Prof. Blumes Tipp des Monats März 2002 (Tipp-Nr. 57)
Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis
unbedingt beachten.
Chemie mit Acetylen (Ethin)
Auf Acetylen beruhte einst fast die gesamte organische Chemie der DDR. Irgendwie
scheint für diese Verbindung der "Lack ab zu sein", da man sich nach der Wende
ausschließlich auf petrochemische Edukte gestürzt hat und mit den Umweltschäden
(Staubemissionen und Abwasserproblemen) auch gleich die Acetylenchemie mit
"entsorgt" hat.
Acetylen oder besser Ethin ist immer noch ein faszinierender Stoff. Deshalb wollen wir
heute ein wenig damit experimentieren.
Man stellt es her, indem man Calciumcarbid mit Wasser in Kontakt bringt. Statt
Wasser nehmen manche auch gern Natriumchloridlösung, da sich das Gas darin
weniger löst.
Zur Handelsform von Calciumcarbid sei gesagt, dass das im Allgemeinen mit einem
feinpulvrigen silicatischen Trocknungsmittel verkauft wird. Das sollte man natürlich
nicht nehmen, sondern die darin verborgenen steinartigen Carbidbröckchen... Das hat
schon mancher unerfahrener Referendar zu seinem Leidwesen erfahren müssen.
Mit diesem Tipp wollen wir auch beginnen, mehr auf Themen aus der organischen
Chemie einzugehen.
Bild 1: Apparatur zum Herstellen von Ethin
(Foto: Daggi)
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Versuch 1: Herstellung von Ethin
Keine offenen Flammen, gut lüften!
In einer Gasentwicklungsapparatur wird aus einem Tropftrichter vorsichtig Wasser auf
Calciumcarbid (F) gegeben. Die Wassermenge regelt man nach der Gasbildung. Nicht
zuviel Wasser auf einmal zugeben, da sich das System so stark erhitzen kann, dass
es sich selbst entzündet.
Wir fangen das Gas in vier nummerierten Glaszylindern auf und verschließen diese
mit plangeschliffenen Glasdeckeln.
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Die Gleichung der exothermen Bildungsreaktion ist:

Das gilt nicht für alle Carbide; so reagiert Aluminiumcarbid Al4C3 unter Bildung von
Methan. Das liegt daran, dass die Kristallgitter des Calciumcarbids bereits von
vornherein C22--Ionen enthalten, während im Gitter des Aluminiumcarbids einzelne
C4--Inseln zu finden sind.
Übrigens riecht wirklich reines Acetylen etwas aromatisch-süßlich. Der typische
"Carbidgeruch" dagegen stammt von Phosphinen, also
Phosphorwasserstoffverbindungen wie PH3. Diese sind auch der Grund für leichte
Selbstentzündung des Gases bei seiner Herstellung. (Man kennt sie als Flämmchen im
Sumpfgas, die zur Legende von den Moorgeistern beigetragen haben.) Phosphine
stammen aus der Reaktion von Wasser mit Calciumphosphid. Letzteres wiederum entsteht durch
Reduktion aus Phosphat, das als Verunreinigung in den Rohstoffen für die Carbidherstellung,
Kalk und Kohle, enthalten ist.
Zunächst untersuchen wir das Brennverhalten von Ethin. Schließlich dient es ja als
Brennstoff beim Betrieb eines Schweißbrenners.
Versuch 2: Brennprobe mit Acetylen
Auf keinen Fall den ersten Zylinder nehmen, denn er kann Acetylen-Knallgas
enthalten!
Wir entzünden ein Stöckchen, öffnen den Deckel des Glaszylinders und halten die
Flamme an das Gas. Es entzündet sich und verbrennt unter starkem Rußen.
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Bild 2: Abbrennen von Acetylen
(Foto: Daggi)
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Diese Probe zeigt nicht gerade, dass Ethin mit heißer Flamme verbrennt. Das kann
man mit Acetylen-Knallgas zeigen. Die Mischung Ethin/Sauerstoff übertrifft die des
Wasserstoff-Knallgases bei weitem... Unser Versuch zeigt aber, warum man Ethin unter
anderem auch gezielt zur Rußgewinnung verbrannt hat. Denn die Rußentwicklung ist
erstaunlich.
Von Interesse sind auch die Additionsreaktionen von Ethin.
Versuch 3: Addition von Brom an Ethin
In den dritten Zylinder geben wir Bromwasser und verschließen wieder. Dabei achten
wir darauf, dass nur wenig verdünntes Bromwasser zugegeben wird. Dann schütteln
wir gut.
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Es wird nur wenig Brom addiert. Das verwundert, da aufgrund der Dreifachbindung
ein starker Bromverbrauch zu erwarten ist. Die geringe Neigung zur Addition liegt
daran, dass die C-Atome im Acetylen stärker elektronegativ sind als im Ethen und
deshalb ihre Elektronen nicht so gern an elektrophile Substanzen wie das den Angriff
einleitende Bromkation Br+ abgeben. Man kann auch sagen, dass das an der
energetisch besonders günstigen Ladungsverteilung der Elektronen der
Dreifachbindung liegt. Denn die sind rotationssymmetrisch angeordnet.
Dagegen verläuft die Reaktion zwischen Ethin und Chlor spektakulärer.
Versuch 4: Reaktion zwischen Ethin und Chlor
Man gibt in ein Becherglas (50 ml) einige Bröckchen Calciumcarbid (F), etwa die gleiche
Menge an Kaliumpermanganat (O) und übergießt mit 10 ml konzentrierter Salzsäure (C).
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Aus Kaliumpermanganat und Salzsäure bildet sich Chlor in radikalischer Form, das mit
dem gleichzeitig entstehenden Ethin reagiert.
KMnO4 + 8 HCl > KCl + MnCl2
+ 5/2 Cl2 + 4 H2O
Das entweichende Gasgemisch entzündet sich immer wieder von selbst unter Bildung stark rußender
Flammen.

