Atemkalk – Chemie im Rettungsgerät und beim Tauchen! Jens Schorn
Menschen mit eingeschränkter Lungenfunktion oder nach einem Tauchunfall, sogenannten Dekompressionsunfällen oder Lungenüberdruckunfällen, sind auf eine Sauerstoffversorgung über ein Beatmungsgerät angewiesen. Das benötigte Atemgas wird dem Patienten oder Verunglücktem dann aus einer Druckflasche mit medizinischem Sauerstoff zur Verfügung gestellt. Gegenüber medizinischem Sauerstoff wird sogenannter technischer Sauerstoff (z.B. zum Schweißen oder in der Lebensmitteltechnik) in Flaschen mit blauem Mantel verwendet. Der Inhalt der Flaschen ist gleich. Lediglich der Einsatz unterscheidet sich. Klick mich an! Bild 1: Medizinischer Sauerstoff (oben quer) in einem Sauerstoff-Notfallkoffer WS 100 der Firma EMS GmbH
Erstaunlicherweise findet man in einem solchen Koffer neben der Quelle für den Sauerstoff in der Gasflasche noch einen Kunststoffbehälter mit einem weißen Granulat, sogenanntem Atemkalk. Klick mich an! Bild 2: Kartusche mit Atemkalk aus einem Sauerstoff-Notfallkoffer der Firma EMS GmbH
Wozu dient dieser Atemkalk?
Klick mich an! Bild 3: Schema des Kreislaufsystems mit Atemkalkkartusche in der Mitte mit den farbigen Markierungen
Bei der Anwendung des Geräts wird der Sauerstoff aus der Gasflasche (links) in den Kreislauf eingeleitet und dem Patienten zugeführt. Durch die Atmung wird in der Lunge des Patienten der Sauerstoff gegen Kohlenstoffdioxid ausgetauscht und beim Ausatmen in den Ausatembeutel, eine sogenannte Gegenlunge (rechts in der Abbildung), geblasen. Beim nächsten Atemzug des Patienten wird nun das ausgeatmete Gasvolumen aus dem Ausatembeutel über die Atemkalkkartusche (unten zwischen den beiden Hauptschläuchen liegend) wieder im Kreislauf mit neuem Sauerstoff ergänzt und dem Patienten erneut zugeführt. Damit beim Einatmen in einem solchen Notfallkoffer kein Kohlenstoffdioxid eingeatmet wird, muss das Kohlenstoffdioxid aus dem Ausatemgas entfernt werden. Der ausgeatmete Wasserdampf wird bis zu einem gewissen Anteil in der Kartusche gebunden. Der verbrauchte Sauerstoff wird über einen Druckregler entsprechend nachdosiert und ergänzt. Kohlenstoffdioxid wird durch den Atemkalk, der aus Natriumhydroxid (NaOH), Calciumhydroxid (Ca(OH)2) und einer gewissen Restfeuchtigkeit (Wasser) besteht, in den folgenden drei Schritten chemisch gebunden. Durch algebraische Addition der Gleichungen (1) bis (3) erhält man die Gleichung für die Gesamtreaktion: Das entstehende Kohlenstoffdioxid bildet zusammen mit der Restfeuchtigkeit (Wasser) des Atemkalks Kohlensäure (1). Anschließend entstehen aus Kohlensäure und Natriumhydroxid Natriumcarbonat und Wasser (2). Zum Schluss bildet Natriumcarbonat mit Calciumhydroxid, dem Hauptbestandteil des Atemkalks, die Produkte Calciumcarbonat und Natriumhydroxid (3). Sowohl Natriumhydroxid wie auch Wasser müssen im Atemkalk nur in geringen Mengen vorhanden sein, da sie in den Gleichungen (3) bzw. (2) als Produkte hervorgehen und dann wieder als Edukte in Gleichung (2) und (1) verwendet werden. Das Gasgemisch für den nächsten Atemzug ist auf diese Weise vom Kohlenstoffdioxid befreit. Das Gas wird also vom Atemkalk absorbiert. Man spricht von Chemisorption. Die Reaktionen (1) und (2) sind exotherm, während die 3. Reaktion endotherm ist. Die Gesamtreaktion (4) ist deshalb exotherm. Anhand eines einfachen Experiments mit käuflichem Atemkalk kann man diesen Vorgang nachvollziehen. Hierbei kann man die Temperaturzunahme der insgesamt exotherm ablaufenden Reaktionen messen. Außerdem kann man dabei beobachten, wie das Kohlenstoffdioxidgas im Laufe der Zeit gebunden wird. Versuch 1: Reaktion von Atemkalk mit Kohlenstoffdioxid 10 ml käuflichen Atemkalk (Bezugsquelle: UNlimited-world trade union GmbH) füllt man in eine Einwegspritze ohne Kolben. Über das eine Spritzenende stülpt man einen Ballon, der mit ca. 1 l Kohlenstoffdioxid gefüllt ist und einer Schlauchklemme verschlossen ist. Das hintere Ende der Spritze wird mit einem weiteren Luftballon verschlossen. Klick mich an! Bild 4: Experiment 1
