Prof. Blumes Bildungsserver für Chemie
Tipp des Monats März 2022 (Tipp-Nr. 297)
Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis
unbedingt beachten.
Silber oder Gold – Die zwei Seiten einer Rettungsdecke
Dennis Dietz und Sabine Streller
Die zwei Seiten einer Rettungsdecke verführen immer wieder zu Diskussionen über die „richtige“ Seite. So geschehen auf einer Wanderung in den Vogesen als das korrekte Verhalten bei Erste-Hilfe-Maßnahmen diskutiert wurde. Einhellige Meinung war zunächst, dass bei niedrigen Temperaturen unbedingt die goldene Seite nach außen zeigen müsse. Oder doch die silberne – denn müsste nicht die goldene zur Person zeigen, die nicht auskühlen soll? Aber in der Gebrauchsanweisung (Bild 1) steht doch, dass im Schnee die goldene Seite außen sein muss. Aber was denn nun – oder ist es gar egal?
Bild 1: Gebrauchsanweisung auf der Verpackung für eine Rettungsdecke
(Foto: Streller)
Die Rettungsdecke ist ein bedeutsamer Bestandteil von Verbandskästen
Verbandskästen sind sowohl in Betrieben als auch in Kraftfahrzeugen verpflichtend. Was sich in den Verbandskästen befinden muss, ist in Deutschland in den Normen DIN 13157 und DIN 13169 für den betrieblichen Einsatz und in der DIN 13164 für Kraftfahrzeuge geregelt[1]. Ein wesentlicher Bestandteil von Verbandskästen sind Rettungsdecken. Diese Rettungsdecken sollen vor Unterkühlung, Nässe oder Wind schützen. Außerdem können sie bei hohen Temperaturen als Schattenspender fungieren und je nach Situation auch für eine erhöhte Sichtbarkeit der darin eingewickelten Person sorgen. Damit sie diesen Anforderungen gerecht werden kann, besitzt die Rettungsdecke eine gold- und eine silberfarbige Seite. Den genauen Aufbau der Rettungsdecke und wie man diesen experimentellen untersuchen kann, können Sie hier nachlesen. Die Fähigkeit zur Reflexion von Wärmestrahlung (IR-Strahlung) bildet die Grundlage für die gewünschte Funktion einer Rettungsdecke. Ob nun im Falle eines Unfalls die gold- oder die silberfarbige Seite zur Reflexion der Wärmestrahlung genutzt werden sollte oder ob dies egal ist, kann im Unterricht gewinnbringend untersucht werden.
Welche Seite der Rettungsdecke sollte nach außen zeigen, um eine Person vor dem Auskühlen zu schützen?
Zur Klärung dieser Frage kann man mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam einen Modellversuch planen. Der wärmeabstrahlende und im Rettungsfall vor der Auskühlung zu bewahrende menschliche Körper kann mit Hilfe eines Reagenzglases modelliert werden, in welches ca. 40 °C heißes Wasser gefüllt wird. Die Rettungsfolie kann in der einen oder anderen Weise um das Reagenzglas gewickelt werden. Als Kontrolluntersuchung sollte dabei auf ein Reagenzglas ohne Rettungsfolie nicht verzichtet werden. Da das Erscheinen eines Notarztes innerhalb von 10 Minuten realistisch ist, kann dieser Zeitraum als Messzeitraum festgelegt werden. Zuletzt gilt es die Umgebungstemperatur zu definieren. Der Versuch kann bei Raumtemperatur im Klassenzimmer, bei Außentemperatur auf dem Schulhof (Bild 2), bei niedrigen Temperaturen in einem Kühlschrank oder bei höheren Temperaturen in einem Trockenschrank durchgeführt werden.
Versuch: Untersuchung der Wirksamkeit einer Rettungsdecke
Geräte: drei Reagenzgläser, ein Reagenzglasständer, drei Thermometer, ein Wasserkocher, eine Rettungsfolie, Schere und Gummibänder
Durchführung: Aus der Rettungsfolie werden genau gleich große Stücke (in unserem Beispiel 15 x 10 cm) geschnitten. Zwei Reagenzgläser werden jeweils einmal mit Rettungsfolie umwickelt, wobei in einem Fall die goldfarbige und in dem anderen Fall die silberfarbige Seite außen ist und mit Gummibändern befestigt. Mit einem weiteren Gummiband wird das Thermometer so am Reagenzglas befestigt, dass der Messfühler in das Innere des Glases ragt. Im Anschluss werden diese beiden Reagenzgläser und zusätzlich ein drittes Reagenzglas ohne Rettungsfolie mit der gleichen Menge an ca. 40 °C heißem Wasser gefüllt. Im zeitlichen Abstand von einer Minute wird die Wassertemperatur mit Hilfe eines Thermometers in jedem der drei Reagenzgläser zehn Minuten lang gemessen. Die Umgebungstemperatur wird notiert.
