Die Wöhlersche Harnstoffsynthese 1828 und die
Formulierung des Schlüssel-Schloss-Prinzips durch Emil
Fischer 1904 waren Marksteine der Chemiegeschichte. Warum
solltet ihr nicht mal beide in einer kleinen Unterrichtseinheit miteinander verbinden?
Und dabei bedient ihr euch eines modernen Verfahrens, der
Enzymdiagnostik.
Wöhlers klassischer Versuch ist also keineswegs ein alter Hut.
Wöhler stellte Harnstoff aus dem isomeren Ammoniumcyanat her:

Mit diesem Versuch riss er bekanntlich die Mauern zwischen der organischen Chemie
(damals ausschließlich Biochemie) und der anorganischen Chemie ein. Zu dieser
Entdeckung gibt es einen erfrischend-deftigen Schriftwechsel
zwischen Wöhler und seinem Mentor Berzelius, den zu lesen sich unbedingt lohnt.
Die Identifizierung des so hergestellten Harnstoffs in der Reaktionsmischung macht im
Schullabor Schwierigkeiten: Normalerweise müsstest du den Harnstoff aus der
Reaktionsmischung mit absolutem (d.h. wasserfreiem) Ethanol isolieren. Dann
bestimmst du den Schmelzpunkt (132 °C) oder machst dazu noch die Biuretprobe
(s. u.). Das ist alles sehr aufwendig und im Schullabor sowie in der kurzen Zeit einer
Schulstunde kaum machbar. Vor allem ist die Konzentration an Harnstoff oftmals
einfach zu gering, z. B. wenn du die Ausgangsmischung zu stark erhitzt hast.
Glücklicherweise gibt es aber die Urease, ein hochspezifisches Enzym, das nur mit
Harnstoff und sonst keinem anderen Molekül reagiert.
OC(NH2)2 + H2O >
CO2 + 2 NH3 /exotherm
Das kannst du durch Vergleich mit ähnlichen gebauten Molekülen wie dem
Thioharnstoff zeigen (s. u.). Harnstoff und Urease passen also zusammen wie
Schlüssel und Schloss. Wenn das Enzym mit der nach Wöhler hergestellten
Reaktionsmischung reagiert, ist dies ein hundertprozentiger Beweis dafür, dass darin
Harnstoff vorliegt. Bei diesem Verfahren lernst du somit auch das Grundprinzip von
Enzymtests kennen.
(Wenn du etwas Genaueres über die Urease wissen willst, klicke hier:
Urease für Experten.)
Am besten gehst du die folgenden Texte und Versuche der Reihe nach durch.
Die Wöhlersche Harnstoffsynthese
Friedrich Wöhler ging bei seiner Synthese von Ammoniumcyanat NH4OCN aus.
Dies kann man nicht kaufen, wohl aber Kaliumcyanat KOCN. Mische deshalb
Ammoniumchlorid mit Kaliumcyanat, um die Reaktionsmischung zu erhalten.
Versuch 1: Harnstoffsynthese nach Wöhler
Schülerversuch, 5 min.
Geräte
Bunsenbrenner, Dreifuß, Keramikdrahtnetz, Porzellanschale (Durchmesser etwa 10
cm), Becherglas (50 ml), Reagenzgläser, Waage.
Chemikalien
Kaliumcyanat (Xn), Ammoniumchlorid (Xi), destilliertes Wasser.
Durchführung (Schutzbrille)
Hinweis: Bei dem folgenden Versuch darfst du die Mischung nicht völlig zur Trockne
eindampfen, da sich sonst anstelle von Harnstoff ausschließlich Biuret bildet!
Löse in dem kleinen Becherglas 1,5 g Kaliumcyanat und 1 g Ammoniumchlorid in 10
ml destilliertem Wasser. Die Lösung gibst du in das Porzellanschälchen und dampfst
sie langsam ein. Achtung, zum Schluss (kurz vor der Trockne) fängt die Mischung an zu
spritzen, deshalb Schutzbrille tragen. Wenn die Mischung anfängt zu spritzen,
stellst du den Brenner zur Seite und rührst den Kristallbrei noch etwas
um. Die Masse darf nicht völlig trocken werden! Lasse danach abkühlen.