Bild 3: Reaktion zwischen Ethin und Chlor. Die Bilder wurden
im Abstand von 3 Sekunden gemacht
(Foto: Daggi)
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Acetylen reagiert auch mit sodaalkalischer Kaliumpermanganat-Lösung (Baeyer-Probe).
Versuch 5: Baeyer-Probe mit Ethin
In den dritten Zylinder gibt man sodaalkalische Kaliumpermanganat-Lösung (w(KMnO4) = 0,1 %). Anders
als bei der Addition von Brom reagiert die Mischung erstaunlich rasch.
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Hier gibt es nicht so sehr eine Addition, sondern eine echte Redoxreaktion. Acetylen
ist nämlich ein gutes Reduktionsmittel. Seine diesbezügliche Oxidationsgleichung ist
C22- > 2 C + 2 e-
Bild 4: Reaktion von Ethin mit dem Baeyer-Reagenz
(Foto: Daggi)
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Als Oxidationsmittel sollten auch Silber-Ionen wirken. Hierbei entsteht neben
metallischem Silber und Kohlenstoff auch eine Silber-Kohlenstoffverbindung,
Silbercarbid oder besser: Silberacetylid Ag2C2. Der
Name sagt schon, dass es sich hierbei um ein Salz handelt. Da dieses im
trockenen Zustand sehr explosiv ist, müssen wir beim Umgang damit einiges beachten.
Versuch 6: Ethin reagiert mit Silber-Ionen
Wir leiten etwas Gas aus der Apparatur in ein topsauberes Reagenzglas, das 10 ml
ammoniakalische Silbernitratlösung (w(AgNO3) = 1 %) enthält. Es bildet sich zunächst ein
weißer Niederschlag, der sich bald grau einfärbt. Außerdem erkennen wir an der
Glaswand die Bildung eines Silberspiegels.
Der Festkörper wird abfiltriert. Dabei achten wir darauf, dass nicht zuviel Substanz in
eine Filtertüte gelangt. Die Substanz spülen wir außerdem in der Mitte der Filtertüte
zusammen. Die Tüte nehmen wir nicht auseinander, sondern legen sie gefaltet zum
Trocknen in den Abzug. Warnhinweis anbringen: Vorsichtig, explosiv,
Silberacetylid.
Wichtig: Rückstände im Glas werden nach dem Filtrieren mit halbkonzentrierter
Salzsäure behandelt. Damit werden Reste des Silberacetylids zerstört.
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Ethin ist eine Säure mit allerdings nur sehr schwach ausgeprägten sauren
Eigenschaften.

Das zeigt sich schon in der Bildungsreaktion von Ethin aus Calciumcarbid und Wasser!
Denn die beruht ja nur darauf, dass das Salz einer schwachen und zugleich flüchtigen Säure
(Ethin) durch eine stärkere Säure (hier Wasser) ausgetrieben wird. Diese Protolysereaktion
führt dann auch zu der alkalischen Reaktion der Lösung.
Versuch 7: Alkalische Reaktion der Carbid/Wasser-Mischung
Nach der Herstellung des Gases prüft man die Reaktionslösung mit einem pH-Papier.
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Das Silberacetylid bildet sich nur aufgrund des stark alkalischen Milieus und weil es außerdem
ein schwerlösliches Salz ist.
Dieses Salz hat es in sich. Es gehört zu den Initialzündern. Ähnlich wie
Silberazid kann es, wenn es richtig trocken ist,
durch Schlag gezündet werden. Es ist dann sogar so empfindlich, dass man zerstreutes
Acetylid auch mit einem Handfeger zünden kann. Lustig ist es, wenn man Reste auf dem Boden
ausstreut. Dann knistert es, wenn die Reinemachekräfte mit dem Besen
darüberfegen...
Warum explodiert es überhaupt? Denn Calciumcarbid oder Aluminiumcarbid sind
unempfindlich und können auch durch starkes Erhitzen nicht zur Explosion überredet
werden. Der Grund liegt in der katalytischen Wirkung von Schwermetall-Ionen.
Deshalb gibt es auch den gleichen Effekt mit Kupfer- oder Bleiacetylid.
Übrigens darf man nicht zuviel von Schwermetallacetylid herstellen und auch nichts
aufbewahren. Also: Mengen über 1 g sind tabu. Denn dann kommt man mit dem
Sprengstoffgesetz in Konflikt.
Rüdiger Blume
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Letzte Überarbeitung: 09. Februar 2011, Dagmar Wiechoczek
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