogar noch den Motor aufzuheizen.


Zum Schluss noch eine Anfrage: Die Wärmespeicher der Bundeswehr
Frage: Ein Schüler hat mir heute ein Wärmekissen der Bundeswehr mitgebracht. Das funktioniert nicht mit Natriumacetat, sondern ist aus Stoff und mit einem dunklen Pulver gefüllt. Man gibt 2-4 Esslöffel Wasser durch eine Ecke hinein, und das Kissen wird 8 h warm. Und dieser Vorgang kann beliebig oft wiederholt werden. Das Einzige, was man zur Regeneration machen muss, ist das verklumpte Pulver ab und zu mit einem Hammer wieder zu verfeinern. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wo die Wärme bei der wiederholten Anwendung herkommen soll.

Antwort: Schauen Sie in unseren neuen Tipp des Monats März 2005. Da wird berichtet, was sich hinter dem Wärmekissen der Bundeswehr verbirgt - mit Experimenten!
Dann werden Sie auch merken, dass Ihr Satz "Und dieser Vorgang kann beliebig oft wiederholt werden" nicht gilt - schließlich ist das Bundeswehr-Wärmekissen kein Perpetuum mobile, sondern arbeitet auf der Grundlage einer chemischen Reaktion, bei der ein Stoff verbraucht wird.


Rüdiger Blume


Weitere Tipps des Monats


Literatur:
R. Blume und Koll.: Chemie für die Regelschule Thüringen Klasse 9/10, Cornelsen-Verlag, Berlin, voraussichtlich 1999


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Letzte Überarbeitung: 27. März 2014, Dagmar Wiechoczek