Bild 2: Der Versuchsaufbau im Freien
(Foto: Streller)
Das hier skizzierte Vorgehen macht deutlich, dass bei einer Planung des Versuchs viele Variablen zu kontrollieren und damit viele Möglichkeiten zur Fehleranalyse zu bedenken sind. Zu diesen Variablen gehören:
- das Volumen des eingefüllten Wassers in den Reagenzgläsern
- die Wickeltechnik der Rettungsfolie um das Reagenzglas (z.B. eng anliegend oder mit etwas Luft dazwischen wie vom Hersteller empfohlen)
- die Größe und die Dicke des Reagenzglases, da das Glas einen Teil der Wärme aufnimmt (Stichwort: Wärmekapazität des Glases)
- der Abstand der Reagenzgläser voneinander im Reagenzglasständer, da jedes Reagenzglas schließlich Wärme abstrahlt
- die Messgenauigkeit eines Thermometers (als Angabe i.d.R. der Verpackung zu entnehmen)
- die Anzahl der durchgeführten Messungen aus statistischen Gründen
Beobachtung: Wir haben versucht alle diese Variablen bestmöglich unter realistischen schulischen Bedingungen zu kontrollieren. Auf dem „Schulhof“ vor unseren Räumlichkeiten der Chemiedidaktik der Freien Universität haben wir bei einer Außentemperatur von 10 °C folgende Temperaturdifferenzen bestimmt:
Bild 3: Versuchsergebnisse bei einer Außentemperatur von 10 °C
(Bild: Dietz)
Zunächst einmal ist zu erkennen, dass die Rettungsdecke einen deutlichen Effekt hat. Die Temperaturabnahme nach elf Minuten ist für den Fall des Fehlens der Rettungsdecke um mehr als 4°C größer. Ob die silber- oder die goldfarbige Seite außen ist, hat jedoch keinen Einfluss. Die Temperaturabnahme ist im Fall der goldfarbige Seite nach außen zwar etwas größer, was sogar der Empfehlung auf der Verpackung bei Schnee die goldfarbige Seite nach außen zu legen widerspräche. Der Unterschied liegt aber innerhalb der Fehlertoleranz für die Temperaturmessung mit unseren digitalen Thermometern (Messgenauigkeit laut Verpackung ± 0,8 °C).
Um sicher zu gehen haben wir den Versuch in unserem Labor wiederholt. Bei einer Raumtemperatur von 21 °C haben wir folgende Temperaturdifferenzen ermitteln können:
Bild 4: Versuchsergebnisse bei einer Raumtemperatur von 21 °C
(Bild: Dietz)
Auch bei Raumtemperatur ist der grundsätzliche Effekt der Rettungsdecke sofort erkennbar. Wie auch bei der Messung im Freien ist bei dieser Messung die Temperaturabnahme am größten, wenn die Rettungsdecke fehlt. Wie zu erwarten ist die Temperaturabnahme in allen drei Zeiträumen jedoch deutlich kleiner als bei einer Umgebungstemperatur von 10 °C. Auch bei dieser Messung wird unter Berücksichtigung der Messgenauigkeit der Thermometer kein Unterschied zwischen der gold- und der silberfarbigen Seite festgestellt. Diesmal scheint es so, als wäre die Temperaturabnahme größer, wenn die silberfarbige Seite nach außen zeigt. Die Messgenauigkeit unserer Methode muss jedoch stets mitgedacht werden.
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Fazit: Rettungsdecken sind sehr hilfreich – die Wahl einer bestimmten Seite ist nur unter einer Bedingung von Relevanz
Unsere Modellversuche haben gezeigt, dass die Wahl der Seite der Rettungsdecke für das Verhindern der Auskühlung irrelevant ist. Bei Schnee ist jedoch nicht zu unterschätzen, dass durch die goldfarbige Seite eine erhöhte Sichtbarkeit der verunfallten Person gewährleistet wird. In diesem Fall sollte also die goldfarbige Seite außen sein.
Die Schlichtheit des Versuchsaufbaus und die Einfachheit der Versuchsdurchführung auf der einen Seite und die gleichzeitige Komplexität durch die hohe Anzahl zu kontrollierender Variablen auf der anderen Seite lassen die experimentelle Untersuchung der eingangs formulierten Fragestellung als äußerst gewinnbringend für den naturwissenschaftlichen Unterricht erscheinen. Dabei sei an dieser Stelle auf das enorme Potenzial zur Binnendifferenzierung im Unterricht hingewiesen – sowohl bei der Planung des Modellversuchs als auch bei der Darstellung, Auswertung und Diskussion der Ergebnisse kann mit wenig aufwendigen Mitteln auf verschiedenen Niveaustufen mit den Schülerinnen und Schülern gearbeitet werden.
Literatur:
[1] https://www.malteser.de/aware/hilfreich/erste-hilfe-kasten-inhalt-und-verwendung-der-komponenten.html, letzter Zugriff: 15.02.22
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Letzte Überarbeitung: 28. Februar 2022, Fritz Franzke
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