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Die zwei Möglichkeiten zum Harnstoffnachweis
1 Die Biuretreaktion
Zunächst wird der klassische Nachweis auf Harnstoff, die Biuretprobe, durchgeführt.
Biuret bildet sich aus zwei Harnstoffmolekülen unter Ammoniakabspaltung:

Biuret stellt man normalerweise durch Erwärmen von Harnstoff her. Unter den
Bedingungen der Wöhlerschen Harnstoffsynthese hat sich davon genügend
gebildet.
Bei der Nachweisreaktion handelt es sich um eine Komplexbildung mit Kupfer-Ionen.
(Da Biuret eine gewisse Ähnlichkeit mit der Peptidbindung in Proteinen aufweist, gilt
die Biuretprobe auch als Nachweis für lösliche Proteine.)
Bei dem folgenden Versuch wird auf den Zusatz von stabilisierenden Komplexbildnern
wie Seignettesalz verzichtet. Es reicht aus, mit Kupfersulfatlösungen zu arbeiten.
Versuch 2: Vereinfachte Biuretprobe
Schülerversuch, 5 min.
Geräte
Reagenzgläser, Tropfpipetten.
Chemikalien
Wöhlersche Produktmischung aus Versuch 1, Natronlauge (w = 10 %) (C), Kupfersulfatlösung (c =
0,5 mol/l) (Xn).
Durchführung
Gib einen Spatel voll von der Reaktionsmischung aus der Wöhlerschen
Harnstoffsynthese in ein Reagenzglas und löse die Masse in etwa 5 ml destilliertem
Wasser. Dann gibst du 1 ml Natronlauge zu und vermischst gut. Tropfe nun etwas
Kupfersulfatlösung zu und vermische jedesmal gut. Eine violette Färbung weist auf das
Vorliegen von Biuret hin.
Hast du zuviel Kupfersulfatlösung zugegeben, bildet sich Kupferhydroxid. Lass dann
etwas stehen, damit der Niederschlag sedimentiert. Die klare Lösung zeigt die typische
purpurne Farbe des Biuret-Kupfer-Komplexes.
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2 Enzymtest mit Urease
Die Urease ist ein Enzym, die Harnstoff hydrolysiert. Dabei entsteht neben
Kohlenstoffdioxid Ammoniak, das in Lösung Hydroxid-Ionen bildet. Die zunehmende
Alkalinität der Lösung dient als Hinweis für die "Tätigkeit" der Urease.
Dass der Harnstoff das ausschließliche Substrat der Urease ist, zeigt der
Vergleich mit dem N,N-Dimethylharnstoff. Mit diesem reagiert die Urease nicht. (Bis vor kurzem
nahm man hierzu Thioharnstoff. Das Experimentieren hiermit ist neuerdings für Schüler
verboten.)

Man sagt, dass die Urease eine große Enzymspezifität aufweist. Damit kann die
Urease zum Enzymtest herangezogen werden. Mit ihr gelingt auch der Nachweis
geringster Konzentrationen an Harnstoff.
Versuch 3: Demonstration der Substratspezifität der Urease
Schülerversuch, 5 min.
Geräte
Reagenzgläser, Tropfpipetten, Spatel.
Chemikalien
Je eine Lösung (w = 1 %) von Harnstoff und von N,N-Dimethylharnstoff, alkoholische
Phenolphthaleinlösung (w = 1 %) (F), Urease.
Durchführung
In je ein Reagenzglas füllst du etwa 5 ml Harnstoff- bzw. N,N-Dimethylharnstofflösung. Dazu
gibst du 1 bis 2 Tropfen Phenolphthaleinlösung. Sollte die Harnstofflösung sich jetzt
schon rot färben, ist der Harnstoff verdorben. Dann musst du frischen Harnstoff
verwenden.
Schlämme in 2 Reagenzgläsern je eine Spatelspitze Ureasepulver in destilliertem
Wasser auf.