Nun entfernt man die Schlauchklemme. Das Gas strömt sofort in den leeren Ballon und strömt durch Pumpbewegungen des kleineren Ballons immer wieder über den Atemkalk. Klick mich an! Video: Experiment 1
Man beobachtet folgende Dinge:
Klick mich an! Bild 5: Endvolumen Experiment 1. Mit Bild 4 vergleichen
Klick mich an! Bild 6: Temperaturmessung des Atemkalks
Klick mich an! Bild 7: Kondensatbildung und Verfärbung des Atemkalks
Erklärung:
Die Inhaltsangaben auf dem Atemkalk geben den Hinweis, dass es sich bei dem Indikator um Ethylviolett handelt [4]. Klick mich an! Bild 8: Inhaltsangaben des Atemkalks
Der Indikator wird dem Atemkalk beigemischt, um eine grobe Einschätzung über die verbleibende Aufnahmekapazität des Atemkalks treffen zu können. Eine solch grobe Einschätzung ist für die Anwendung im Tauchsport nicht hinreichend, da man hier genau wissen muss, ab welchem Moment kein Kohlenstoffdioxid gebunden wird. Wie funktioniert ein Kreislauftauchgerät mit Atemkalk?
Kaliumhyperoxid reagiert mit Kohlenstoffdioxid und Wasserdampf unter Bildung von Kaliumhydrogencarbonat und Sauerstoff. Im Gegensatz zu offenen Drucktauchgeräten (DTG) [1], bei denen das vollständige Gasgemisch aus einer Druckgasflasche entnommen wird, liegt der große Vorteil dieser geschlossenen Kreislaufgeräte darin, dass nur der verbrauchte Sauerstoff ergänzt werden muss. Der Hauptteil der Gasmischung zirkuliert und wird wieder eingeatmet. Wichtig ist ja stets der gleichbleibende Partialdruck des Sauerstoffs von 0,21 bar in dem Atemgasgemisch, das eingeatmet wird. Diese Technologie wird übrigens auch für die Belüftung von U-Booten eingesetzt. Dem geneigten Taucher stellt sich damit die Frage, wie lange er mit einem solchen Kreislaufatemgerät tauchen kann. Oder chemisch gefragt: Wie viel Kohlenstoffdioxid kann gebunden werden und wie kann man messen, ob der Atemkalk noch verwendet werden kann?
Hierzu eine kleine Rechnung:
Das kann man in einem einfachen Experiment leicht nachprüfen.
Woran liegt das?
Klick mich an! Bild 12: Atemkalk vergrößert. Durchmesser der Kügelchen 2,5-3 mm
Die Oberfläche spielt bei der Absorption von CO2 eine entscheidende Rolle. Zerkleinert man den Atemkalk in einem Mörser, so lassen sich in dem Experiment größere Mengen an Kohlenstoffdioxid absorbieren. Läge der Atemkalk aber als Pulver vor, so würde das Atemgas nicht schnell genug durch den Kalk hindurch gelangen und der Atemfluss im Kreislaufatemgerät wäre gestört oder sogar blockiert. Also ist die Messung der Massendifferenz zur Einschätzung der Absorptionskapazität nicht gut geeignet. Außerdem kommt noch hinzu, dass unsere Ausatemluft erhebliche Menge an Wasserdampf enthält, der durch den Atemkalk ebenfalls gebunden wird und zu einer verfälschenden Massenzunahme führen würde. Das ist für einen sicheren Tauchgang nicht nützlich. Laut Angaben gängiger Atemkalkhersteller absorbiert 1 kg Atemkalk 120 Liter CO2. Die Dauer eines Tauchgangs bei dem in einem Kreislaufatemgerät 2 kg Atemkalk verwendet werden, hängt dann vom Atemminutenvolumen und dem Belastungszustand während des Tauchgangs ab [1]. Ausatemluft enthält zwischen 4,3-5,7 Vol-% Kohlenstoffdioxid. Bei einem normalen Atemminutenvolumen von 20 l/min würden 940-1140 ml CO2 entstehen, also ca. 1 l/min. Damit sind Tauchgänge bis zu 240 Minuten möglich, was der Praxis entspricht. Wie wird die Kapazität von Atemkalk nun in der Tauchpraxis eingeschätzt?
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