Gieße dann die Harnstoff- bzw. N,N-Dimethylharnstofflösung in je ein Reagenzglas mit
Ureaseaufschlämmung, vermische gut und lasse stehen.
Ergebnis
Die Urease reagiert nur mit Harnstoff.
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Mit dem Wissen um die Substratspezifität der Urease machen wir nun den Enzymtest auf Harnstoff.
Versuch 4: Enzymatischer Nachweis von Harnstoff in der Wöhlerschen
Produktmischung
Schülerversuch, 5 min.
Geräte
Reagenzgläser, Tropfpipetten, Spatel.
Chemikalien
Wöhlersche Produktmischung aus Versuch 1, alkoholische Phenolphthaleinlösung (w = 1 %) (F),
Urease, Indikatorpapier.
Durchführung
Wichtig: Vor dem Versuch musst du dich mit einer 1%igen Harnstofflösung
davon überzeugen, ob die Urease überhaupt "funktioniert".
In ein Reagenzglas füllst du etwa 5 ml Lösung aus Versuch 1. Dazu
gibst du 1 bis 2 Tropfen Phenolphthaleinlösung. Neutralisiere die Lösung gegebenenfalls mit
etwas Salzsäure (Indikatorpapier verwenden!).
Schlämme in einem Reagenzglas eine Spatelspitze Ureasepulver in destilliertem
Wasser auf.
Gieße dann die neutralisierte Reaktionslösung in das Reagenzglas mit
Ureaseaufschlämmung, vermische gut und lasse stehen.
Ergebnis
Nach kurzer Zeit beginnt die Lösung sich zu röten.
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Das Bildungsgleichgewicht des Harnstoffs aus Ammoniumcyanat
In seinem Brief an Berzelius vermutet Wöhler, dass es gar
keinen Unterschied zwischen cyansaurem Ammonium (NH4OCN) und Harnstoff gibt. In
gewisser Weise lag er damit ganz richtig:
Grundlage der Wöhlerschen Synthese ist nämlich die Tatsache, dass sich in
Lösungen, in denen Ammonium- und Cyanat-Ionen vorliegen, ein Gleichgewicht ausbildet:

Dieses Gleichgewicht verschob Wöhler bei seiner Synthese in Richtung auf die
Harnstoffbildung, indem er die Gleichgewichtsmischung erwärmte. (Hier wendete
Wöhler vorausgreifend das Prinzip von Henry Louis Le Chatelier
an, das dieser in der allgemein bekannten Form allerdings erst 1884 formulierte.) Da die
Rückbildung gehemmt ist, bleibt Harnstoff nach dem Erwärmen erhalten.
Mit Hilfe des Enzymtests kannst du nachweisen, dass schon bei Zimmertemperatur
Harnstoff in merklichen Konzentrationen in Ammoniumcyanatlösungen vorhanden ist
bzw. sich ständig nachbildet.
Versuch 5: Nutzung des Enzymtests zur Gleichgewichtsanalyse
Schülerversuch, 10 min.
Geräte
Becherglas (25 ml), Reagenzgläser, Tropfpipetten.
Chemikalien
Kaliumcyanat (Xn), Ammoniumchlorid (Xi), dest. Wasser, alkoholische
Phenolphthaleinlösung (w = 1 %) (F), Urease.
Durchführung (Schutzbrille)
Löse in dem kleinen Becherglas 1,5 g Kaliumcyanat und 1 g Ammoniumchlorid in 10
ml destilliertem Wasser. Dazu gibst du 1 bis 2 Tropfen Phenolphthaleinlösung.
Schlämme in einem Reagenzglas eine Spatelspitze Ureasepulver in destilliertem
Wasser auf.
Gieße dann die Salzlösung in das Reagenzglas mit Ureaseaufschlämmung,
vermische gut und lasse stehen.
Du solltest den Versuch auch bei höheren Temperaturen im Wasserbad ablaufen lassen.
Ergebnis
Die Lösung färbt sich langsam schwach rot. Bei höherer Temperatur tritt
die Rötung der Lösung rascher ein und ist außerdem intensiver.
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Rüdiger Blume
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